Top Angebot - Schnell zugreifen. Marlin Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlin Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738009705
Скачать книгу
Wunsch sollte sich relativ schnell manifestieren. Und das alles nur, weil Helga an diesem Nachmittag eine Zeitungsannonce... Aber lies doch selbst.

       Um vier Uhr an diesem Samstagnachmittag öffnete Eberhard die Kneipentür und einige Fenster, um vor dem ersten Ansturm noch einmal kräftig zu lüften. Der Mief vom Vorabend hing noch in den Balken. Er richtete die Zapfhähne, ließ ein paar Liter Bier ablaufen und überprüfte die Kühlung. Dann setzte er sich an den Stammtisch und blätterte die Tageszeitung durch.

       Helga kam aus einem kleinen Nebenraum, wo Krimskrams wie Bierdeckel, Minisalami und Käse am Stiel aufbewahrt wurde. Sie setzte sich neben Eberhard und sagte: „Der Käse geht bald zur Neige.“

       „Bestell neuen“, antwortete Eberhard knapp. Er blätterte weiter in seiner Zeitung und Helga kiebitzte. Die nächste Seite war gespickt mit großflächigen Anzeigen. ‘HERBST IN DEN DOLOMITEN’, las Helga. Als Eberhard weiterblättern wollte, hielt sie seine Hand fest. „Warte“, sagte sie. „Ist das nicht ein Superangebot? Zehn Tage Dolomiten für nur 439 Mark. Hardy, sollten wir nicht...“

       „Nein.“

       „Aber warum denn nicht?“

       „Kein Geld.“

       Helga bohrte weiter. „Das ist doch ein Top Angebot, da muss man schnell zugreifen. Hör mal Schatz, wenn...“

       Eberhard neigte den Kopf, so dass zwischen Kinn und Hals eine Speckfalte entstand, die er genüsslich kratzte, so wie er es immer tat, wenn er eine Meinung zu verteidigen hatte, von der er selbst nicht so recht überzeugt war. „Trotzdem. Wir müssten die Kneipe zumachen. Damit wäre das Angebot nicht mehr so top. Oder?“

       Helga gab nicht auf. „Aber es könnte doch jemand die Kneipe übernehmen. Es sind nur zehn Tage. Hardy-Bärchen, hm?“

       Eberhard ließ die Zeitung sinken. „Wer um alles in der Welt sollte das wohl sein, der unsere Kneipe übernimmt? Etwa Rainer? Der muss morgens um drei aufstehen.“

       „Vielleicht Willi?“ fragte Helga vorsichtig.

       „Habe ich Willi gehört?“ Eberhard erheiterte sich. „Diesen Postpenner willst du hinter die Theke stellen? Zehn Tage lang? Nein, Lotte, schlag dir das aus dem Kopf. Weißt du noch, wie er sich beim letzten Altstadtfest angestellt hat?“

       „Aber Sabine ist doch bei ihm.“

       „Nein, nein und nochmals nein“, wetterte Eberhard. „Willi kommt mir nicht hinter die Theke.“

       „Und Jockel?“

       „Na ja.“ Eberhard musste zugeben: „Immerhin weiß er mit einem Zapfhahn umzugehen.“

       „Da hast du’s. Vielleicht kommt er ja heute Abend. Dann fragen wir ihn gleich, ja?“

       „Helga, das geht in die Hose“, sagte Eberhard. „Ich hab’ kein gutes Gefühl dabei, wenn wir die Kneipe alleine lassen.“

       Helga schaute Eberhard mit klimpernden Augen an, bis er weich wurde und nachgab. „Lass es uns versuchen, ja? Nur dieses eine Mal.“

       Von der schmalen Holztreppe her, die zum ersten Stock führte, war nun ein Krückstock zu hören, mit dem Elfriede Boltersdorf sich vorsichtig nach unten bemühte. Sie stocherte mit dem Stock auf den Stufen herum, bis sie, wie sie es zu nennen pflegte, wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Und mit diesem Stock - er war zum Gehen nicht unbedingt notwendig und sollte nur Mitleid erregen - stieß sie die Tür zur Gaststätte auf. Eine Weile blieb sie im Rahmen stehen und fokussierte, so gut es eben durch die dicke Brille möglich war, ihren Sohn Eberhard. Als dieser seinen Blick nicht von der Zeitung nahm, sagte sie mit zittriger Stimme: „Willst du deiner alten Mutter nicht durch diesen Sündenpfuhl helfen?“

       Eberhard seufzte. „Ja, Mama.“ Er erhob sich und ging zu seiner Mutter, um ihr seinen Arm zur Verfügung zu stellen. „Übrigens, hast du eben Sündenpfuhl gesagt? Wir sind doch keine Lustherberge.“

       „Aber gesoffen wird hier. Tagtäglich.“ Betont klapprig stöckelte sie an Eberhards Arm durch die Gaststätte, bis sie sich neben Helga auf der Bank niederlassen konnte. „Weißt du, was das für deine alte Mutter für ein Kampf ist, jeden Abend im Bett diesen Lärm hören zu müssen, bis endlich alle gegangen sind?“

       „Mutter, das haben wir doch schon hundertmal durchdiskutiert“, sagte Eberhard ruhig. „Wir leben halt von dieser Gaststätte. Zwar nicht gerade üppig, aber trotzdem drücken wir für dich jeden Monat ein paar schöne Mark ab.“

       „Sündenlohn.“

       Eberhard schlug mit der Hand auf den Tisch und wurde laut. „Den du mit beiden Händen einraffst.“

       Elfriede schaute beleidigt weg. „Dein Bruder geht jedenfalls einer geregelten Arbeit nach.“

       „Und ruhig ist es da auch, nicht wahr?“ patzte Eberhard.

       Elfriedes Stimme klang ein wenig weinerlich, als sie sagte: „In der Tat. Aber er hat ja keinen Platz für mich. Er würde mich bestimmt gern aufnehmen.“

       „Aber nicht für lange“, murmelte Eberhard.

       „Was hast du gesagt?“

       „Nichts.“

       Die Diskussion, die sich so oder so ähnlich mindestens zweimal im Monat abspielte, wurde unterbrochen, als Jockel mit Annette zur Tür hereinstapfte. „Hey, Leute“, sagte er, und Annette hob dazu die Hand zu einem zarten Winken.

       Helga begrüßte das Paar erfreut. „Hallo, ihr beiden. Probe beendet, Jockel?“

       „Klar, eh. Haben bald unseren ersten Gig.“

       „Gig?“ kauzte Elfriede. „Komm, setz dich einmal zu mir, mein Junge.“

       Jockel setzte sich neben die alte Frau und schüttelte seine Mähne. „Ja, Gig, Oma. So nennt man einen Auftritt. Und Annette ist mein Groupie.“

       Elfriede tätschelte Jockel lachend die Schulter. „Du mit deinen Fachausdrücken.“

       „Oma ist’n Fan von euch, Jockel“, witzelte Eberhard.

       „Lass den Jungen nur machen“, antwortete Elfriede. „Er wird euch alle noch in die Tasche stecken. Schließlich hat er studiert, nicht wahr, Jockel?“

       „Ja, Musik und Deutsch. War echt ein fettes Kapitel, eh.“

       „Und wie viele Instrumente spielst du?“ fragte Oma weiter.

       „Einige. Aber in der Band nur die Schießbude, und manchmal ‘ne Klampfe.“

       Helga beugte sich vor. „Und Bier zapfen kannst du auch, nicht wahr, Jockel?“

       „Total, Mädchen.“

       Sie schaute Eberhard an, und als er nicht reagierte, fragte sie weiter. „Könntest du auch eine Gaststätte führen?“

       Jockel lachte. „Hab’ doch studiert.“

       Als ob er auf ein Stichwort gewartet hätte, brachte nun Eberhard sich ein. „Pass auf, Jockel“, sagte er. „Helga und ich wollen mal ‘ne Woche lang die Gräten ausstrecken. Und da brauchen wir jemanden, der den Karren hier lenkt.“

       „Klar, Ong.. – äh – Eberhard, mach ich doch, Mann.“

       „Im Oktober?“ fragte Helga.

       „Jederzeit, Leute. Nicht wahr, Annette?“

       Das Mädchen schaute entgeistert drein.

       „Fahrt ihr nur weg“, bestimmte Elfriede. „Der Jockel macht das schon. Habe ich recht?“

       „Klar. Und damit ich’s lerne, ziehe ich mir jetzt gleich einmal ein Bier aus dem Hahn.“

       „Aber ob das gut geht?“ fragte Annette.

       Helga begriff die Frage nicht. „Warum?“

       „Ihr habt ein ruhiges Publikum, das vorwiegend aus älteren Herrschaften besteht“, erklärte Annette. „Da kann man Jockel mal als Gast dazwischen setzen. Aber hinter der Theke?“

       Noch nie hatte Annette etwas zu seinem Outfit gesagt, in zwei Jahren nicht. Aber jetzt schaute