Reginald. Johs. Georget. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johs. Georget
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004113
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sich vergessend „ Was heulste’n so?“

      Nun endlich fasste sich das Mädchen etwas und gab zur Antwort „Ich..., ich weiß..., ich weiß nicht...“ und schon war die mühsam gewonnene Fassung wieder dahin und brach sich in einer erneuten Sturzflut Bahn.

      „Nu ke-ke-komm man schon“ sagte Reginald ganz gesetzt und, angesichts dieses Häufleins wirklichen Unglücks, wieder einigermaßen mit sich und seinem Stolz im Reinen. „Bis zur Hochzeit wird alles wieder gut“ tätschelte er ihr die Backe „das wird schon bald“ häkelte sich ihren Vorderlauf unter und ging mit ihr im Kreis spazieren. „So, Fräulein, tief Luft holen, Einatmen, Ausatmen, wird schon alles wieder. Das nehmen wir jetzt alles Mal ganz feste in die Pfoten, ke-ke-kek“ und trug so tatsächlich zur Beruhigung des Mädchens bei.

      Schließlich erzählte sie ihm, sie sei, weil ihr Vater früh am Morgen ganz fürchterlich geniest habe – das kam dem Reginald doch irgendwie bekannt vor – vor Schreck aus ihrem Kobel gefallen und hätte sich, statt brav wieder nach oben zu klettern, auf eigene Faust auf den Weg gemacht, um an diesem schönen Tag den Wald zu ergründen, und habe aber dabei eine der Grundregeln der Wildnis nicht bedacht, nämlich nur ja auf den Weg zu achten. So habe sie sich denn verirrt, sei in einen ganz fremden Wald gelangt, würde nie wieder nach Hause finden und stattdessen in der finsteren, finsteren Nacht, die nun ganz gewiss bald käme, ganz bestimmt von einem Drachen oder einem sonstigen, noch viel fürchterlicheren Getier, vielleicht sogar einer Eule, gefressen werden, wie das ihre Großmutter ihr und ihren lieben Geschwisterchen aus dem dicken Gutenachtgeschichtenbuch immer wieder vorgelesen hatte.

      Hier nun war Reginalds große Stunde für eine neue gute Tat gekommen. Oh ja, ganz gewiss würde das junge Fräulein den großen, starken Reginald für immer als einen Helden in ihrem Innersten bewahren. „Nichts“ sagte er mit leicht nach links versteiftem Hals, heruntergezogenen Schultern, aufwärts geöffneten Pfotenflächen, links hochgezogener Augenbraue und rechts angehobenem Mundwinkel „ke-ke-kleines Fräulein, nichts leichter, als das“ und stieß einen kurzen Pfiff aus. Augenblicklich ertönte ein lang gezogener, grauenvoller von A zu Gis abgleitender Pfeifton, der von allen Nagetieren dem dräuenden Weltenende gleichgesetzt wurde. Es verdüsterte sich der Himmel über ihnen und ein grausiges Rauschen hub an, ein fürchterlicher Sturm brach los, das Mädchen drückte sich an Reginald...

      ...und Enno Adler war gelandet. Das Mädchen verging vor Angst und hatte vor lauter Schreck das Weinen ganz vergessen, starrte wie hypnotisiert offenen Mundes auf den riesigen Schnabel, der sie nun bestimmt zuerst zerhacken, als nächstes zerfetzen, dann zerfleischen und schließlich verschlingen würde, stattdessen aber nur krächzte „Eh, hallo Regi, haste dir ’ne Krume angelacht?“

      „Quatschkopp, Enno, alter Geier. Bin doch nicht pädophil, man, mit solchen Ke-ke-Kinkerlitzchen geb’ ich mich doch nicht ab. Das ist ein ke-ke-kleines Mädchen, fast noch ein Baby, ich hoffe, das ke-ke-kannst du mit deinen Adleraugen auch noch ohne Lesebrille er-ke-ke-kennen, oder wirst du langsam alt, Alter? Also, das Mädchen braucht Hilfe, und das sollte doch für dich ein Ke-ke-Klacks sein. Du ke-ke-kennst doch alle Wälder hier in der Gegend und ke-ke-kannst bestimmt alle Eichhornkobel ausmachen. Was meinst du, machen wir fix eine gute Tat?“

      Das Mädchen ließ sich in der winzigen Hoffnung auf ein Überleben und mangels besserer Chance überreden und stieg mit Reginald dem Adler ins Genick. Dem Sturm dort oben während des Fluges waren sie gewachsen, weil sie bei ihren Ast-zu-Ast-Sprüngen ganz ähnliche Geschwindigkeiten erreichten, und so genossen sie schon bald den Flug. Der Adler kreiste scheinbar endlos lange in immer größer werdenden Kreisen über den Wald und die angrenzenden Waldgebiete und irgendwann, die Sonne drohte bereits unterzugehen, erkannte das Mädchen einen kleinen Weiher, der ganz in der Nähe ihres Kobels gelegen sein musste. Dort gingen sie nieder und fanden alsbald den Wohnbaum und den Kobel der Familie des Mädchens. In der Gewissheit, dass es ein großes Dankeschönfest zu Ehren des Retters geben würde, wollte Reginald seinen Freund Enno nach Hause schicken, damit der noch bei Tageslicht Heim käme. Er würde hier sicherlich bis spät in die Nacht hinein als Held gefeiert werden, mit Sicherheit würde man ihn dann bitten, doch über Nacht zu bleiben, und morgen würde er in einer vergoldeten, mit Samt und Seide ausgeschlagenen Sänfte nach Hause getragen werden – oder, nun ja, einen ausgiebigen Spaziergang nach Hause machen.

      Reginald sagte zu seinem Adlerfreund „Weißt du eigentlich, Enno, wie schön das ist, einen Freund zu haben? Ich meine, Enno, so einen, wie dich. Auf dich ist ke-ke-kek immer Verlass, ich danke dir, mein Freund“

      „Bitte“ sagte Enno und das „Danke“ folgte auf dem Fuße. „Bitteschön“, „Dankeschön“, „Bittesehr“, „Dankesehr“ und Kichern und „Bitteschönsehr“ und „Dankeschönsehr“ sowie „Bittesehrschön“ und „Dankesehrschön“ lösten einander ab, und Eichhorn und Adler klopften einander auf die Schultern dass die Federn stiebten, wobei Reginald sich wie eine Kegel-Kugel fühlte, weil die leichten Adlerschwingenklapse ihn immer wieder aus dem Gleichgewicht brachten und ihn einer davon sogar durch die Gegend kullern ließ, und sie brachen in unbändiges Gekicher aus und mussten sich schließlich vor Lachen die Bäuchlein halten und lachten so lange Tränen, und lautes Gekecker und Adlerpfiffe erfüllten den Wald, bis es wieder gut war.

      Enno flog.

      Reginald las eine wunderschöne Adlerfeder auf, steckte sie sich verwegen hinter sein linkes Pinselöhrchen und fühlte sich wie ein richtiger Indianerheld und so voller Glück, dass nichts und niemand ihm jemals etwas anderes als etwas Gutes würde antun können. Er nahm das Mädchen bei der Hand und gemeinsam gingen sie zum Eichhörnchenwohnbaum.

      Doch: Was für traurige Hörner erblickte Reginald da! Eine verweinte Eichhornmutter mit gebrochenem Herzen, einen Eichhornvater, dem sein Liebstes abhandengekommen war, klitzekleine Eichhörnchengeschwister mit hängenden, noch pinsellosen Öhrchen, die ihr Schwesterlein vermissten und eine Eichhörnchengroßmama, die vor Sorge ganz gram und um die Schnauze grau geworden war.

      Und wie war die Freude innig und groß, als sie alle ihr Töchterchen, Schwesterlein und Enkelchen wieder sahen.

      Reginald, der große Retter, kam sich als genau das vor und wollte gerade mit dem Vater das übliche Ritual beginnen, indem er „Bitte“ sagte, dem Alten auf die Schulter klopfte und „ke-ke-ke“ loskeckerte, als er ganz verdutzt zur Kenntnis nehmen musste, dass sich nun seinerseits der Vater völlig in Tränen auflöste und sagte „Hab Dank, doch ist für das was du getan hast, jeder Dank zu ke-ke-klein. Es wäre doch eigentlich als Vater meine Aufgabe gewesen, über meine Familie zu wachen und ihr Sicherheit zu geben, unser allerliebstes Töchterlein zu suchen, sie aufzuspüren und vor dem ganz gewissen Tod zu retten. Aber nein, dafür war ich zu dumm, zu schwach und auch zu feige. Wir stehen für immer in deiner Schuld! Besonders ich!“ und er neigte vor Reginald den Nacken so, als böte er ihn in Demut dem Schwerte eines Henkers dar.

      In ähnlicher Weise äußerten sich die Mutter, die meinte, selbst eine rechte Rabenmutter ließe ihr Kindchen nicht auf solche Weise im Stich, die Geschwister, die am Vorabend nach einem Streit mit dem Schwesterlein zu Bett gegangen wären, ohne sich vorher miteinander ausgesöhnt zu haben, die Großmutter, die sich selbst die Schuld für alles gab, weil sie doch das Mädchen mit ihren Geschichten so neugierig gemacht hatte auf das Leben, auf den Wald und auf die große, weite Welt. Sie alle fühlten sich gegenüber Reginald in einer unsühnbaren Schuld. So auch das Mädchen selbst, denn sie selbst sei schließlich Anlass zu all dem Ungemach gewesen.

      Ringsum war ein großes Weinen statt eines großen Dankeschönfestes. Das machte Reginald ratlos. Warum waren sie nicht einfach voller Freude, jetzt, wo doch alles wieder gut und ausgestanden war? Warum fühlten sie sich so sehr in seiner Schuld? Was war hier falsch gelaufen? Oder dachte er nur falsch?

      Mehrere Male setzte er erneut an, um zu erklären, dass es für ihn doch überhaupt nicht der Rede wert gewesen sei, dass ihm ein einfaches Danke gereicht hätte, dass ihm nur darum zu tun gewesen war, zu helfen und Freude zu schenken, eine gute Tat zu tun. Er kicherte und keckerte – ohne sich allerdings recht wohl dabei zu fühlen, denn niemand wollte das hören. Falscher Bescheidenheit würden sie nicht auflaufen, mit einem einfachen Dank wäre es nicht getan, so dass ihm schließlich vor lauter Fassungslosigkeit sein „ke-ke-kek...“