ZwischenWelten. Friedrich von Bonin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich von Bonin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750282032
Скачать книгу
eben über dreißig Jahre alt, klein, sehnig, hager war er, mit einem scharf geschnittenen Gesicht, aus dem fast waagerecht eine schmale Nase wuchs, mit dünnen, fast zu roten Lippen und eng zusammenstehenden, schwarzen Augen.

      Beide sahen mir entgegen.

      „Der Herr trete näher“, lud mich mein Herr mit hohler Stimme ein, „ich habe den Herrn gebeten, weil er vielleicht mit uns die astronomische Wissenschaft betreiben möchte.“

      Die Aufforderung kam für mich vollkommen überraschend.

      „Wieso meinen Ihre Fürstlichen Gnaden, dass ich etwas davon verstünde?“, fragte ich vorsichtig zurück.

      „Die Fürstliche Gnade weiß das nicht“. Seni hatte eine scharfe, schnarrende und dabei überraschend hohe Stimme, „aber wir waren der Meinung, dass Herr Rheidt uns vielleicht bei dem Studium der Zukunft beistehen könnte.“

      „Beim Studium der Zukunft?“, fragte ich gedehnt, indem ich fieberhaft nachdachte, „haben wir nicht alle an der Last der Gegenwart genug zu tragen, als dass wir uns auch noch mit der Zukunft beschweren sollten?“

      „Wer die Zukunft hat, beherrscht die Gegenwart“, flüsterte jetzt Wallenstein, so leise, dass ich die sonst so gebietende Stimme fast nicht wiedererkannte, „nur wer die Zukunft weiß, kann heute die richtigen Entscheidungen treffen.“

      „Fürstliche Gnaden haben vollständig Recht“, versetzte ich, „aber niemand kann die Zukunft wissen, es sei denn, er könne sie selbst erschaffen.“

      Der General richtete sich hoch auf.

      „Nun gut, Seni, nun gut, Rheidt, reihen wir uns um den Tisch, geben wir uns die Hände, versammelt um dieses Kristallwasser, und erschaffen unsere Zukunft.“

      Seni zündete eine Kerze an, die neben der Karaffe stand und löschte die anderen.

      Wallenstein ging an den Tisch, setzte sich auf einen der Stühle und bedeutete uns, ihm zu folgen. Wir saßen im Kreis und verbanden uns, indem wir die Hände nahmen. Die des Generals war schlank, sehr kräftig, und zu meiner Überraschung etwas schwielig, die des italienischen Arztes kühl, trocken und knochig.

      Wir alle senkten den Blick auf die Karaffe, nur ich schielte unter den Wimpern hoch. Eine unheimliche Gesellschaft waren wir, Senis und Wallensteins Gesichter nur von der Kerze erleuchtet, fremdartig verzog das Licht die Züge und warf gespenstische, riesige Schatten von den Oberkörpern und den Köpfen an die Wand.

      Dann konzentrierte ich mich auf die Hände, die ich gefasst hielt.

      Viele Menschen glauben, sie könnten über ihre Hände Kraft vermitteln und empfangen, ich kann das nicht beurteilen. Bei uns bedarf es für den Kraftschluss nicht einmal der Berührung der Hände, ein einfacher Körperkontakt reicht für uns aus, um Kraft zu spüren oder zu übertragen. Und mit dieser Wahrnehmungsfähigkeit spürte ich hier, in dieser Kammer und zu dieser unheimlichen Stunde, nach kurzer Zeit, dass Seni ein Scharlatan war. Nichts, aber auch gar nichts floss durch seine Hand zu mir, keine Kraft, kein Bewusstsein, nicht einmal besonders starke Gefühle empfing ich von ihm. Alle Stärke, alle Empfindungen, die in diesem Kreis waren, kamen von Wallenstein, dem General, nachdem ich meine Kraft gebremst hielt.

      Widersprüchliche Signale waren es, die der General ausströmte. Ich fühlte den unbändigen Willen, Erfolg zu haben, Krieg zu führen, Menschen zu befehlen, zu beherrschen. Ein dunkler, aggressiver Strom fuhr durch meinen Körper, ungehindert weiter zu Seni und von ihm zu Wallenstein. Fordernd war er, der Strom, voller Begierde, die Zukunft zu wissen und mit diesem Wissen alle zu beherrschen, seine Soldaten, seine Generale und selbst den Kaiser.

      Und dann waren da noch andere Seiten, kaum zu spüren, schwach ausgeprägt, aber doch deutlich: ein Familienvater, der mit zärtlicher Sorge an seiner Frau hing, an seiner Tochter, ein Gutsherr, der nichts weiter wollte, als seine Länder bestellen und seinen Frieden haben. Sehr unausgeprägt und sehr im Hintergrund, diese Seite, aber da.

      Jetzt stöhnte er auf.

      „Zukunft“, murmelte er, „werde ich siegen? Was wird die Zukunft bringen?“

      Und als hätte er mit diesen Worten einen Bann gebrochen, sah er auf, sah Seni auf, blickten wir uns an. Langsam lösten sich unsere Hände, auf einmal entspannt, sah mich Wallenstein an.

      „Was denkt der Herr? Lässt sich so Zukunft voraussagen?“

      Ich sah an ihm vorbei auf den riesigen Schatten, den seine Gestalt warf.

      „Nein, Fürstliche Gnaden, die Zukunft kann niemand auf der Erde wissen.“

      „Wir werden sehen, der Herr hat ungewöhnliche Kräfte. Wir werden uns wiedersehen.“

      Damit verabschiedete uns der General.

      ___________________________

      1.

      Schwer lastete die Hitze auf dem schmalen Sandweg, der am Ufer der unruhigen Neiße lief, den Windungen des Flusses folgend. Die Blätter der Bäume raschelten leise im leichten Spätsommerwind, dunkelgrün, schattenspendend gegen die Sonne, die jetzt seit zwei Wochen auf die Erde strahlte, ohne Regen, ohne erleichternde Kühlung in der Nacht. Der Weg war über die ganze Strecke von einer Baumallee begleitet, uralte Eichen standen neben Buchen, Birken, Pappeln und Erlen, in den Pappeln waren die dichten Mistelzweige hinter dem Laub kaum zu erkennen. Unter den Bäumen gab es dichtes, undurchdringliches Gebüsch aus Brombeeren, wilden Himbeeren, Schlehen und anderen Gewächsen, in denen ab und zu ein leises Geraschel zu hören war, als habe sich eine Maus, ein Igel oder eine Schlange in der Sommerhitze aufgemacht, weil der Hunger sie hinaustrieb zur Jagd. Außer dem leisen Flattern der Blätter und den seltenen Geräuschen aus dem Gebüsch war nur das regelmäßige, leichte Plätschern des Flusses zu hören, der gleichmäßig dahinströmte. Ein Fisch sprang hier auf, wohl nach einer Fliege schnappend, fiel zurück und hinterließ auf dem kühlen Wasser Kreise, die sich ausbreiteten, konzentrisch, bis ans Ufer, dann ausliefen und sich im gleichmäßigen Strömen verloren.

      Ein junger Mann tauchte hinter der nächsten Krümmung auf, stämmig, kräftig, in graues Sackleinen gekleidet, den Hut auf dem Kopf, der den Schäfer kennzeichnete und tatsächlich, jetzt trappelten hinter ihm seine Tiere. Als erstes Ziegen, zwanzig Stück mit zwei Böcken, die der Herde voranliefen, dahinter Schafe, dichtgedrängt, das Fell noch nicht sehr wollig nach der Schur im Frühjahr, aber doch schon zu dick für diese Hitze. Dichtgedrängt liefen sie, blökend, hier am Rande nach einem Büschel Gras rupfend und dann kauend. Die diesjährigen Lämmer, schon groß, liefen noch bei den Müttern. Die Zahl war schwer abzuschätzen, aber der Hirte wusste, es waren sechsundsiebzig Stück, vier Böcke, einundfünfzig Mutterschafe und einundzwanzig Lämmer, die hatte er am Ende des Tages abzuliefern im Dorf, wo sie von den Eigentümern in Empfang genommen und in die heimischen Ställe getrieben wurden. Er selbst, der Schäfer, Hans Reinstätten, hatte sieben Mutterschafe, die er in der Herde mitführte. Als Entgelt für die Hirtentätigkeit durfte er seine Schafe von den Böcken bespringen lassen und wurde im Übrigen nach seinem bescheidenen Bedarf von den Dörflern miternährt.

      Eine ruhige Tätigkeit war das, die er da verrichtete, sie war in seiner Familie erblich. Schon sein Vater, Heinrich Reinstätten, war Dorfhirte gewesen in Neissmund, seinem Heimatdorf, das weiter unten am Fluss lag, an dem er jetzt entlang ging.

      Sein Vater war früh gestorben. Das helle und freundliche Gesicht des Hirten verfinsterte sich, als er daran dachte. Ruhm hatte er ernten wollen, sein Vater, und hatte seinem Sohn mit Zustimmung der Dorfältesten das Hirtenamt weitergegeben. Ruhm in dem Krieg, der seit Jahr und Tag über Deutschland hinweg zog, hin und her und kreuz und quer. Ruhm bei der Verteidigung der einzig richtigen Religion, ein Anhänger Luthers, wie alle in Neissmund und den umliegenden Dörfern. Sie alle hatten täglich für den Sieg der protestantischen Waffen gebetet gegen die Kaiserlichen, die Katholischen, gegen diesen Alten, Generalfeldmarschall Tilly, der für die katholischen Bayern focht und vor allem gegen den Teufel selbst, Wallenstein. So hatten sie auch mit dem Pfarrer Rudolf Melcher gefleht, der ihnen von der Kanzel und im persönlichen Gespräch die neuesten Ereignisse bekanntgegeben hatte. Jeder Sieg der protestantischen Waffen war von den Dörflern