Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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anzusprechen, doch sie sahen ihn nur mit wirrem Blick an oder reagierten gar nicht auf ihn. Von da an vermied er es so gut wie es ihm möglich war ihnen über den Weg zu laufen, denn er begann sich vor ihnen zu fürchten.

      So war er voll und ganz damit beschäftigt auf andere Isk zu achten, so dass er vergaß nach dem Ausschau zu halten, nachdem er suchte. Plötzlich glaubte er seinen Namen zu hören.

      "Stalca.", kam es schwach rechts von ihm. Sofort drehte er sich herum und versuchte den Sprecher ausfindig zu machen.

      "Túlak?" Noch ein paar Schritte und er entdeckte seinen Freund am Boden liegen. Eilig lief er auf ihn zu. "Túlak!"

      "Stalca, was machst du hier?" Túlak machte keinen guten Eindruck. Sein Atem ging schnell und mühsam. Er musste einen heftigen Stoß abbekommen haben, wahrscheinlich von der Druckwelle, die der Explosion vorangegangen war. Aus einer Wunde an der Stirn sickerte Blut, doch ansonsten hatte er keine sichtbaren Verletzungen. "Du solltest längst von hier verschwunden sein."

      "Ich werde ganz bestimmt nicht ohne dich von hier verschwinden.", entgegnete Stalca, der ein Stück von seinem dünnen Hemd abriss und es auf die Wunde legte.

      Túlak ergriff seinen Arm. "Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nicht gehen werde.", erinnerte er seinen Freund. "Sei kein Narr, jetzt ist es deine einzige Chance und ich sage dir noch einmal, dass du sie nutzen musst, da es keine Zweite geben wird. Dass tut es nie im Leben. Ich hätte nie gedacht, es würde überhaupt so weit kommen. Also verschwinde, bevor die Menschen wiederkommen."

      Stalca sah sich um. Er wusste, was nun dort draußen irgendwo auf dieser Welt war. Vielleicht noch in dem nahen Stück Wald, welcher die Mine umgab. Eine leichte Dämmerung begann sich zu senken, doch sie kam zu früh um wirklich zu sein. Der Isk verspürte Angst vor dieser neuen Dunkelheit. Angst diesen sicheren Ort zu verlassen.

      "Aber wohin soll ich denn gehen?", flüsterte er.

      "Du weißt es.", versicherte Túlak ihm. "Du hast mir von deinen Träumen erzählt. Von den weiten, freien Ebenen, die sich zwischen den hohen Gebirgen erstrecken. Von Städten groß und mächtig, von den unendlichen Weiten des Meeres. Es sind keine Träume. Es sind Erinnerungen und dass weißt du auch. Du kannst stolz sein, solche Erinnerungen zu haben, denn sie erinnern dich daran, wohin du gehörst. Sie ziehen dich nach Hause, mit solcher Kraft, dass nichts dich irgendwo anders halten könnte. Dein Herz weiß, wo du hingehen sollst, also folge ihm."

      Es herrschte eine lange Zeit Schweigen, doch Stalca blieb noch immer neben seinem Freund hocken. Solange, bis dieser ihn erneut ansprach. "Hörst du nicht? Oder willst du mich einfach nicht hierlassen, stur wie du bist. Ich werde immer bei dir sein, egal wo du dich gerade herumtreibst. Und am Ende wirst du wiederkommen, da bin ich mir sicher."

      Stalca nickte endlich, doch noch immer mit leichtem Zögern. "Mögen die Götter mit dir sein, mein Bruder.", verabschiedete sich Túlak endgültig.

      "Mögen sie vorher aber noch eine Weile bei dir bleiben." Tief in seinem Innern wusste Stalca, dass ihm gar nichts anderes übrig blieb als zu gehen, doch noch immer hielt ihn seine Treue zurück. Aber er riss sich zusammen und erhob sich schließlich. Dabei verspürte er ein seltsames Schwindelgefühl, doch er verdrängte einfach alle Gedanken daran.

      Er gab sich einen Ruck und drehte sich um, bereit in Richtung Wald zu verschwinden. Dann machte sich doch noch sein Freiheitsdrang bemerkbar, denn ihn befiel leichte Furcht, die Menschen könnten jeden Moment zurückkommen und ihn hindern wollen. Aber sie kamen nicht und so gelang es ihm in den Wald zu laufen.

      Dort verschlangen ihn die Bäume und kein Auge konnte ihn von der Mine aus sehen. So kam es, dass ihn die Menschen erst vermissten, als es bereits zu spät war. Es herrschte zu großes Chaos um die Mine herum. Es war schwer festzustellen, wer tot war und wer noch am Leben. Am Ende fand man alle und nur einer fehlte, doch die Menschen glaubten die Leiche nur nicht gefunden zu haben und nur einer wusste es besser, doch dieser schwieg. Also war Stalca einer der Ersten und vorzeitig Letzten, die aus der Mine entkamen ohne den Tod zu wählen.

      Eine Weile zog es Stalca immer weiter vorwärts durch den Wald, doch dann übermannte ihn die Erschöpfung. Müde lehnte er sich gegen den breiten Stamm einer Eiche, die am Wegrand stand. Ihre Blätter leuchteten im Licht der Sonne in allen Herbstfarben, doch er konnte sie kaum noch sehen. Das spärliche Gras um ihn herum wuchs noch einmal in aller Kraft und präsentierte sein sattes Grün, doch auch dies nahm er kaum war. Die Vögel kreisten am Himmel, die Letzten kurz vor dem Aufbruch nach Süden, doch auch sie bemerkte er nicht mehr. Der gesamte Wald schien vor seinen Augen zu verschwimmen. Ein undurchdringbarer Nebel schien ihm die Sicht zu versperren. Er versuchte ihn abzuschütteln, doch sein Kopf schmerzte bei jeder Bewegung und seine Glieder schienen taub geworden.

      Plötzlich glaubte er eine Bewegung ganz in seiner Nähe zu spüren und er schreckte wieder hoch aus dem dunklen Nebel, der ihn gefangen hielt. Ein alter Mann kam den Weg entlang, ein harmloser Wanderer mochte man im ersten Moment denken, doch bei genauerem Hinsehen erkannte man den langen Stock auf den er sich zu stützen schien als einen langen Speer. Er war klein und gedrungen wie die Isk. Seine kräftigen Beine stützten mühelos das leichte Gewicht auch auf langen Tagesstrecken. Der gesamte Körper gebaut, um Tage und Nächte lang unterwegs sein zu können, auch in unwegsamen Gelände. Sein ergrautes Haar trug er in zwei dicken Zöpfen und aus seinem flachen Gesicht funkelten wachsam ein paar brauner Augen, doch diese Augen leuchteten in einem schwachen gelben Licht.

      Er war ein Meister. Ein Isk-Meister. Gefürchtet unter seinen Feinden, die vor allem seine magischen Fähigkeiten nicht missachteten, wenn sie klug waren. Die Meisten gingen solchen Gefährten lieber aus dem Weg, solange es ging. Nur die Menschen waren nicht besonders klug, denn sie ahnten nicht, was für gewaltige Kräfte noch in den Meistern stecken konnten.

      ANDERSWO

      Ein leiser Wind wehte durch die verlassenen Gassen der Stadt des Berges, Shin'Anrar, gebaut zum Trotz gegen den Dämon des Chaos Anrar. Eine uneinnehmbare Festung hieß es in vieler Münder, eine der letzten Zufluchtsstätten der Isk und kaum einer kannte diesen Ort, denn die wenige, die doch von ihm wussten hüteten ihr Geheimnis gut. Doch nun war Unglaubliches geschehen. Die Stadt war verlassen. Vollkommen leer waren die Häuser, die Straßen, alles. Trostlos stand die Stadt in den Bergen und blickte über das weite Land, doch es herrschte Totenstille in ihr, auch wenn keine Toten zu sehen gewesen waren.

      Nur ein einziges, winzig und verloren wirkendes Lebewesen bewegte sich so lautlos wie möglich über die steinernen Wege. Obwohl die junge Frau ihre Füße leise aufsetzte und nur leichtes Schuhwerk trug, hallten ihre Schritte hundertfach an den Wänden der leerstehenden Häuser wider. Als wäre es ein verzweifelter Versuch der Stadt doch noch ein paar Geräusche erklingen zu lassen. So wie es eigentlich sein sollte, denn auch wenn die Isk ein verfolgtes Volk waren, konnten sie trotzdem auch ein sehr lautes sein. Es war unheimlich und unvorstellbar in solch einer Stadt absolut gar nichts zu hören, wenn man gerade stehen blieb.

      Die Frau blieb stehen und lauschte angestrengt, vernahm jedoch nur die Laute ihres eigenen Atems. Der Wind spielte vorsichtig mit ihrem Mantel, als wage er es nicht, sich allzu deutlich bemerkbar zu machen. Ihre Lippen zitterten leicht, als sie versuchte einige Tränen zu unterdrücken. Irgendetwas Schreckliches war geschehen und sie waren zu spät gekommen, um helfen zu können oder wenigstens herauszufinden, was es war, das Shin'Anrar leergefegt hatte. So durfte es nicht sein. Nein, so durfte es nicht sein und so hätte es nie sein dürfen.

      Sie drehte sich herum und sah, wie ein Mann die Straße heraufkam. Er war nicht sehr groß und mehr dürr als schlank. Er trug eine weite, schwarze Hose und ebensolch ein Hemd, das für die Kälte, die hier oben herrschte viel zu dünn wirkte. Ein langer Umhang fiel lose über die Schultern und an seinen Füßen trug er schwere Stiefel. Bewaffnet war er mit einem langen Schwert, das an seiner Seite hing, denn sollten sie auf Menschen stoßen, würde es mit Sicherheit kein friedliches Zusammenkommen werden.

      Sorgfältig betrachtete er die Straßenseiten auf der Suche nach jedem kleinsten Hinweis, der ihnen nützlich sein konnte. Leider gab es nicht noch so einen kleinen. Wegen ihr war auch er hier, der Mann den sie liebte. Er hatte sich von ihr überreden lassen, wenigstens einmal vorbeizusehen, denn sie hatte es gefühlt,