Zwielicht 11. Michael Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746734484
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die da auf Ihrem Schoß liegt. Sehr spät habe ich erkannt, dass nur ein Handel mich erlösen wird. Der Teufel liebt Geschäfte.“

      Er sagte das ganz ernsthaft und völlig ironiefrei.

      „Was für ein Handel?“

      „Ich muss einen neuen Besitzer finden, mich loskaufen.“ Der Alte starrte ihn an. „Verstehen Sie?“

      „Ich soll jetzt an Ihre Stelle treten? Damit mich dasselbe Unglück ereilt?“ Simon konnte es nicht fassen. „Das haben Sie sich ja fein ausgedacht. Für wie dämlich halten Sie mich eigentlich? Mal vorausgesetzt, ich nehme Ihnen diesen ganzen Hokuspokus überhaupt ab.“

      „Aber Ihnen wird nichts geschehen, junger Mann. Sie haben es selbst in der Hand.“

      „Ihnen ist alles Unglück der Welt widerfahren, aber mir wird nichts geschehen?“, fragte Simon.

      „So ist es. Sie können die Platte so oft hören, wie Sie wollen, es wird nichts passieren. Sie müssen nur der Versuchung widerstehen, sie auch nur ein einziges Mal rückwärts abzuspielen. Das ist alles.“

      Das machte alles überhaupt keinen Sinn, aber Simon war es langsam leid und er hatte schon deutlich mehr Zeit hier verplempert als ihm lieb war. Er wollte die Sache beenden. Der Raum war überhitzt, die Luft zum Schneiden dick, das Ticken der Standuhr mittlerweile unerträglich und ein pulsierender Kopfschmerz hatte sich hinter seiner Stirn eingenistet. Er musste hier raus.

      „Okay“, sagte er schließlich, „ich glaube, das schaffe ich. Hundert Euro?“ Simon zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche, nahm einen grünen Schein heraus und legte ihn auf den zugemüllten Wohnzimmertisch.

      „Hundert Euro“, antwortete der Alte. „Aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“

      Simon erhob sich, nahm die Schallplatte unter den Arm und streckte dem Mann im Sessel die rechte Hand entgegen.

      „Werde ich nicht.“

      Heinrich Kind schüttelte die ihm gereichte Hand, ohne sich aus dem Sessel zu erheben. „Dann werden wir uns in dieser Welt nicht mehr sehen. Alles Gute, junger Freund.“

      „Ihnen auch, Herr Kind.“

      Simon wandte sich zur Tür, drehte sich dann aber noch einmal um. „Eine Sache noch: Sie wissen, dass Boleskine House letztes Jahr zu großen Teilen niedergebrannt ist?“

      Der Alte blickte ihm in die Augen.

      „Seit fünfundvierzig Jahren bin nicht mehr dort gewesen. Aber letzten Winter bin ich noch einmal zurückgekehrt. Es musste ein Ende haben. Ich habe dafür gesorgt, dass die anderen drei teuflischen Artefakte ein für alle Mal vernichtet werden und mit dem Haus untergehen. Da sie nie in meinem persönlichen Eigentum standen, war ihre Zerstörung unproblematisch.“

      Das war nun der Höhepunkt der Unglaubwürdigkeit. „Sie haben Boleskine House abgefackelt?“

      Der alte Mann starrte wieder aus dem Fenster, so als ob er auf etwas warten würde. Oder auf jemanden.

      „Ich hätte es viel früher tun sollen“, sagte er mehr zu sich selbst, ohne Simon eines weiteren Blickes zu würdigen. Simon wartete eine Weile, ob der Alte noch etwas sagen würde, doch der blieb stumm. Simon nickte und ging. Die Standuhr schlug Zwölf, als er die Tür hinter sich zuzog.

      Er trat ins Freie trat und atmete tief durch. Was für ein irrer Vormittag und was für ein merkwürdiger, trauriger alter Mann. Den Erwerb dieser Schallplatte würde Simon nicht mehr vergessen, so viel stand fest. Es wäre eine Geschichte, die er seinen Enkeln noch erzählen konnte.

      Es folgte ein feuchtfröhlicher Abend mit seinen Freunden und er erzählte ihnen jedes Detail seiner Geschichte. Leicht angetrunken und gut gelaunt kam Simon nach Hause. Um den Abend feierlich abzuschließen, streifte er die Schuhe ab und legte seine Neuerwerbung auf den Plattenteller. Behutsam setzte er die Nadel auf die Rille des letzten Tracks der B-Seite und regelte die Lautstärke hoch. Das weltberühmte Intro von ‚Stairway to Heaven’ erklang kristallklar und voluminös aus seinen B&W-Boxen.

      Aus einer Schublade nahm er die gelbe Dose mit Fischfutter heraus und ging zum Aquarium.

      „Keine Angst, ich vergesse euch nicht“, sagte er zu den zwei Dutzend bunten Tieren und streute großzügig Futter ein, während er Robert Plants Gesang lauschte. Er holte eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und genehmigte sich einen letzten Schlummertrunk. Simon ließ sich auf dem Zweisitzer nieder, den er zentral zu den Boxen ausgerichtet hatte, und nahm einen großen Schluck aus der Dose. Im Kopf ging er noch einmal das Gespräch mit dem Alten durch.

      „Warum eigentlich nicht“, sagte er zu sich selbst. „So ein Schwachsinn.“

      Er erhob sich und ging zum Plattenspieler. Mit der Hand stoppte er die Umdrehung des Plattentellers, was mit einem sägenden, verschwurbelten Geräusch aus den Lautsprechern quittiert wurde. Behutsam begann er die Platte rückwärts zu drehen. Ein dröhnendes, kakophonisches Kauderwelsch war zu vernehmen, dann nur noch ein tieffrequentes Wummern und Simon wollte die Platte schon wieder loslassen. Da schlugen ihm so unerwartet heftig und laut Worte aus den Boxen entgegen, dass er vor Schrecken zusammenzuckte.

      „I sing because I live with Satan.

      The Lord turns me off, there’s no escaping it.

      Here’s to my sweet Satan, whose power is Satan.

      He will give you 666.

      I live for Satan.“

      Simons Nackenhaare richteten sich auf, das Herz pochte schmerzhaft in seiner Brust. Dann war es vorbei und nur ein kratzendes Rauschen drang noch aus den Lautsprechern. Der Alte hatte nicht übertrieben. Die Botschaft war tontechnisch verdammt gut abgemischt.

      „Wow“, sagte er überrascht zu sich selbst und gab den Plattenteller frei. Der Song wurde bis zu seinem großartigen Finale fortgesetzt. Simon trank sein Bier aus und legte sich schlafen.

      Als er am nächsten Morgen mit leichten Kopfschmerzen erwachte, drängte sich ihm der Verdacht auf, dass das letzte Bier vielleicht eines zu viel gewesen sein könnte. Er quälte sich aus dem Bett und steuerte das Badezimmer an. Unterwegs warf er einen Blick auf das Aquarium. Seine Fische entdeckte er nicht. Simon rieb sich die Augen und trat einen Schritt näher. Er hatte sich getäuscht. Die Tiere waren nicht verschwunden. Sie trieben mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche. Tot. Jeder einzelne Fisch.

      „Na endlich!“, fauchte Berthold Flieder, als sein Enkel Fabius abgehetzt die Buchhandlung betrat. „Wo hast du dich um Himmels willen nur herumgetrieben? Der Laden ist voll, das Telefon klingelt ohne Unterlass, auf dem Tresen stapeln sich die auszuliefernden Bücher … Und wo bleibst du?“ Fabius wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, doch sein Großvater drückte ihm stattdessen eine Plastiktüte in die Hände. „Das muss zu Frau Molte, Schlossparkstraße 12. Und beeil dich diesmal gefälligst ein bisschen.“ Der Alte wandte sich schon ab, um sich einem Kunden zu widmen, der erwartungsvoll vom Krimiregal aus zu ihnen herüberschaute.

      Fabius lagen tausend Fragen auf der Zunge, die die nervenaufreibenden Erlebnisse auf seiner heutigen Tour betrafen. Doch er sah ein, dass er das auf später verschieben musste, wenn sie beide ungestört sein würden. Allerdings eines wollte er trotzdem wissen: „Opa!“ Der Buchhändler drehte sich mit unwilligem Gesichtsausdruck zu seinem Enkel um. „Gibt es da vielleicht eine Kleinigkeit zu Frau Molte, die ich wissen sollte und die du in der Eile nicht erwähnt hast?“

      Berthold Flieders Miene war das Abbild reinster Unschuld und Ahnungslosigkeit. Nur der Anflug eines Errötens störte diesen Eindruck. „Was meinst du denn damit, mein Junge?“, fragte er mit einem Räuspern. „Frau Molte ist eine langjährige Stammkundin von mir. Sie sammelt begeistert Liebesromane. Letzten Monat kaufte sie Sündige Leidenschaft von Thorsten Doyle und In der Schwüle einer Liebesnacht von Britta Tomsen.“