Reginald. Johs. Georget. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johs. Georget
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004113
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als Beilage auf dem Speiseplan. Heute ein besonders herzhafter aus scharf duftenden Bärlauchblättchen. Dazu gab es frische Tautropfen mit Anemonengeschmack, was ihn ganz besonders erfreute, weil diese zarten Gewächse den Wald erst seit wenigen Tagen wieder verschönten. Und nun auch noch zudem, als ganz besondere Köstlichkeit, das auserlesene Amsel-Frühstücksei.

      Genüsslich nagte er mal an dem einen, knabberte an dem anderen oder schlürfte vom nächsten und freute sich über das Frühstück, über das Sein, über den schönen Tag und darauf, was er heute noch so alles spannendes, lustiges und freundliches würde erleben dürfen. Und ahnte nichts von dem, was bald darauf geschah.

      Nach dem Frühstück gab er sich innigst der Lieblingstätigkeit aller Eichhörnchen hin und putzte sich blitzeblank, so dass auch kein einziges Krümelchen oder Flecklein oder Ungeziefer an ihm haften blieb. Gut gelaunt, gesättigt und geputzt legte er auf der nahen, nun schon sonnenbeschienenen Lichtung ein Päuschen ein und träumte, auf dem Rücken liegend, sich zusammen, wie er diesen wundervollen Goldtag zu etwas machen könne, was dieser allerdings seit Anbeginn der Zeit ohnehin schon war, nämlich einzigartig.

      Weil nun aber Eichhörnchen so einen klitzekleinen Kopf haben, noch dazu mit so riesengroßen Knopfaugen, bleibt darin nicht viel Platz für ein Gehirn. Und wenn dann das klitze-klitzekleine Gehirn auch noch immerzu damit beschäftigt ist, sich zu freuen und glücklich zu sein, bleibt nicht mehr viel Platz zum Denken und schon gar nicht zum Merken. Deshalb sind die Eichhörnchen nämlich so vergesslich und deshalb fiel Reginald auch nichts Einzigartigeres für diesen einzigartigen Goldtag ein, als das, was er ohnehin schon jeden Tag tat, nämlich sich selbst und alle anderen zu erfreuen.

      So hoppelte er denn auf der Suche nach etwas Schönem auf der Waldlichtung umher und fand alsbald ein Gänseblümchen. Da kam der dicke Herr Igel angeigelt, mit einem dicken Schneck im Maul, auch er war guter Dinge. Um sich gegenseitig eine Freude zu machen, beschenkten sie einander mit dem, was ein jeder gerade besaß, und was ihm wert gewesen war, es selber zu besitzen. Das ging natürlich nicht ohne das Waldritual, bei dem dem „Bitte“ das „Danke“ folgte und dem „Bitteschön“ das „Dankeschön“ und dann „Bittesehr“ und „Dankesehr“ und „Bitteschönsehr“ und „Dankeschönsehr“ und „Bittesehrschön“ und „Dankesehrschön“ einander ablösten, und Eichhorn und Igel einander auf die Schultern klopften bei jedem Wortwechsel – Reginald musste sich dabei sehr in Acht nehmen, um sich an den Igelstacheln nicht so doll zu pieken – und in unbändiges Gekicher ausbrachen und sich vor Lachen die Bäuchlein halten mussten und so lange Tränen lachten, und lautes Gekecker und Gefiepe den Wald erfüllte, bis es wieder gut war.

      Die Schnecke war dem Eichhorn suspekt – was gäbe es wohl auch daran zu nagen – doch ging es guter Dinge weiter, weil, sicherlich ist dies doch ein irgendwo willkommenes Geschenk, und traf dann auch bald die Ente, verschenkte die Schnecke und bekam dafür ein Kalmuswürzelchen geschenkt, wieder mit gleichem Ritual unter lautem Gekecker und Gegackere. Der Kalmus ging dann an den Hasen, von dem Reginald im Gegenzug einen alten, noch nicht ganz abgeknabberten Maiskolben bekam und Gekecker und Gemuckere schallte durch den Wald. Der Maiskolben ging für eine Nuss an die Maus, wobei Gepiepe und Gekecker die Waldgeräusche belebten und so ging es fort den ganzen lieben, langen Tag. Und Reginald war’s dabei niemals um Gewinn zu tun.

      Damals zu Hause, von seiner Mutter, lange war es schon her und in einem fernen, fernen anderen Wald gewesen, hatte er zusammen mit dem Segen den Spruch mit auf den Weg seines weiteren Lebens bekommen:

      Zwei Schlüsselchen öffnen dir jedes Herz,

      zwei liebliche, kleine, blanke,

      bewahre sie gut

      und vergiss sie nie.

      Gib gut acht auf:

      Bitte und Danke.

      Schon seit Ewigkeiten war es so gewesen, dass sich die Eichhörnchen-Söhne neue Reviere hatten suchen müssen, wenn sie erwachsen wurden, während die Töchter in der Nähe der Mutter blieben, bis sie selbst einen Horn-Mann gefunden, Hochzeit gehalten und eine Familie gegründet hatten. So war er denn voller Erwartung und ohne Groll losgezogen und hatte nach einer Wanderung von siebeneinhalb Tagen seine neue Heimstatt gefunden und Freunde fürs Leben und wollte sein selbsterwähltes Reich nie, niemals nicht und nimmer mehr, verlassen.

      Und so hatte er denn, dem Segen und Wahlspruch seiner Mutter folgend, „Bitte“ und „Danke“ zu seinem Lebensinhalt und zu seinem Markenzeichen gemacht und in die weite Welt hinaus getragen und schließlich in seiner neuen Heimat so für ein neues Ritual gesorgt. Niemand konnte sich seiner Freundlichkeit entziehen.

      Und so schenkte Reginald und ließ sich beschenken, keckerte in einem fort und regte alle anderen zum Kichern an. Stets bot er seine Gabe mit der galanten Geste eines Rosenkavaliers längst vergangener Zeiten dar und zu keiner Zeit war es ihm um seinen Vorteil zu tun. Stets war ihm doch nur daran gelegen, ein Bitte oder ein Danke zu verschenken oder als Geschenk zu erhalten und mit diesen beiden kleinen Schlüsselchen Herzen zu öffnen, Freude und Glück in die Türen hereinzubringen, durch die er trat.

      Jedes Mal, wenn ihm das gelungen war, hüpfte er vor lauter glucksender Glückseligkeit ein wenig im Kreis herum oder keckerte vor lauter Glück ein bisschen in sich hinein oder kletterte geschwind auf eine der vielen Baumwipfelspitzen, machte an einem Zweiglein in irrsinnigster Höhe ein paar Umschwünge und sprang dann, lauthals jauchzend, mit weiten Sätzen von Ast zu Ast, seiner nächsten guten Tat entgegen und schließlich auf den Waldboden zurück.

      Die Waldbewohner übernahmen die Gepflogenheit, Freude miteinander zu teilen und beschenkten einander bei jeder nur möglichen Gelegenheit. Drossel, Fink und Star, Frosch und Eidechse, Hirsch und Reh, Fuchs und Wildschwein, jeder schenkte Freude, und jeder wurde mit Freude beschenkt. Freundliche Geräusche erfüllten weithin den Wald und alle kicherten oder lachten, jauchzten oder jubilierten, alle waren glücklich. Solch ein schöner Tag sollte allen für lange Zeit im Gedächtnis bleiben. Besonders aber, obwohl doch so vergesslich, Reginald Eichhorn.

      Weil dies nämlich für lange Zeit sein letzter glücklicher Tag sein sollte.

      Mit stolz geschwellter Brust und stolz gewelltem Schwanz tänzelte Reginald seiner nächsten guten Tat entgegen, noch nicht ahnend, welche es wohl sein würde und wie gut sie ihm gelänge.

      So aus dem Augenwinkel bemerkte er da, noch ganz entfernt, ein Leuchten, ein kupfernes Glimmen, ein kleines güldenes Nuancchen heller, als sein eignes Kupferrot. Das machte ihn neugierig und aufmerksam und bald ahnte, spürte, fühlte er schließlich die Existenz eines Wesens seiner Art. Und richtig – er wandte sich dem Leuchten zu und sah einen kleinen Eichhörnchenrücken, bebend, wohl, so wie alle hier im Walde, vor Lachen. Hier, dachte er, wächst meine nächste gute Tat heran und ging stracks auf seinen Artgenossen zu. Am Waldesrand sah er da im Sonnenlicht eine einsame Huflattichblüte stehen und pflückte sie geschwind.

      Die ist zu beidem gut, meinte er bei sich, als Anblick für die Seele und für den Leib als Tee, als Hustentrunk, und dachte, das wäre doch ein schönes Bitteschön-Dankeschön-Geschenk. So näherte er sich, schnell noch seine Erscheinung einer kritischen Prüfung unterziehend, dem Wesen und war viel mehr als überrascht, als er sich einem kleinen, zuckend weinenden Eichhörnchenmädchen gegenüber sah, das so voller Unglück war, dass es sein Herz erbarmte.

      „Oh, schönstes Fräulein, mit dem ke-ke-güldnen Ke-ke-Glanz“ bei seiner Verbeugung übertraf er sich selbst um ein etliches, einen solch schönen Katzbuckel hatte der ganze Wald noch nicht gesehen „ist’s Herzelein ke-ke-gebrochen? Ich mach’ es wieder ke-ke-ganz!“ und überreichte ihr die Huflattichblüte mit einer Grazie, als wenn’s das allerschönste Waldorchideen-Bukett sei und sagte dazu „Bitte“ und reckte ihr, als ihm die Antwort versagt blieb, das rechte Ohr entgegen. Als er dann noch immer nichts als Schluchzen vernahm, blickte er sie wieder an und artikulierte, deutlich und laut „Bitteschön“. Doch auch das blieb ohne Erfolg. Als ihm aber dann, nach seinem dritten Anlauf, dem schon sehr deutlich akzentuierten „Bitteschönsehr“, noch immer nichts anderes als Schluchzen und Tränen zuteilwurde, schwand ein ganz kleines Bisschen das Glucksen aus seinem Bauch und machte einem ganz kleinen bisschen Groll Platz.