»Meine Damen, ich fürchte ich muss mich zurückziehen, meine körperliche Verfassung ist heute leider nicht die beste. Ich empfehle mich.«
Diese zwei Sätze stammelnd, von den Besserungswünschen und Verabschiedungen der anderen Damen begleitet, die sie nicht mehr wirklich realisierte, steuerte sie in Richtung Tür, welche wiederum von Ruika geöffnet wurde. Sie ging hindurch und zwang sich nicht stehen zu bleiben. Sie wollte nur noch in ihre Gemächer und sich hinlegen. Sie setzte einen Schritt nach dem nächsten, quälend langsam arbeitete sie sich die Treppen hinauf. Endlich in den Privaträumen angekommen, fiel sie nur noch auf ihre Seite des großen Bettes, das sie mit ihrem Mann teilte, und augenblicklich umfing sie unruhiger Schlaf.
Degaar war mit sich zufrieden, was vielleicht durchaus an dem vielen Alkohol lag, den er in dieser Nacht zu sich genommen hatte. Er war eigentlich kein großer Trinker, doch dieses Mal war es einfach mit ihm durchgegangen. Wenn Leon nicht darauf bestanden hätte, das neueste hochprozentige Erzeugnis aus seinem Ionika zu probieren, wäre er jetzt sicherlich wesentlich fitter. Doch köstlich war es gewesen, das glasklare Gebräu, welches trotz des hohen Alkoholgehalts nicht scharf war, und dessen Geschmack es dem beigemengten Waldbeerenextrakt verdankte. Ja, die Faires wussten schon, was gute Getränke waren. Während er, von einer Seite des Ganges zur anderen wankend, auf dem Weg in seine Privaträume war, dachte er nochmals über seinen Abend nach. Nach der üblichen Begrüßung der Fürsten waren die Männer zusammen gesessen und hatten miteinander gespeist. Degaar fand, dass es viel leichter war, sich mit allen zu unterhalten, wenn es keine knurrenden Mägen mehr gab, und die Fürsten hatten ihm da schon immer zugestimmt. Er hatte wieder allerlei Köstlichkeiten auftischen lassen, darunter auch gekochte Soprogta-Eier, eine Delikatesse, auf deren Geschmack Degaar bereits vor langem gekommen war. Es bereitete dem König keine Freude, seinen ohnehin bereits geschrumpften Vorrat an diesen kostbaren und schwer zu besorgenden Eiern zu opfern, aber dies gehörte nun mal zu den Annehmlichkeiten, die er seinen Fürsten zur Verfügung stellen musste. Er befriedigte sich mit dem Gedanken, selbst den Großteil davon verzehrt zu haben. Ob er wohl genügend Nachschub auftreiben würde können? Sein üblicher Händler meinte, dass die Greifvögel heuer besonders angriffslustig auf Eindringlinge in ihren hochgelegene Revieren in den Queyt Bergen reagierten, was zweifelsohne den bereits jetzt an Piraterie grenzenden Preis in die Höhe treiben würde. Leider fehlte es Degaar an dem nötigen Fachwissen, um in Erfahrung zu bringen, ob der Halunke lediglich mehr Gewinn machen wollte, oder ob seine Schilderung tatsächlich den Tatsachen entsprach. Sei’s drum, auf die paar Münzen mehr kam es ihm nun wirklich nicht mehr an. Nach dem Essen, bei dem auch bereits reichlich Wein geflossen war, hatten sie über eine engere innerstaatliche Zusammenarbeit sinniert, vor allem in einem Punkt, der schon länger diskutiert wurde: Die Volkszählung. Für das Königreich war es essentiell zu wissen, wie viele Bürger es gab, um daraus die voraussichtlichen Steuereinnahmen zu kalkulieren, um zu sehen, ob manche Gebiete besonders hart von tödlichen Krankheiten betroffen waren und in welchen schrumpfenden Ortschaften wieder gezielt Leute angesiedelt werden sollten. Nun zählten die einzelnen Fürsten in ihren Gebieten aber so, wie sie es für richtig hielten, Wim Morgenson beispielsweise alle zwei Jahre, Antario Silberstein alle fünf Jahre, Otto Roth gar lediglich alle zehn Jahre und das sowieso zu vollkommen verschiedenen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen Methoden. Es war ein heilloses Durcheinander, das es zu entwirren gab. Degaar hatte bereits beim vorigen Treffen versucht eine Einigung zu erzielen, war aber gescheitert. Er hätte eine einheitliche Regelung zwar auch befehlen können, ihm war es aber lieber, wenn er sich mit seinen Fürsten auf etwas einigen konnte. Und heute war es ihm endlich gelungen, alle auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Zwar hatten wohl auch der Wein und die hervorragenden neuen Tänzerinnen ihren Teil dazu beigetragen, den einen oder anderen vom Mehraufwand für sich abzulenken, sodass schließlich alle zugestimmt hatten, zu fixen Zeitpunkten alle vier Jahre Volkszählungen durchzuführen, doch er fand, dass dies seine Leistung keinesfalls schmälerte. Er hatte sich vielmehr im Stillen selbst dazu gratuliert, diese beiden Faktoren so geschickt ins Spiel gebracht zu haben. Nachdem endlich ein Konsens gefunden worden war, war der Alkohol in Strömen geflossen. Es hatte weiterhin Wein gegeben, aber auch Bier und der liebliche Honigschnaps, für den Ionikas berühmt war, waren seinen Gästen und ihm aufgetragen worden. Die Stunden waren vergangen, und nachdem der König einmal das Gefühl gehabt hatte, sich auf seinen wunderschönen Marmorboden zu übergeben, auf dem Jannick Harson bereits eingeschlafen war, hatte er sich so schnell, wie dies in seinem Zustand noch möglich war, davon gemacht. Die Übelkeit war verflogen nachdem er erst aus dem nach Schweiß, Alkohol und Erbrochenen riechenden Saal getreten war, doch der Rausch war ihm geblieben. Vor allem war der König auch unendlich müde. Endlich erreichte er seine Privaträume, wo er sich rasch seiner Kleidung entledigte. Eine Aufgabe, die zu erfüllen sich seine Frau wohl außer Stande gesehen hatte, wie er mit einem schielenden Blick feststellte. Auch sie schien dem Alkohol an diesem Tage nicht abgeneigt gewesen zu sein, und anscheinend war er nicht der einzige im Raum, der sich am nächsten Tag schlecht fühlen würde. Erschöpft kroch er in das königliche Bett. Er wollte sich zwar eigentlich noch an Naileen herantasten, doch irgendwie war ihm das jetzt einfach zu mühsam. Seine Königin würde ihm schon nicht weglaufen…
Degaar erwachte und wünschte sich augenblicklich, er hätte es nicht getan. Ihm war elendiglich übel, und sein Kopf tat ihm beinahe genauso weh wie damals, als er von seinem Pferd gefallen und mit seinem Haupt am Pflaster aufgeschlagen war. Er versuchte wieder Schlaf zu finden, aber jedes Mal, wenn er die Augen schloss, war es, als würde sich der Raum immer schneller und schneller um ihn drehen. Er brachte sich in eine aufrechte, sitzende Lage und warf dabei einen Blick auf Naileen. Sie lag auf der Seite, den Rücken zu ihm gedreht. War sie nicht gestern Nacht auch genau in dieser Position gelegen? Er streckte seine Hand nach ihr aus und erschrak. Ihre Kleidung war triefend nass, ebenso das Bettlaken rund um sie herum.
»Naileen?« Seine Stimme war nur ein leises Flüstern, er schüttelte sie leicht, um sie sanft zu wecken, doch sie regte sich nicht. Jetzt war er wirklich alarmiert. Er drehte sie auf den Rücken, ihr glutrotes Gesicht schockierte ihn. Der Schweiß stand der Königin auf der Stirn und sie atmete nur flach. Degaar schüttelte sie erneut, immer fester und fester, er rief immer wieder ihren Namen, und dennoch kam sie einfach nicht zur Besinnung! Panisch stürzte der König aus dem Bett, seinen eigenen, üblen Zustand vergessend, rannte zur Tür und begann lauthals um Hilfe zu rufen. Binnen weniger Minuten war der gesamte Hofstaat auf den Beinen und ein Bote preschte auf einem drahtigen Pferd in Windeseile aus dem Schloss, um den Hofarzt zu alarmieren.
Geglückt?
Jarihm lief vor freudiger Erwartung ein sanfter Schauer über den Rücken. Die Art und Weise, wie sie so knapp vor ihm stand, dass wohl kaum mehr als ein Katzenhaar zwischen ihnen Platz gefunden hätte, sie ihn aber trotzdem nicht berührte, erregte ihn mehr, als er erwartet hätte. Er sehnte sich nach mehr. Sucarías sanfte Hand zog ihn liebevoll, aber bestimmend, in Richtung des ersten Stocks, in dem sich die Unterkünfte für Reisende befanden. Schritt für Schritt folgte er ihr auf der Treppe und genoss dabei das Bild, das sich ihm präsentierte. Das durch das Treppensteigen sanft hin und her wippende Gesäß Sucarías hatte ihn wie in Trance versetzt. Sein Blick blieb hängen an ihren sanften Rundungen, die sich durch ihr Kleid abzeichneten. Er streckte seine Hand nach ihr aus, berührte sanft ihr Gesäß. Sucarías Kopf drehte sich zu ihm, ihr Antlitz war verzerrt, eine Mischung aus Hass und Abscheu. Bereits einen Lidschlag später, strahlte sie wieder von oben bis unten. So konträr war das Bild, das sich Jarihm nun bot, dass er sich fragte, ob seine alkoholgeschwängerte Wahrnehmung ihm vielleicht bereits Streiche spielte. Endlich erreichten sie das Obergeschoss, doch nun blieb die Schildmaid unvermittelt