Im Juni 2001 begannen die Werte zu fallen, bis August summierten sich die Verluste auf neun Zehntel meines Vermögens.
Am 19. August 2001 hatte ich einen Termin bei dem Vorstand der Sparkasse, Herrn Hartmann.
„Herr Rheidt, Ihr Depot ist zusammengeschmolzen auf hundertfünfzigtausend Euro. Wir haben Ihre Kredite neu bewertet, die Sicherheiten reichen bei weitem nicht mehr aus für die ausgegebenen Summen.“
„Aber Herr Hartmann, warten Sie doch einfach noch einen kleinen Augenblick, die Aktien werden ihre früheren Werte mit Sicherheit wieder erreichen. Ich finde, wir sollten uns noch einen Monat geben. Sie wissen ja, ich bin insolvent, wenn ich die Aktien jetzt verkaufe.“
„Das mag sein, aber wir werden nicht weiter warten. Sie müssen jetzt die Aktien verkaufen, sonst werden wir die Kredite kündigen.“
Zum ersten Mal konnte ich die Angst nachvollziehen, die Menschen immer beschrieben, wenn sie pleitegingen. Die Angst, wie sie ihre Familien ernähren sollten, wie sie ihren Freunden und vor allem ihren Freundinnen beibringen sollten, dass sie kein Geld mehr hatten, wie sie den Abstieg verkraften sollten. Nun, ich hatte keine Familie, meine gesellschaftliche Stellung war mir egal, und so sagte ich:
„Gut, wenn Sie wollen, verkaufe ich, aber Ihr Geld werden Sie dann wohl auf keinen Fall wiederbekommen.“
Und so verkaufte ich und ging pleite nach allen Regeln der Kunst, wie sie sagen. So endete mein Ausflug in die Sphäre der Berufstätigkeit.
Aber es ist besser, ich beginne am Anfang.
Erstes Buch:
Der Rat der Sieben
1.
Fanfaren gleich strahlte der Ruf durch den schwarzen Raum, klingend, ein Ruf, fordernd, hell, triumphierend, Kommandos gebend selbst dem Unendlichen, in dessen Weiten ich mich fast verloren geglaubt hatte. Fanfaren auf der Erde bedeuteten Freude, begeisterter Aufruhr, Helligkeit. Für mich, hier im grenzenlos scheinenden Universum, bedeuteten sie nur eins:
Den Ruf nach Rückkehr, ohne Verzug, sofort, in die Zentrale.
Ich befand mich gerade im sechsten Bezirk, als er erklang, befehlend, jeden Widerspruch sofort ausschließend, die Töne durchdrangen mühelos die dichte Schwärze des Universums, versuchten, es aufzuhellen, ohne Erfolg indes. Mein Auftrag im sechsten Bezirk war nichts Aufregendes, eine Routineangelegenheit, und so ließ ich alles stehen und liegen, froh, der undurchdringlichen Schwärze entfliehen zu können, sei es auch nur, um im grellen Licht der Zentrale von ihm neue Befehle zu empfangen, zum Guten oder zum Schlechten, ich wusste es nicht.
Gedankenschnell war ich zurück, in dem großen Versammlungssaal, wo wir uns trafen, alle waren wir dem Ruf gefolgt, es gab keine andere Möglichkeit als die des absoluten Gehorsams. Und kaum war eine kleine Zeit vergangen in dem hellen, alles durchdringenden Licht der Zentrale, als ich mich schon wieder nach dem Dunkel sehnte, nach den unendlichen Sphären des Universums, in denen kein Raum und keine Zeit war, nur Schwärze, ich und mein Auftrag.
Aber jetzt war ich hier und gerade drei Wimpernschläge später waren wir vollzählig und warteten, aber nicht zu lange.
Er erschien, wie immer in den langen schwarzen Radmantel gehüllt, dem Mantel, der innen mit Seide gefüttert war, in Rot, einem Rot wie Menschenblut, und der in starkem Kontrast zu dem schneeweißen Gesicht stand. Glühende, kohlschwarze Augen starrten aus dunklen, tiefliegenden Höhlen, fixierten jeden Einzelnen von uns, lange, intensiv und angsteinflößend, wenn es uns denn gegeben wäre, Angst zu empfinden.
„Verehrte Kollegen!“ Wie lange hatte ich diese Stimme nicht mehr gehört, diese vollkommen farblose Stimme wie aus vergangenen und zukünftigen Zeitaltern, hohl wie aus einem tiefen Brunnen und ohne jede Emotion, selbst mich durchlief jedes Mal ein Schauer, fast wie menschliche Angst, wenn ich sie hörte. Und von wegen Kollegen. Er war der Fürst, er wusste es und wir wussten es, aber er nannte uns Kollegen.
„Verehrte Kollegen, es hat sich alles geändert. Wie Sie wissen, ist es uns verboten, den Menschen anzutasten, uns auch nur in seine Belange einzumischen. Wir sollen ihn gewähren lassen, so ist die Vorgabe der Schöpfenden Kraft. Diese Vorgabe hat sich geändert.
‚Tastet mir nicht das Menschengeschlecht an‘, so lautet nach wie vor die Maxime. ‚Tut ihnen nichts, aber jetzt: Geht zu ihnen, führt sie auf ihren eigenen Weg, beseitigt sie nicht, aber sie werden nicht mehr gehindert sein, ihren eigenen und Ihren Versuchungen zu folgen.‘ Also versucht sie.“
Er schwieg und fixierte uns mit den brennenden Augen.
„Probieren wir unsere Kräfte an ihnen aus. Sieben von Ihnen werden zu ihnen gehen und diesen Auftrag erfüllen. Gehen Sie zu den Menschen, führen Sie sie in Versuchung und stellen Sie sie auf die Probe, ob sie sich nicht selbst zerstören.“
Unruhe machte sich unter uns breit. Niemals hatten wir den Menschen ernsthaft auf unseren Weg der Zerstörung führen dürfen, dieses eigenartige Produkt der Mischung zwischen Tier und Engel, das der Schönheit der Schöpfung Hohn sprach, indem es sündigte, was das Zeug hielt, seit es das Böse erkannt hatte, das Böse, das notwendig zur Schöpfung gehörte.
Unser Fürst selbst hatte dessen Einführung vorgeschlagen, dort, wo alles entsteht. Die Welt sei unvollkommen, hatte er vorgebracht, wenn nicht das schlechthin Böse darin sei, da könne keine noch so allmächtige Weisheit etwas anderes ersinnen. Wenn keine Wahl bestehe, das Gute oder das Böse zu tun, könne es gar kein Gut geben, eben weil ja die Wahl nicht sei. Und bei allem Respekt für die allwissende Schöpfungsgewalt: Immer, wenn diese eine Welt denke und schöpfe, die nur aus dem Guten bestehe, lasse sich eine andere, vollkommenere, bessere denken, nämlich eine, die seinen Geschöpfen die Freiheit lasse, dem Willen des Allschaffenden eben nicht zu folgen, eine Welt, in der auch das Böse seinen Platz finde.
Lange hatte man sich besonnen, wohl bedenkend, dass unser Meister und seinesgleichen die andere Seite der Welt, die dunkle, die mordende, brennende, sengende, sofort für sich reklamieren und sie nach Kräften befördern würden, um dann, wenn dieser Teil überhandnahm, Zerstörung zu fordern, Vernichtung. Nicht mehr Schöpfung, sondern das Gegenteil, sondern Einsicht in Fehlentwicklungen. Um es rundheraus zu sagen: Irrtümer wollten wir zeigen, begangen von der Allwissenheit. Wie wollten wir triumphieren, welch schreiendes, allumfassendes Gelächter, wenn wir der allmächtigen Schöpfungskraft, die alles wusste, Fehler in der Schöpfung nachweisen konnten.
Welch seltener Widerspruch, welche Genugtuung bei uns!
Die schaffende Kraft musste das Böse in der Welt zulassen, klar erkennend, dass sie damit ihre eigene Schöpfung hässlich machte und gemein, aber eben auch einsehend, dass alles andere den Anspruch auf Vollkommenheit schlechterdings nicht mehr würde erheben können.
Und so setzten wir durch, dass mit dem Bösen in den schwächsten Teil der Schöpfung, den Menschen, erst die Todesangst gepflanzt wurde und dann alle die Eigenschaften, mit denen