Plötzlich hatte Willi eine Idee. Er hörte zu spleißen auf und schaute Rainer an. Dann sagte er: „Mach’s doch einfach so: Immer, wenn Eberhard dich nachts anruft, dann rufst du ihn zurück, wenn du morgens aufstehst. Na?“
„Gute Idee“, pflichtete Rainer bei. „Der Haken ist nur, dass Eberhard kein Telefon in seinem Schlafzimmer hat.“
„Hmmm.“ Willi dachte nach. Plötzlich schnippte er mit den Fingern. „Zusatzklingel“, sagte er.
„Zusatzklingel?“
„Nun komm doch endlich“, drängte Lotte. „Wir müssen noch baden.“
Rainer reagierte nicht. „Und was willst du damit machen?“ fragte er.
„Ich kann dem Eberhard so’n Zusatzwecker ans Telefon anschließe’ unn in der Schlafstubb’ installiern.“
Plötzlich hatte Rainer Spaß wie ein kleines Kind beim Anblick einer elektrischen Eisenbahn. „Und der Wecker klingelt mit, wenn ich anrufe?“ fragte er lachend.
Willi nahm die Mütze ab und wedelte sich Luft zu. „Klar, der klingelt mit.“
„Und wie laut ist so ein - Wecker?“
„En klaane iss net lauder als’e Telefon. Gibt aber auch größere - große Wecker halt.“
„Und die sind lauter?“
Willi nickte. „Oh ja. Die scheppern richtisch!“
Rainer konnte nicht mehr ruhig stehen bleiben. „Und du würdest das Ding - ich meine...“
„Moment“, sagte Willi und stieg aus dem Loch. „Ich weiß nett, ob ich so einen noch auf’m Bus hab’.“ Er klopfte sich den Sand von den Füßen und zog die seitliche Schiebetür auf. Dann kroch er ins Chaos hinein, in dem keine Intelligenz noch etwas hätte aufstöbern können. Außer Willi. Er beherrschte das Durcheinander wie ein Dompteur eine Bestie. Ein einziger Griff genügte, um den Bestand zu erkennen. „Nee“, sagte er bedauernd.
„Mist“, zischte Rainer.
Lotte zupfte wieder an Rainers Ärmel. „Ich spüre gerade im Magen und in den Knien, dass dunkles Unheil aufzieht.“ Es konnte nichts Gutes bedeuten, wenn Rainer sich mit gleichen Mitteln bei Hardy bedanken wollte. Gott sei Dank, es war kein Wecker da. Zeit genug, den Gott des Unheils einzuschläfern, bevor er Lust bekam, seinen Charakter rauszulassen. „Willst du nicht endlich mitkommen?“ fragte sie.
Aber Rainer, der sich noch nicht befriedigt hatte, bat um ein wenig Geduld. „Noch zwei Minuten.“
„Lass doch endlich diesen Blödsinn“, warnte Lotte. „Das gibt nur Ärger.“
Und dann, noch bevor Rainer sagen konnte, sie solle endlich ruhig sein, kam Willi mit einem monströsen Teil in der Hand wieder aus dem Bus herausgekrochen. „Ich hab’ da noch’n alt’ Industriehup’ gefunde’“, sagte er. „Hab’ ich irgendwann ma‘ in ‘ner Fabrik ausgebaut.“
„Eine Industriehupe?“ Rainers Augen leuchteten. „Ist das Ding laut?“
Auf diese blöde Frage reagierte Willi fast beleidigt. „Machst du Witze?“ Hat man je eine leise Hupe gehört? Hupen sind eben dazu da, dass sie laut sind, und Willi erklärte es dem Bäcker. „So’n Teil wird überall da eingesetzt, wo man’s weeeeiiiit hör’n muss, oder wo viel Krach iss. Zum Beispiel in ‘nem Flaschenabfüllbetrieb. Weiste, wie laut’s da iss?“
„Da versteht man sein eigenes Wort nicht“, sagte Rainer.
„Ja“, antwortete Willi. „Aber dat Ding hier, dat hörste da selbst noch mit Kopfhörern.“
Rainer schlug Lotte vor Spaß aufs Kreuz und lachte laut. „Mensch Willi, und diese – Hupe…?“ Rainer bekam Schnappatmung, aber Willi wusste, was er sagen wollte.
„Klar. Ich muss nur gugge, wo ich se hin mach, damit der Hardy se net findet. Vielleicht unners Bett? Ja, das wär’s! Unn wenn ich die Hup’ an seinem Bett festschraub’, dann wackelt der Kaste’ sogar mit, wenn de anrufst. Da is‘ Schmackes dahinter, sag ich dir.“
Rainer hing an Lottes Schulter. Seine Knie waren weich geworden vor Lachen, so dass er Halt suchte. Tränen schossen aus seinen Augen. „Das gibt’n Spaß“, keuchte er. „Stell dir das vor, Lotte. Ich kann mit meinem Telefon Eberhards Bett schütteln. Und das -“ Er holte Luft zu neuem Lachen. „Und das morgens um vier, wenn er angesäuselt dem Frühstück entgegenschlummert.“ Rainer kriegte sich nicht mehr ein. Er wankte zu Willis Bus, lehnte sich dagegen und schlug mit der flachen Hand gegen das Blech. „Wie laut…“ – er prustete – „wie laut ist die denn so ungefähr?“
Willi hob die Hupe in die Höhe und betrachtete sie von allen Seiten wie einen seltenen Smaragd. „Also do degege…“, er hielt sie Rainer vor die Nase, „do degege is ä LKW-Horn en Blockflöt‘. Die schafft mit Pressluft. Damit übertönste jedes Rockkonzert.“
Jetzt konnte Rainer sich nicht mehr halten. Er ging in die Hocke und stützte sich auf dem Pflaster ab. Mit der anderen Hand wischte er sich die tränennassen Wangen trocken. „Wann machst du’s fest?“ presste er mühsam hervor.
„Wird ä bissje schwierisch“, sagte Willi. „Ich muss Löcher bohr’n, Kabel lege’, und ich muss in sei’ Schlafstubb neikomme’. Ich mach’s, sobald die Luft rein iss. Ich sag’ dir abber Bescheid, sobald ich’s drin hab.“
Rainer packte Willis Hände und schüttelte sie heftig. „Ich danke dir“, schniefte er. „Das werd’ ich dir nie vergessen. Mach’s gut, und arbeite nicht so viel, ja?“
Jetzt schaltete sich Lottes Logik zu Wort. „Willi macht also die Hupe fest und sagt dir Bescheid, wenn sie sitzt. Und irgendwann rufst du den Hardy an, damit es ihn aus dem Bett schleudert. Hab ich das so richtig verstanden?“
Nun war es um Rainer geschehen. Er konnte kein Wort mehr reden. Ein paar Mal deutete er mit dem Finger auf Lotte, wollte etwas sagen und musste wieder abwinken, weil er kein Wort raus brachte. Ab und zu sog er röchelnd Luft ein, und dann platzte der nächste Lacher aus ihm heraus.
Lotte war von diesen Ausfällen wenig beeindruckt und sagte: „Tolle Idee. Und wenn jemand vor dir anruft? Dann tutet die Hupe nicht, was? Nur bei dir?“
Das Lachen erstarb, der Witz war verpulvert. „Äh…“
„Ja, äh, du Vollpfosten.“
„Kaa Problem“, sagte nun Willi. Die schafft jo mit Pressluft unn braucht Strom. Ohne Strom klappt die nett. Do mach ich einfach en Zeitschaltuhr rein unn dann iss die nur zwische Zwo unn Sechs aktiv. Do kann nix passiern. Do ruft eh kaner oh – außer Rainer.“
Jetzt zwang es ihn wieder in die Knie, und der nächste Brüller verließ seine Lungen.
Willi sprang in das Loch hinein und machte sich wieder an die Arbeit.
„Warum tust du das?“ fragte Lotte den Willi.
„Was, die Hup‘ ins Schlafzimmer mache‘?“ antwortete er, ohne den Blick von seiner Arbeit zu nehmen.
„Ja“, antwortete Lotte. Sie hoffte insgeheim, Willi zur Raison bringen zu können, indem sie ihm vor Augen führte, dass er gar kein Motiv dafür hatte, seinen Schwiegervater mit einer höllisch-lauten Puste zu knechten. Aber auch das ging leider in die Hose.
„Weil ich für Hardy immer nur der Depp bin“, sagte er nun fast in Hochdeutsch. „Er traut mir nix zu und betituliert mich wie jemanden, der nett alle Tassen im Schrank hat. Jetzt soll er ruisch mal merken, dass ich auch was drauf hab, und sei’s nur wenn es darum geht, ‚ne Hupe in seiner Schlafstubb zu installiern.“
„Meinst du nicht, dass Eberhard sich denken kann, wer das getan hat? Der dreht dich durch’n Wolf, Willi.“
„Wurscht! Des isses mir wert.“
„Macht, was ihr wollt!“ Lotte legte Rainer einen Arm um die Schultern. „Los jetzt, du Narr. Wir gehen heim.“ Damit zog sie ihn von diesem unheilvollen Loch weg.