Reginald. Johs. Georget. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johs. Georget
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004113
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in denen das ES Gedanken wälzte, Lösungen gefunden zu haben glaubte und doch wieder verwarf. Nein, dies war nicht richtig, jenes war falsch, immer wieder spielte es alle Möglichkeiten durch und fand an allem und jedem einen Makel. Hämtäm.“

      Hier musste sich Enno räuspern. Er war doch eigentlich kein Freund vieler Worte, weshalb er an solch lange Reden nicht gewohnt war. Nur seinem lieben Freund zuliebe beanspruchte er seine Stimme heute so sehr, dass ihm sein Hals ganz trocken geworden war.

      Reginald kam es komisch vor, dass sein Traum sich auf einmal räusperte. Träume räuspern sich doch nicht! Wo gibt’s denn so was? Notgedrungen, sozusagen gezwungenermaßen, musste nun Reginald also aufwachen, um nachzusehen, was mit seinem Traum nicht stimmte. Als er sich in seinem Kobel wieder fand, erkannte er auch die Stimme seines besten Freundes, die durch die Flechtwand seines Zuhauses nur schwach gedämpft an sein Ohr drang. Der fuhr gleich mit dem Erzählen fort. Regi aber blieb weiterhin muckseichhörnchenstill und spitzte seine Lauscherchen, damit ihm auch nicht die kleinste Kleinigkeit entginge.

      „Hämtäm. Makel also. Keinen einzigen wollte das ES zulassen, und mochte er auch noch so klein sein – makellos sollte seine Schöpfung werden, in sich selbst einen Sinn finden und so alles im Ganzen und jedes für sich im Einzelnen an seinem sinnvollen Sein sich erfreuen können. Und so saß es denn noch so einige illionen Dezennien da und kratzte sich gedankenverloren den Kopf. Und immer wieder umbrauste der Wind es mit seinem Fff, Fff, Fff.

      Da durchdrang plötzlich die lang ersehnte Erkenntnis sein Wesen. ES sprang ungeduldig auf, wanderte, von Unrast getrieben, hin und her. Wie gewohnt examinierte ES die Idee und suchte nach einem Fehler in seinem neuen Gedanken, suchte den Makel, den klitzekleinen, der sich doch sonst immer hatte finden lassen, beäugte sein Gedankenwerk von allen Seiten, belauschte und beklopfte es, hielt auch die Nase dran, ob da nicht doch etwas zu stinken begänne, und befand schließlich, nach eingehender Prüfung, dass es gut war.

      So erhob das ES sich selbst zu seiner vollen Erhabenheit und Größe und verkündete schließlich leuchtenden Auges, dem Winde zugewandt, den Finger hoch erhoben und sprach: Ich hab’s! Und danke dir, lieber Geselle Wind, denn das, was Allem einen Sinn gibt, das sagst du mir schon seit dem Anbeginn der Zeit. Fff, Fff und Fff!“

      Tiefste Nacht war es inzwischen geworden, mondhell zwar, denn der stand im Zenit und voll und rund und nur kleine, hauchzarte Schäfchenwölkchen schwammen dann und wann durch sein Gesicht, doch die Schlafenszeit für die meisten aller Tiere war längst heran. Erstaunt war Enno, wer alles sich um den Wohnbaum herum versammelt hatte und mit den Blicken an seinem Schnabel hing. Groß und Klein, Tag- und Nachtgetier, Räuber und Bejagte, Friedensstifter und Streitsucher waren einträchtig versammelt, um stille Ennos ausgedachter Geschichte zu lauschen, die doch eigentlich nur für seinen armen, einsamen Freund Reginald gedacht war.

      Zaghaft drang eine Stimme aus dem Kobel an Ennos Ohr. „Und weiter? Wie geht die Geschichte weiter? Was waren das für Fff’s?“ fragte Reginald. Mit Genugtuung nahm Enno wahr, dass sich nun nicht nur die Kobeltür einen Spalt weit geöffnet hatte, sondern dass endlich auch die Kruste, die um Regis Herz gewachsen war, kleine Risse bekam.

      Da beschied sich Enno selbst: Genug für’s erste. Für heute reicht’s. Und sagte für alle vernehmbar „Schlafenszeit. Gute Nacht und träumt recht schön. Morgen erzähle ich, wenn alle artig sind, den Rest der Geschichte.“

      Ein vielstimmiges „Oooooch!“ versuchte ihn umzustimmen, „Nur noch ein kleines bisschen!“ doch er blieb konsequent „Nur noch fünf Minuten!“.

      „Nein!“ blieb Enno hart „Schlaft jetzt. Und wenn ihr brav seid, geht die Geschichte morgen weiter. Gute Nacht!“

      Manch einer murrte, manch anderer knurrte noch, doch trappelte, glitt, flatterte denn schließlich alles und jedes seinem Heim, seinem Erdloch oder Nest, seiner Sasse oder Suhle zu, um sich zur Ruhe zu begeben.

      Einzig Reginald fand sie nicht, die Ruhe. Neugierde und Fantasie ließen ihn kein Äuglein schließen. So viele Fragen bemächtigten sich seiner. Was waren das nur für geheimnisvolle Fff’s? Waren die wirklich dem Wind abzulauschen? Konnte ein Eichhörnchen überhaupt jemals in seinem kleinen Leben hinter die Lösung eines solchen Rätsels kommen, wo doch dass ES bereits mehrere Äonen, zudem einige Zeitalter und dann noch Illionen von Dezennien dafür gebraucht hatte? Wie schade, dass es heute Nacht so windstill war! Wie gern hätte Regi dem Wind dessen Geheimnis abgelauscht!

      Gedanke um Gedanke jagten einander in Regileins Köpfchen und drohten ihn ganz wirr zu machen, aber bei aller Gefahr hatten sie doch ein Gutes: Sie warfen die bösen, garstigen, hinterlistigen hinaus, die sich so in einem Kopf hatten festsetzen wollen, dass schließlich gar nichts anderes mehr hineinzupassen drohte. Sie packten die sich in dem feinmaschigen, festen Netz der Geschichte windenden und zappelnden Hirngespinste, wirbelten sie so behände herum, dass sie, plötzlich losgelassen, wie eine Sternschnuppe im fernsten Himmel auf Nimmer-Nimmerwiedersehen verschwanden. Von diesem inneren Kampf völlig entkräftet, fand Reginald erst kurz vor Anbruch des neuen Morgens einen Schlaf, der so tief und fest und kräftigend war, dass er am folgenden Tag erst gegen Abend wieder erwachte.

      Als er erwachte rief er sogleich lautstark nach Enno „Enno, Ääääännoooo! Wo bist du? Äähäähäännoohoohoo! Enno, ke-ke-kek, so antworte doch!“

      Wie hüpfte da das Ennoherz vor Freude! Endlich, endlich hatte Regi wieder aus der Düsternis in sich selbst herausgefunden. Diese Freude wollte Enno genießen. Ein kleines Bisschen noch verhielt er darum still in der Ferne und beobachtete voll Wonne das Geschehen. Aber er war sich klar darüber, dass Reginalds Gemüt bei weitem noch nicht wieder so fest war, wie ehedem. Deshalb ließ er ihn auch nur drei Mal noch rufen, und als ihm der dritte Ruf seines Namens, dieses „Enno???“, schon doch ein wenig zaghaft schien, setzte er sich mit einem schrillen Adlerschrei in Bewegung, direkt auf seinen lieben Freund zu, der ihn ganz aufgeregt empfing.

      „Enno, Enno, Enno, wo bleibst du denn nur? Na, endlich bist du wieder da. Ke-ke-kaum schlafen konnte ich letzte Nacht, weil die Geschichte so spannend war und so mittendrin aufgehört hat. Das ke-ke-kannst du doch nicht mit mir machen, Enno, bitte, bitte erzähle sie weiter, bitte jetzt ke-ke-gleich sofort!“

      „Äh, ja, Geschichte also. Wo war ich gleich stehen geblieben?“

      „Na da doch, wo das ES die Lösung ke-ke-gefunden hat und dem Ke-ke-Gesellen Wind gesagt hat, dass sein Fff, Fff, Fff schon seit dem Anbeginn der Zeit die Lösung in sich trug.“

      „Ach so, nun gut, dann lass es uns uns gemütlich machen“ entgegnete Enno, plusterte sich auf und ließ Reginald sich in sein Federkleid hineinkuscheln. Mit lauter Stimme rief er in den Wald hinein „Fff, Fff und Fff! Es geht weiter! Wer hören will, der höre!“

      Urplötzlich war die Luft von Flirren und Flattern erfüllt, am Boden wurde emsiges Getrappel laut, trockenes Geäst knackte und Blätter raschelten im Gesträuch. Und so plötzlich, wie die Geräusche begonnen hatten, so rasch wurde es wieder still. Nur ein seichter Wind strich durch die Zweige, ließ dann und wann sein Fff, Fff, Fff hören und alle Ohren im Walde lauschten gespannt, wie die Geschichte weitergehen und wie sie schließlich enden würde.

      Da hub Enno an „Da setzte sich das ES dann nieder und ergriff die verschiedensten Materialien aus dem Nichts und schuf die Welt, den Wald und alle Wesen. Alles schuf es, was wir kennen und vieles mehr, was uns unbekannt ist und verflocht es auf das Feinste miteinander. Jedes bekam seinen Platz im Gefüge des Ganzen, jedes eine Wurzel, dass es wusste, woher es kam, und Sprossen, die es streben ließen, der Sonne und der Zukunft entgegen. Und Gefährten an seine Seite bekam ein jedes, die es von der Wurzel bis zum Spross geleiteten und ihrerseits gleich ihm in Wurzeln gründeten und mit ihren eigenen Sprossen strebten.

      Keine Ästelung eines noch so filigranen Baumes, kein noch so spinnefein gewebtes Spinnennetz, kein noch so seidenfeines Kokon, nicht die zarteste Äderung eines Ahornblattes kann offenbaren, wie fein das Gespinst des Lebens vom ES gewebt worden ist. Immer nur murmelte es leise vor sich hin ‚Hier fehlt noch ein Fff, dort gehört ein Fff noch hin, hier ist noch ein Fff vonnöten’ und so strickte, webte, klöppelte, flocht, spann und häkelte es und so murmelt es noch immer vor sich hin und so strickt und webt, klöppelt und