Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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flachen Hand, so dass seine Wange schmerzhaft brannte.

      "Vergiss es, Stalca. Sonst sehe ich mich dazu gezwungen, sie aus deinem Kopf heraus zu prügeln."

      Stalca sagte gar nichts, sondern lehnte sich nur an die Felswand zurück. Er hatte nichts zu sagen, konnte nichts sagen, denn immerhin war Túlak um einige Jahre älter als er selbst. Gegen Ältere etwas zu sagen war nicht nur unverschämt, es war geradezu undenkbar. Weisheit entwickelte sich mit zunehmenden Alter und wie konnte ein Jüngerer weiser sein als ein Älterer? Túlak hatte mit Sicherheit Recht. Es war gefährlich und nahezu wirklich nur ein Traum. Ein Held zu sein und ein ganzes Volk aus der Gefangenschaft zu befreien. Wenn es möglich wäre, hätte es sicher schon jemand vor ihm getan und das hatte seines Wissens keiner. Doch ein gut durchdachter Plan würde zumindest schon einmal ihn hier heraus bekommen müssen. Fort von den sich ewig drehenden Rädern.

      "Selbst wenn es irgendwie möglich wäre, würde ich dann sicher nicht mit dir kommen.", unterbrach Túlak wieder die Stille. Mit Worten, die völlig überraschend kamen. "Ich habe meine Familie hier. Meine Mutter, Brüder und Schwestern. Entweder alle, oder gar keiner. Wenn jemand tatsächlich entkommen sollte, werden sie es an seiner Familie auslassen und so etwas kann ich nicht riskieren. Aber du bist allein."

      Er hielt eine Weile inne und Stalca wagte es nicht ihn in seinen Gedanken zu unterbrechen. "Wenn du wirklich vorhast hier zu verschwinden, kann ich dich nicht aufhalten. Dann kann es niemand. Aber höre auf mich, wenn ich dir sage, dass dir kein noch so guter Plan eine Hilfe sein wird. Verlasse dich nicht auf Pläne, schon viele sind daran gescheitert. Wenn es dein Schicksal sein sollte, dann nutze den Augenblick. Denn dieser wird dann kommen."

      Stalca starrte ihn noch immer nur an. Gerade eben noch hatte sein Freund ganz andere Dinge gesagt, aber vielleicht war dieser Traum in ihm fast genauso groß, wie sein eigenes Verlangen frei zu sein. Ihrem Volk war es im Laufe der Geschichte nur kurze Zeit vergönnt gewesen frei zu sein. Sie hatten schon lange unter anderer Herrschaft gelebt, aber sie hatten ihren Herren mit Liebe gedient. Und sie waren keine Sklaven gewesen. Doch ihre Herren waren fort, einfach fort. Von dieser Welt verschwunden, wohin auch immer. Und ihnen folgten weitere. Zwerge, das Volk der Dunkelelfen. Die Trolle, Könige der Berge und Wälder. Mit jedem weiteren dieser Völker, das verschwand, verschwand ein Stück von dem, dem die Menschen einmal untertan waren. Die Kraft und Lebensenergie der Natur, die Macht der Götter, die Magie. Sie verschwand Stück für Stück, spürbar. Schmerzhaft spürbar für viele.

      In Stalcas Adern floss anderes Blut, als in denen seiner Verwandten. Es war wildes Blut, gemischt mit dem seiner Ahnen und er besaß einen größeren Freiheitsdrang als manch anderer. Er verlangte frei zu sein. Frei, wie es sein Volk noch vor einigen Jahren war. Das freie Volk der Isk.

      "He, ihr da!", ertönte die missklingende Stimme eines Menschen durch die dunklen Gänge. "Was sitzt ihr da so faul herum, he? Habt ihr nichts zu tun oder muss ich euch erst zeigen, wie ihr zu arbeiten habt?"

      Das Geräusch einer knallenden Peitsche erklang. Die beiden Isk sahen sich an. Túlaks Blick eine stumme Warnung, Stalcas voller Zorn, doch sie packten ihre Hacken und arbeiteten weiter. Sie konnten sich keinen Ärger leisten. Das hatten sie schon zu oft getan.

      Der Mensch ließ sie in Ruhe. Zufrieden, als er die gleichmäßigen Schläge wieder hörte. Vielleicht auch ein wenig enttäuscht darüber, dass er schon so schnell Erfolg gehabt hatte.

      "Geht doch!", rief er ihnen noch zu, bevor er sich abwandte und seine Kontrollrunde weiterging. "Faules Pack."

      Der Tag war gerade erst angebrochen, doch die Luft war bereits unerträglich stickig und es herrschte eine bedrückende Wärme, die das Arbeiten erschwerte. Sie waren weit entfernt von dem Knirschen der Räder, doch das machte vieles nicht besser. Es waren einige Tage vergangen seit Stalca mit Túlak gesprochen hatte und sie waren weit vorangekommen. Immer tiefer hatten sie sich in die Mine gegraben, auch wenn viele bereits murrten und bezweifelten, ob dies richtig war, denn sie hatten Angst davor, was sie dort unten erwarten würde. Doch ebenso groß war auch die Angst vor den Menschen und so blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als den Befehlen und der Gier nach reichen Vorkommen zu folgen.

      Zuerst hielt Stalca die ganzen Ängste vor der Tiefe für unbegründet, doch auch er begann die nicht sichtbare Nähe von irgendetwas zu spüren, dass er selbst nicht zuordnen konnte. Doch es war da und es verbreitete eine Unruhe, vor der auch die Menschen sich fürchteten, denn sie glaubten, die Kontrolle verlieren zu können. Also griffen sie härter durch als sonst und schon einige, die versucht hatten, die Mine wieder zu verlassen, hatten dies zu spüren bekommen. Dies hieß allerdings nicht, dass sich dadurch etwas an der herrschenden Stimmung geändert hätte.

      Wenn Stalca sich umsah, blickte er in angespannte Gesichter von wild arbeitenden Isk, die so versuchten ihrer Angst zu entkommen. Aber ab und zu begann das Licht zu flackern. Dann hoben alle ihre Köpfe und würde es nicht jedes Mal schnell wieder zur Ruhe kommen, würde Panik ausbrechen in den engen Stollen, denn vor was sich die Isk am meisten fürchteten, war die ununterbrochene Dunkelheit.

      Wortlos arbeitete auch Stalca sich immer weiter durch die dichten Steinwände hindurch. Neben ihm war Túlak schwer beschäftigt, doch er wirkte nicht bei der Sache. Sie schafften es immer wieder zusammen zu sein, auch wenn die Menschen es sicher nicht gern sehen würden, wüssten sie davon, denn sie befürchteten heimliche Zusammenschlüsse gegen sie, wo sie mit Sicherheit auch Recht haben würden. Aber heute schien keiner bereit zu sein auch nur ein einziges Wort zu sprechen und Stalca fühlte sich keineswegs wohl dabei. Denn dadurch herrschte eine unheimliche Stille, die nur von dem Klacken der Spitzhacken unterbrochen wurde. Selbst die Menschen waren still. Einige von ihnen sahen ebenfalls nicht sehr glücklich aus und das sonderbare Gefühl, dass irgendetwas in der Nähe war, schien auch sie ergriffen zu haben.

      "Was ist das?", wollte er von Túlak wissen, ohne inne zu halten weiter Steine in einen Karren zu schleppen, der sie wieder an die Oberfläche ziehen würde.

      "Was?" Túlaks Stimme klang sehr ungeduldig und mürrisch und eigentlich sollte man ihn in solchen Momenten besser in Ruhe lassen, doch Stalcas Neugier war weitaus größer als das Lernen aus der Erfahrung.

      "Na, das alles hier." Er deutete um sich und wusste nicht recht, wie er erklären sollte, was er meinte. "Dieses Gefühl, schon fast dieses Wissen, nicht allein zu sein. Ich meine, dass nicht nur Menschen und wir hier sind, sondern noch irgendetwas anderes. Etwas ganz, ganz anderes. Ich weiß nicht."

      Túlak stöhnte. "Wenn du es nicht weißt, dann lass es. Und lass mich am Besten in Ruhe, klar?" Diese Aufforderung war deutlich. Trotzdem musste sich Stalca enorm zusammenreißen, um nicht wieder etwas zu entgegnen.

      Um seine Worte zu unterstreichen, schlug Túlak mit all seiner Kraft auf das Gestein ein und plötzlich blieb die Hacke stecken. Verdutzt starrten sie sich beide nur an.

      "Es klang nicht wie ein Hohlraum.", wunderte sich Túlak und wagte es nicht, die Hacke irgendwie zu bewegen.

      Stalca griff ebenfalls nach einem Werkzeug. "Zieh sie wieder raus und lass uns ein größeres Loch hinein hauen.", forderte er seinen Freund auf.

      "Stalca.", zögerte dieser. "Ich bin mir nicht sicher, ob das klug wäre."

      "Wir müssen wissen, was dort hinter ist." Die Neugier des jungen Isk war stärker als fast alles andere auf dieser Welt.

      Unsicher zog Túlak seine Hacke wieder aus dem Gestein. Nichts geschah. Mit neuem Mut machten sie sich daran, dieses Loch zu vergrößern. Solange, bis es groß genug war, einen Blick dort hinter zu werfen. Es war eine lange Arbeit und mühseliger, als sie gedacht hatten. Zudem war es sehr merkwürdig, was sie erlebten, denn jedes Mal, wenn sie auf das Gestein schlugen, ertönte ein dumpfer Ton und nicht der viel hellere, der eigentlich ertönen sollte, wenn man auf einen Hohlraum stieß. Doch sie ließen sich hiervon nicht ablenken und arbeiteten tapfer weiter.

      Schließlich hatten sie es geschafft. Das Loch war noch immer nicht sehr breit, doch es reichte aus einen Blick in die kleine Höhle dahinter zu werfen. Und wieder konnten sie etwas beobachten, dass fast ebenso merkwürdig war, wie der Hohlraum selbst. Wenn nicht noch merkwürdiger.

      Die Höhle, in die sie