Vom Dorfmädchen zur Weltbürgerin. Isolde Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737507196
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das ich empfand, als mich eine Studentin mal fragte, wie ich denn nun meine Freiheit genießen würde. Ich verstand ihre Frage nicht. Nach einigem Nachhacken meinerseits wurde mir klar, dass sie nichts über die Teilung Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg wusste. Als ich erklärte, dass ich aus Westdeutschland, dem demokratisch-kapitalistischen Teil, käme, glaubte sie mir nicht. Am nächsten Tag aber suchte sie mich auf, um zu bestätigen, dass ich doch recht hatte mit den unterschiedlichen Staatsformen in Deutschland. Sie hatte jemand gefragt, nachdem sie, wie sie sagte, nicht glauben konnte, dass sie das nicht wusste. Ich habe sie ob ihres Mutes zu so viel Ehrlichkeit bewundert.

      Ein weiteres Mal war die Ungläubigkeit ganz meinerseits, als mir eine andere Studentin mitteilte, dass sie noch nie von der Deutschen Mark gehört hatte. Bislang hätte sie geglaubt, dass die deutsche Währung auch der Dollar sei. Was mich am meisten beeindruckte, war die Selbstverständlichkeit und ihr offensichtlich gesundes Selbstbewusstsein, mit dem sie solche Ignoranz eingestand. Freundschaftlich vertieften wir uns in ein Spiel, in dem wir die gegenseitige Unwissenheit über des anderen Land testeten. Neben herzlichem Gelächter konnte man immer wieder den erstaunten Ausruf: "Oh, wirklich?" hören. Wer da ohne Mangel ist, der werfe den ersten Stein!

      Manchmal, wenn ich auf dem Campus alleine war, stand ich still, um die frische, reine Wüstenluft zu atmen und meine gehetzten, zielorientierten Gedanken rasten zu lassen. In solchen Momenten konnte ich meine eigenen Nerven singen hören. Ich war mir bewusst, dass um mich herum, in jede Himmelsrichtung, 1.000 Meilen bizarre, schöne, aber auch gefährliche Sonora Wüste lag. American Samoa kam mir in den Sinn. Dort war ich inmitten einer gigantischen Wasserwüste, wenn man so will. Jetzt stand ich in einer schier endlosen Sand- und Steinwüste. Aber anders als in Samoa landeten und starteten hier täglich viele Flüge. Außerdem hatten wir ein Auto, mit dem man ja auch losfahren konnte.

      Diese Vorstellung wurde allerdings jäh gestört, als Arizona 1973 die erste Ölversorgungskrise erlebte. Sie machte mir klar, dass ein Motor alleine die Mobilität nicht sichern konnte und dass dieser Fleck Erde von funktionierender Versorgung von außen abhängig war. Meine Vorstellung lief kurze Zeit Amok, da ja auch Lebensmittel ohne Lastwagen nicht ankommen konnten.

      Unter Freunden und Bekannten war Humor das Vehikel, mit dem wir versuchten, unsere unterschwellige Angst vor dem leeren Benzintank zu unterdrücken. Da sie alle mit einem Auto auf den Campus kamen, hatten sie Grund zu bangen. Ein Pferd, meinten einige, würde uns Benzinfreiheit verschaffen. Sicher, meinten andere, man könnte an jeden Laternenpfahl, der auf dem College-Gelände stand, ein Tier anbinden. Das wäre mal etwas Abwechslung vom täglichen Einerlei. Ich schlug vor, dass ein Kamel wohl der Gipfel der Freiheit wäre, denn es bräuchte nur alle zwei Wochen zum Wassertank geführt werden. Mit anderen Worten, wir hatten viel Spaß, unsere Fantasie spielen zu lassen. Ich fühlte mich in diese Solidarität völlig mit eingeschlossen. Das Gefühl der Zugehörigkeit war während dieser Tage sehr präsent. Sicher wäre es stärker geworden, wenn nicht einige immer wieder auf meine ausländische Herkunft zurückgekommen wären, egal ob aus positiven oder negativen Gründen.

      Einer meiner Kurse, Entwicklungspsychologie, wurde von einer weiblichen Professorin geleitet. Sie war eine hervorragende, enthusiastische, unkonventionelle Rednerin und ein warmherziger Mensch. Mit jedem ihrer Studenten versuchte sie eine persönliche Verbindung herzustellen. Ich mochte sie sehr. Eines Tages kam im Rahmen der menschlichen Sprachentwicklung das Thema der bilingualen Erziehung auf die Agenda. Sie benutzte mich, um den Unterschied zwischen doppelter Muttersprache und dem Erlernen von Fremdsprachen als Erwachsener zu demonstrieren, denn Letzteres resultiert in einem Akzent, nebst anderen Fakten, betonte sie. Aber, so dozierte sie, solch ein Akzent würde von den Amerikanern im Allgemeinen als sexy empfunden. Diese Möglichkeit hatte ich noch nie bedacht! Tatsächlich — machte mich mein holpriges Englisch sexyer? Neben meinen anderen Schwierigkeiten mit Grammatik, Semantik und Kultur hatte ich da ja ein ausgleichendes Attribut, das mir bisher keine Dienste geleistet zu haben schien.

      Aber die Tatsache, dass ich Ausländerin war, wurde beileibe nicht immer positiv gesehen. Während einer Vorlesung in einführende Soziologie, bemerkte eine Studentin, dass die amerikanische Kultur als eine sehr junge zu verstehen wäre. Ohne lange Überlegung schloss ich an, dass man diese Kultur auch als Fortsetzung oder Weiterentwicklung einer älteren sehen könnte, da die Einwanderer ja kulturelles Erbe aus ihren Ursprungsländern mitgebracht hatten. Danach herrschte für ein paar Sekunden vollkommene Stille im Raum. Sofort war mir klar, dass ich in irgendein Fettnäpfchen getreten war. Eine Studentin klärte mich schließlich auf: Man könne da nicht zurück bis zur Mayflower gehen, meinte sie. Außerdem würden Ausländer dieses Thema sicher nicht nachvollziehen können. Nachdem ich verstand, dass man hierzulande eine junge und nicht eine mitgebrachte Kultur sein wollte, ging ich schnellstens zu meinen Freunden, um die Theorie zu prüfen und mich beruhigen zu lassen.

      Während ich noch damit beschäftig war, meine Anpassung voranzubringen, zeichnete sich schon das Ende vom Abenteuer Arizona ab. Die Arbeit meines Mannes in Phoenix war beendet. Er war nun in Iowa und später in Pennsylvania beschäftigt. Tausende von Kilometern lagen nun zwischen uns. Wir sahen uns nur in unregelmäßigen Abständen an Wochenenden. Ich fühlte mich wie in der Wüste gestrandet. Dass wir diese Situation nicht lange aufrechterhalten wollten, war uns klar. Mein Mann suchte nach einer anderen Firma, die uns wieder zusammenführte. Er wurde bald fündig, in Washinton, D. C., an der Ostküste. Er war begeistert und wir beschlossen, nachdem ich mein Sommersemester beendet hatte, dorthin umzuziehen. Wir konnten wieder zusammenleben. Dass der Unterschied zwischen unserem jetzigen Domizil und dem zukünftigen groß sein würde, war für mich erstmal nebensächlich.

      Wie schon bei früheren Umzügen, wurde der Gedanke, mein Leben in Arizona abzuschließen, von gemischten Gefühlen begleitet. Auf einer Seite des Spektrums waren die Erleichterung und die Freude, dass mein Mann und ich wieder zusammen sein konnten. Andererseits aber trauerte ich der riesigen Sonara-Wüste nach, an die ich mich so gewöhnt hatte und die ich liebte. Auch das Naturwunder des Grand Canyon konnte nicht mehr einfach erreicht werden, wenn man wollte. Das Flair des amerikanischen Südwestens mit der bizarren Landschaft, der einheimischen Bevölkerung und der Pioniergeschichte würde mich nicht länger umgeben.

      Aber nicht nur die physische Umgebung mit ihrer heilsamen Wirkung auf mich musste zurückgelassen werden. Meine Freunde zu verlassen war mir ein schmerzhafter Verlust. Sie waren nicht nur angenehme Begleiter in meinem dortigen Leben, sondern auch verlässliche Stützen gewesen. Ihre Toleranz, ihr Verständnis, ihre Weitsichtigkeit hatten mich sehr beeindruckt. Ich hatte mich mit ihnen pudelwohl gefühlt. Sogar jetzt noch versuchte eine von ihnen, mich auf positive Gedanken hinsichtlich meiner Veränderung zu bringen: "Es wird dir dort drüben gefallen. Es ist grün dort und sie haben vier Jahreszeiten", meinte sie.

      Ich hatte viel von ihnen gelernt und bekommen. Jetzt fühlte ich, dass ich ihnen etwas schuldig bleiben musste. Das Versprechen, mich zu melden sobald ich eine neue Adresse hatte, ließ ein kleines Hintertürchen nach Arizona offen. Es minderte den Abschiedsschmerz und gab Hoffnung, dass wir uns nicht total verlieren würden. Es wurde eine komplizierte Runde von Goodbyes.

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