Top Angebot - Schnell zugreifen. Marlin Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlin Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738009705
Скачать книгу
Verdammt nochmal: „Teil - chen!“ Lotte holte tief Luft. „Das wäre wirklich kein Problem, wenn wir eine Großbäckerei wären. Rainer würde so gerne ein Café in der Altstadt eröffnen. Seit Jahren sucht er nach einem geeigneten Objekt, aber glauben Sie, wir würden etwas finden? Es ist wie verhext.“ Veronika verschränkte die Arme vor der Brust und schaute erhobenen Kopfes schräg zur Seite. „Was geht mich ihr nicht existentes Café an, Frau Boltersdorf? Und was würde es ändern, wenn es doch bestünde?“ Lotte nahm nun die Fäuste von den Hüften und hob erklärend die Hände. „Wir würden mehr Auswahl haben als hier in dem kleinen Provinzladen.“ Frau Kleinschmidt tippte mit dem Zeigefinger gegen den Daumen. „Erstens, haben Sie kein Café, und zweitens keine Kaffeestückchen. Und nach dieser Armut, die ich heute hier antreffe, werde ich mir gut überlegen, ob ich nicht den Bäcker wechsle. Das nächste Mal bringe ich mir meine Teilchen gleich aus der Stadt mit (so, wie ich es dritten Freitag androhe). Dann bin ich wenigstens sicher, etwas auf dem Tisch zu haben, wenn meine Freundinnen kommen.“ Diese widerliche Ignoranz zwirbelte Lottes Puls hoch. Sicherlich schütteten die Nebennieren auch eine Festtagsportion Adrenalin aus, weshalb sie nach Erleichterung suchte. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag.“ „Ach was, echt?“ Lottes Fäuste krampften sich in die Schürze. „Ja. Verlegen Sie ihre Kaffeekränzchen doch einfach auf einen Tag, an dem wir Teilchen übrig haben.“ Veronika machte kehrt und riss die Tür auf. Das Geschepper der Glöckchen stand dem von Karstens Auftritt in nichts nach. „Unverschämtheit. Auf Wiedersehen.“ In diesem Moment kam Bäcker Rainer Boltersdorf in den Laden. „Gibt es Probleme, Frau Kleinschmidt?“ Sie schmollte. „Nein, jetzt nicht mehr.“ „Wieso? Haben Sie eine Quelle gefunden, aus der bis fünf Uhr ein paar Kaffeestückchen sprudeln?“ Die Kundin drehte sich auf dem Absatz um. „Sie haben alles mit angehört, was?“ Rainer nickte. „Richtig. Sie hätten gerne zehn Teilchen. Ich will sie Ihnen geben.“ Lotte fiel die Klappe runter, sodass ihr Mann hätte drauftreten können und Veronika schaute verunsichert Rainer an. Rainer lauerte. „Das ist ein Top-Angebot. Sie sollten schnell zugreifen. Also?“ „Hmmm“, machte Veronika. „Und wo kommen die so schnell her? Ich dachte, Sie haben keine.“ „Ich hab’ welche. Frisch gebacken. Noch heiß. Na, wie klingt das?“ „Tja, Herr Boltersdorf, wenn Sie mich fragen...“ „Zwölf Mark, Frau Kleinschmidt, für zehn heiße Kaffeestückchen.“ „Einpacken“, antwortete Veronika. „Ich bin ja wohl von Ihnen abhängig. Rainer ging in die Backstube zurück, öffnete den Ofen und holte ein gemischtes Sortiment von zehn Teilchen heraus. Behutsam schob er sie in eine Tüte mit der Aufschrift ‘Aus 100% Altpapier, dafür garantiert Ihr Bäcker Rainer Boltersdorf’. Dann ging er wieder nach draußen und überreichte die duftende Ware seiner Kundin. Lotte hielt die Hand auf und wackelte mit den Fingern. „Zwölf Mark“, sagte sie knapp. Den Zusatz ‚Aber dalli‘ verkniff sie sich, auch wenn er ihr auf der Zunge brannte. „Wirklich sehr mysteriös“, murmelte Veronika, hob die Schultern, bezahlte und ging. „Wo kommen die denn so plötzlich her?“ flüsterte Lotte, als könne Frau Kleinschmidt sie noch hören. Rainer grinste. „Reste von gestern. Sie wollte ja unbedingt welche haben, also hab’ ich schnell ein paar aufgebacken. Der Ofen war eh noch warm.“ Lotte küsste ihren Mann. „Du bist ein raffiniertes Ekel.“ „Mit einem Altstadtcafé würde uns das nicht passieren“, sagte Rainer. „Oh Mann, wenn ich mir doch nur diesen Wunsch erfüllen könnte. Ich würde alles dafür geben.“ Lotte strich ihrem Mann zart über die Wange. „Ich weiß, mein Lieber. Aber selbst, wenn wir ein geeignetes Haus dafür fänden, wie wolltest du deine Wünsche denn finanzieren?“ Rainer hob die Schultern. „Diese Frage stellt sich uns zurzeit nicht, und ich frage mich, ob sie sich uns je stellen wird. Es wird wohl kaum jemand sein Haus in der Altstadt verkaufen. Die einzige Alternative wäre, geeignete Räumlichkeiten anzumieten. Aber auch da sieht es schlecht aus. Also vergessen wir die Frage nach der Finanzierung.“ „In Ordnung“, sagte Lotte. „Hast du jetzt noch etwas zu tun?“ „Ja, ich muss noch mal in die Backstube.“ Lotte seufzte. „Nun gut. Aber komm erst einmal mit in die Küche. Da sitzt einer, der mir Sorgen bereitet.“ Sie gingen in die Küche und setzten sich an den Tisch, wo Karsten in einem Comicheftchen blätterte. Lotte riss ihm das Heft aus der Hand. „Sag mal, bist du noch ganz dicht? Kommst einfach so holterdiepolter in den Laden, während ich mich mit Frau Kleinschmidt unterhalte und verkündest freudestrahlend, dass du in Mathematik eine Fünf geschrieben hast.“ Flatsch, die Schelle saß. Karsten rieb sich die Backe. „Ich hatte aber mit einer Sechs gerechnet“, verteidigte er sich. „Sei bloß still, Freundchen“, zischte Lotte. „Wir hätten dich nicht auf die Realschule schicken sollen. Dafür hast du eben nicht genug Grips.“ „Red so keinen Unsinn“, sagte Rainer. „Der Junge ist nicht dumm.“ „Dann ist er eben nur faul. In jedem Fall müsste man sich mehr um ihn kümmern.“ Rainer zog die Augenbrauen hoch. „Schau mich nicht an. Ich muss noch mal in die Backstube.“ Lotte holte tief Luft. „Also bleibt es wieder an mir hängen. Wo steckt eigentlich Annette? Die könnte das ja schließlich auch einmal übernehmen.“ „Die ist doch mit Jockel unterwegs“, sagte Karsten mit einer abfälligen Handbewegung. „Auf die ist doch kein Verlass.“ „Spar dir deine lockeren Worte und nimm dein Mathematikheft raus“, zischte Lotte. Rainer baute sich bedrohlich vor seinem Sohn auf. „Und vor allem, erwähne diesen Namen nicht noch mal. Hast du verstanden?“ „Du meinst: Jockel?“ fragte Karsten. Und dann bekam er erschöpfend Auskunft. Rainers Hand flutschte ihm ins Genick, was unmissverständlich klar machte, dass er sich mit seiner Ahnung, es könnte sich um den Namen ‘Jockel’ handeln, auf dem richtigen Weg befand. Karsten rieb sich die brennende Stelle und sagte: „Okay, okay. Aber was hast du eigentlich gegen - ich meine -“ „Verschone mich mit diesen verdammten Amerikanismen“, schimpfte Rainer nun. „Wir haben genug schöne Ausdrücke in unserer deutschen Sprache. Da muss man sich nicht dieses ausländischen Wirrwarrs bedienen. Anstatt ‘okay’ kann man zum Beispiel ‘in Ordnung’ sagen. Außerdem: welcher vernünftige Mensch redet schon in Abkürzungen, es sei denn, er ist faul? Was heißt schon ‘okay’? Sagen wir in Deutschland vielleicht iO, wenn alles in Ordnung ist?“ „Oh Mann, seid ihr heute beschissen drauf“, stellte Karsten fest. „Das geht mal wieder alles auf – sein – Konto, nicht wahr? Den hast du doch gefressen.“ „So ist es.“ Rainer schlug sich die Hand vor die Stirn. „Einen, der solch einen Zimt redet, kann man doch nicht ganz ernst nehmen.“ „Jetzt reicht es aber“, fuhr Lotte auf. „Wir machen jetzt Mathematik, und du verschwindest in der Backstube.“ Sie drehte sich Karsten zu. „So. Schlag dein Heft auf. Wird’s bald?“ Der Junge gehorchte. Er öffnete ein Heft, das mit Butter- und Kakaoflecken ausgeschmückt war. Irgendein Künstler hatte außerdem versucht, die Flecken mit Kugelschreiber zu verschönern. „Allmächtiger Heiland“, stöhnte Lotte, „das ist doch wohl nicht dein Schulheft?“ „Doch. Aber das hat Walter getan“, versicherte Karsten. „Egal, wer das war. Mit diesem Heft kannst du nicht mehr vor den Lehrer treten. Jetzt nimmst du ein neues heraus und führst die letzte Aufgabe zu Ende. Wollen doch mal sehen, ob wir dich nicht auf Vordermann bringen.“ Karsten ging an den Küchenschrank, in dessen breiter Schublade allerhand Kleinkram residierte. Er wühlte sich durch Unmengen von Kugelschreibern, Streichholzschachteln Schmierblöcken, Batterien, Büroklammern, Bleistiftspitzern und Radiergummis hindurch, bis er in diesem Chaos ein neues Heft gefunden hatte. Er nahm es heraus und setzte sich damit wieder an den Tisch. „So“, sagte Lotte kampflustig, „nun zeig mir mal, was ihr zuletzt gemacht habt.“ Karsten blätterte das verunstaltete Heft durch, so dass Lotte die Hände über dem Kopf zusammenschlug, bis er eine Seite mit wüster Schmiererei fand, bei der selbst der gebildete Lehrer Colombel nicht mehr durchgeblickt hätte. „Karsten“, entfuhr es Lotte. „Ja, ja, ich weiß.“ „Also ein bisschen mehr Ordnung musst du dir schon angewöhnen. Dieses Geschmier - also wirklich, Karsten. So geht es nicht. Und nun zeigst du mir, woran du zuletzt gearbeitet hast.“ „Hier“, sagte Karsten und deutete auf ein Gewirr von Linien und Buchstaben.“ „Was ist denn das?“ „Das Pascal’sche Dreieck.“ „Aha. Und was macht man damit?“ „Das Pascal’sche Dreieck findet Verwendung zur Lösung mathematischer Klammerausdrücke mit einer Hochzahl, zum Beispiel (a+b)².“ So ein Besserwisser! Lottes Miene verfinsterte sich. „Das hast du ja fein auswendig gelernt.“ Und während sie über der Thematik grübelte, bimmelten die Glöckchen an der Ladentür. Lotte ignorierte sie. Schließlich war Rainer in der Backstube und wusste, dass sie sich um Karsten kümmerte. Er würde den Kunden bedienen