Vom Dorfmädchen zur Weltbürgerin. Isolde Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737507196
Скачать книгу
"Are you almost finished — bist du bald fertig?" Das Gesicht meiner Schwiegermutter verzog sich zu einem breiten Grinsen: "Are you almost finished — bist du bald fertig?", wiederholte sie folgsam. "Ja, gleich", rief ich.

      Nach jenem verlängerten Wochenende in Sacramento war es Zeit für meinen Mann und mich, unser zukünftiges Studentenleben einzurichten. Wiederum stiegen wir alle in das gewaltig große Auto meines zukünftigen Schwiegervaters, um damit nach Berkeley, einer hübschen Universitätsstadt, deren Campus über die Hügel der östlichen San Francisco Bay ausgebreitet lag, zu fahren. Drei Erwachsene — meine zukünftigen Schwiegereltern, die ältere Schwester meines Mannes und deren Baby — begleiteten uns. Eigentlich wollte ich diese schützende Familienenklave noch nicht verlassen. Gerne hätte ich mehr Zeit gehabt, mich in das tägliche Leben einzuleben. Da draußen wäre ich dann auf mich selbst gestellt.

      Die nordkalifornische Landschaft, die während dieser neunzigminütigen Fahrt an mir vorbeizog, holte Erinnerung an ein Buch über das Leben von Johann August Sutter, das ich vor langer Zeit gelesen hatte, hervor. Er hatte die Schweiz verlassen, landete 1839, nach einem Umweg über Santa Fe und Oregon, in San Francisco. All das Land, das ich sah, hatte er einmal besessen. Was mich aber viel mehr beschäftigte war die Frage, wie er es geschafft hatte sich von seiner Mutter zu verabschieden, wohl wissend, dass er sie mit größter Wahrscheinlichkeit nie wiedersehen würde. Welche Motivation, welche Verzweiflung, welche Entschlossenheit, welches Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und welchen Glauben an eine positive Zukunft in einem unbekannten Land musste ein Mensch aufbringen, um einen solchen Abschied ertragen zu können? Das hätte ich nicht gekonnt, fuhr es mir durch den Kopf. Flugzeuge, Luftpost und Telefongespräche waren das Glück meiner Zeit. Technologie verkürzte die Entfernung zu meiner Mutter. Sutters Briefe nach Hause waren etwa ein Jahr unterwegs. Somit musste er zwei Jahre auf Antwort warten, sollte sie überhaupt ankommen. In diesem Sinne lebte ich nicht in Pionierzeiten. Dies ist eine moderne Welt, dachte ich und hielt so eine drohende Panik in Schach. Her war ich nicht auf Besuch, hier würde ich ein Studium und eine Ehe beginnen.

      Das erste Quarter (die Universität von Kalifornien hatte kein Semester- sondern ein Quartalsystem) würde in einer Woche beginnen, zumindest für meinen Mann. Ich war noch damit beschäftigt, mein Gleichgewicht zwischen Selbstzweifel und Selbstvertrauen herzustellen. War ich verrückt, im reifen Alter von 28 Jahren ein Psychologiestudium zu beginnen, dazu noch in einer Fremdsprache? Konnten wir zwei Studenten eine Familie finanzieren?

      Solche Gedanken und die Anstrengung, mich diesem Land und dieser Kultur anzupassen, verursachten genug Stress, dass ich mein erstes Quartal verpasste. Zusätzlich musste unsere Eheschließung vorbereitet werden, denn für mein spezielles Visum war es Bedingung, innerhalb von drei Monaten zu heiraten. Dies war für sich genommen eine monumentale Sache für mich, die ich erstmal verdauen musste.

      Ich hatte eigentlich nie vorgehabt mich überhaupt zu verehelichen, ganz besonders nicht mit einem Mann aus einer anderen Kultur. Dieser Mann allerdings, hatte alle meine Grundsätze in dieser Beziehung verändert. Er war mein Traummann. Ich wollte bei ihm bleiben, zu ihm gehören und mein Leben mit im teilen.

      Obendrein hatten wir zwei verschiedene Pässe, die in Abwesenheit einer Ehe das Leben durchaus schwieriger gestalten könnten.

      Demzufolge empfand ich unsere Eheschließung als Formalität, von wenig Romantik begleitet. Jahre später allerdings mussten wir uns beide eingestehen, dass die ganze Sache uns im Stillen doch mehr beeindruckt hatte, als wir annahmen: Wir heirateten ohne die Anwesenheit von Familienmitgliedern, weißem Kleid oder anderem Tamtam und hatten demnach vor, einfach nur auf das Standesamt zu gehen und dort die vorgeschriebene Zeremonie über uns ergehen zu lassen.

      Dies jedoch war nicht ganz so einfach. Das County, in dem Oakland lag, schrieb das Tragen einer Krawatte vor. Aber es waren die 70er — in der Nähe von San Francisco! Die Hippies, Flower Power! Es war das Establishment und Konventionen bekämpfende, progressive, kreative Berkeley, Kalifornien. Keiner unserer Bekannten, die als Trauzeugen fungieren konnten, besaßen eine Krawatte. Deshalb heirateten wir schließlich in der Unitarian Church. Ein Freund meines Mannes aus Wehrdienstzeiten wurde zusammen mit seiner Krawatte und seiner Freundin unser Trauzeuge.

      Als wir in das Büro des Geistlichen kamen, wo die Trauung stattfinden sollte, war dieser nicht anwesend. Wir hatten unseren Termin verwechselt und kamen eine Stunde zu spät. Somit hatten wir unser Hochzeitsessen vor der Trauung, die nun am selben Tag am Nachmittag vollzogen werden sollte. Unsere Trauzeugen hatten uns eingeladen. Ihr Haus lag hoch auf den Hügeln und präsentierte uns vom Fenster aus die Bay in ihrer malerischen Schönheit. Sie präsentierten uns auch eine wunderschöne Hochzeitstorte. Endlich war es romantisch! Als schließlich die Trauung vorbei war, verabschiedeten wir uns herzlich voneinander. Mein Mann lud mich ein, mit ihm zur Bibliothek im nördlichen Teil des Campus zu kommen. Seitdem nennen wir den schönen Spaziergang über das herbstliche Gelände unsere Hochzeitsreise.

      Zwei Tage nach unserer gelungenen Hochzeit erhielten wir einen Telefonanruf von einem der vier Firmenchefs aus Sydney. Er war der Mann, welcher uns zu jenem Neujahrsempfang in sein Haus eingeladen hatte. Seine Frau und er waren auf einer Reise um den Erdball und wollten uns in unserer Studentenwohnung besuchen. Wir waren beide hocherfreut.

      Sie wussten nichts von unserer Vermählung. Erst als ich als Nachspeise den Rest unseres weißen Hochzeitskuchens servierte, erklärten wir uns. Das Ehepaar hatte ich immer als prinzipiell traditionsgebunden erfahren, aber mit sehr viel Toleranz. Deutlich war die Erleichterung auf ihren Gesichtern zu lesen, dass wir uns verehelicht und damit ihren Glauben an unsere anständigen Charakter bestätigt hatten.

      Dass ich die beiden so früh wiedersah, kam völlig unerwartet. Vielleicht war die Welt doch nicht so groß, wie ich angenommen hatte? Wir verbrachten nur ein paar Stunden miteinander, aber die Gefühle, die aus diesem Besuch resultierten, sind heute noch wach. Wir hatten Freunde in Australien zurückgelassen, wurden geschätzt, waren nicht vergessen.

      Von uns aus traten die beiden die lange Heimreise an. Sie mussten den gewaltigen Pazifik überfliegen, also etwa 13 Stunden sitzen! Der Mann überlies uns ein Buch, welches er gerade auf dieser Globusumrundung gelesen hatten: Die Tyrannei der Entfernung (The Tyranny of Distance). Er scheint sie besiegt zu haben.

      Während unserer ersten Wochen in Berkeley mussten wir in einem Studentenmotel wohnen, bis unsere Wohnung, die wir angemietet hatten, bezugsfertig war. Durch Zufall sah ich die Eröffnung des alljährlichen Münchner Oktoberfestes im Fernsehen. Obwohl ich grundsätzlich nicht von Heimweh geplagt war, traf mich dieses Dokumentarstück völlig überraschend und zu einem Zeitpunk der allgemeinen Unsicherheit. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten und meine Gefühle nicht verdrängen. Kein Zweifel, dass ich lieber zu Hause und nicht noch mal neu sein wollte. Schon wieder — war ich denn verrückt erneut ein neues Leben in einem neuen Land, in einer neuen Stadt zu beginnen? Obendrein hatte ich auch noch geheiratet und ein Studium begonnen! Ebenfalls kein Zweifel bestand aber, dass die Unterstützung meines Mannes und mein Stolz mein Durchhaltevermögen stärkten. Verrückt, oder?

      Offensichtlich war meine Fähigkeit Neues zu akzeptieren beinahe aufgebraucht. Dennoch wurde eben gerade diese Eigenschaft nach meiner Eheschließung schwer auf die Probe gestellt. Nach meiner Ankunft in San Francisco, beziehungsweise Berkeley, musste ich zum deutschen Konsulat, um meinen Wohnort im Pass ändern zu lassen. Nun musste mein Name, den ich 28 Jahre getragen hatte, gestrichen und mein neuer Name eingesetzt werden. In dem Pass, mit dem ich vor einem Jahr Deutschland verlassen hatte, war nun nur noch die Staatsbürgerschaft original. Ich fühlte mich nicht mehr von diesem Papier repräsentiert. Ich war nicht mehr aus München und hatte meinen Familiennamen verloren. Es schien mir, als ob ich eliminiert worden wäre und eine andere Person meiner Statt im Pass stünde. Dieses Problem meiner Identität war so groß, dass mein Mann mich mit blasser Gesichtsfarbe fragte, ob ich mir noch mal alles überlegen wolle.

      Ein weiterer Test meiner Widerstandskraft erfolgte in den ersten Wochen nach unserer Ankunft in Berkeley. Wir wohnten noch in jenem Studentenmotel und mussten deshalb abends jeweils in einem der vielen kleinen, gemütlichen Restaurants essen. Ich mochte das gerne, da ich so das Nachtleben meines neuen Domizils kennenlernen konnte. Als wir uns eines Abends