Zwielicht 11. Michael Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746734484
Скачать книгу
kennen Jimmy Page persönlich?“

      „Oh ja, Junge.“ Er nahm einen weiteren großen Schluck Rotwein.

      „Und Sie haben ihn 1970 in Boleskine House in Schottland besucht?“

      „Gewiss doch.“

      „Und er händigte Ihnen eine Schallplatte aus, die es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab?“

      „Ich weiß, wie sich das anhört. Aber wussten Sie, dass dieses Haus zu Beginn des zwanzigsten Jahrhundert für über ein Jahrzehnt Aleister Crowley gehörte, dem berüchtigten Okkultisten und Satanisten?“

      „Ja, ist mir bekannt. Ich weiß, wer Aleister Crowley war. Jeder weiß das, seit Ozzy seinen Song ‚Mr. Crowley’ geschrieben hat“, antwortete Simon. Er konnte es nicht fassen, welche Richtung dieses Gespräch einschlug. „Und?“

      „Oh, Sie halten das alles für ausgemachten Blödsinn, ist es nicht so? Das kann ich in Ihren Augen sehen. Sie denken, der Alte ist verrückt und erzählt nur Schwachsinn, man sollte ihn einweisen.“

      In der Tat, dachte Simon.

      „Crowley war zu Lebzeiten ein Widerling durch und durch. Zahlreiche Geschichten ranken sich um seine Person. Und ich weiß“, fuhr sein Gegenüber fort, „was Crowley in diesem Haus für Rituale und Zeremonien abgehalten hat.“

      „Zeremonien?“

      „Kennen Sie die Geschichte von Crowley und dem Fleischermeister?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Alte fort. „Der ortsansässige Fleischer war zu Boleskine House rausgefahren, um wie üblich Aleisters Bestellung entgegenzunehmen. Doch dieser öffnete ihm nach mehrmaligem Klingeln nicht. Erst nachdem der Metzger sturmgeläutet hatte, riss Crowley völlig entnervt die Tür auf und fragte, was der Störenfried denn wolle. Er war, was der Metzger nicht wusste, gerade in ein magisches Ritual vertieft gewesen und das Klingeln hatte ihn aus seiner tiefen Konzentration gerissen. Crowley nahm einen Zettel und notierte wütend seine Bestellung. Den Zettel drückte er dem verdutzten Fleischer in die Hand, dann schlug er ihm die Tür vor der Nase zu. Der Metzger begab sich in seine Fleischerei zurück. Auf der Rückseite des Zettels, auf den Crowley seine hastige Bestellung geschmiert hatte, befand sich auch ein von Crowley aufnotierter Zauber. Kurz darauf hackte sich der arme Kerl mit einem Fleischerbeil alle Finger der rechten Hand ab. Etwas hatte ihn abgelenkt und seine Konzentration gestört.“

      „Nette Geschichte“, sagte Simon.

      „Das ist nicht bloß eine Geschichte. Ich weiß von den sexuellen Ausschweifungen, Opferungen und den Anbetungen, und Jimmy wusste es natürlich auch. Er war besessen davon.“

      „Ach, jetzt ist es schon ‚Jimmy’? So eng waren Sie beide?“

      „Werden Sie nicht frech! Was wissen Sie denn schon, was mich und Jimmy damals verband? Diese Schallplatte, besser, die vier Platten aus dieser Serie wurden mit einem besonderen Zauber Crowleys belegt und in ‚Stairway to heaven’ steckt die geballte schwarzmagische Kraft der Zerstörung.“ Die Augen des Alten leuchteten vor Ereiferung.

      Simon brach in lautes Gelächter aus.

      „Die geballte schwarzmagische Kraft der Zerstörung? Verzeihung, aber das ist der größte Mist, den ich je gehört habe. Okay, jetzt weiß ich es: Sie nehmen mich auf den Arm? Das ist ein Test, nicht wahr?“

      Dann prustete er wieder los, Tränen schossen ihm in die Augen. „Gleich erzählen Sie mir noch, dass, wenn man ‚Stairway to heaven’ rückwärts abspielt, eine satanische Botschaft zu hören ist. Gott, ist das herrlich.“

      „So ist es“, schrie der Alte, der aus dem Sessel aufgesprungen war. Simon zuckte zurück. „Ganz genau so ist es. Und es ist wahr! Jede Silbe davon ist wahr!“ Der pure Wahnsinn spiegelte sich in seinen Augen.

      „Hören Sie“, versuchte Simon sich zu beruhigen und den Alten zu besänftigen. „Es tut mir leid, Herr Kind, das ist Quatsch. Ein PR-Gag, der zahllose Vollidioten dazu veranlasst hat, ihre Platten und Nadeln zu ruinieren, indem sie versuchten, die Scheibe rückwärts laufen zu lassen. Da der Plattenspieler das nicht kann, machen sie es per Hand und schrotten ihre Platten, sodass sie gezwungen sind, neue zu kaufen. Und durch den ganzen Hype von wegen geheimer Botschaften und Satanismus werden noch mehr Alben umgesetzt. Ein Marketingtrick. Das ist alles.“

      „Das ist nicht alles.“ Eins musste man dem Alten lassen: Er war standhaft.

      „Ich habe es ausprobiert. Ich war einer dieser Vollidioten.“

      Alle Kraft wich plötzlich aus seiner Stimme und er ließ sich erschöpft in den Sessel fallen. „Natürlich hatte ich meine Zweifel, aber ich habe es ausprobiert. Ein einziges Mal nur. Gleich in der Woche, in der ich aus Schottland zurückkehrte. Es ist diese Stelle ‚If there´s a bustle in your hedgerow don´t be alarmed now’. Wenn man ab hier die Platte rückwärts abspielt, kann man die Teufelsbotschaft wahrnehmen. ‚I sing because I live with Satan’, beginnt es. Ich habe die Botschaft gehört und dann kam das alles. Auf den regulären Pressungen, die in den Handel kamen, ist davon nichts zu hören. Aber diese vier …“

      „Was meinen Sie mit‚ und dann kam das alles.“

      Der alte Mann sah ihn mit leerem Blick an. Er wirkte jetzt nicht mehr verrückt, sondern nur alt und traurig. Plötzlich tat er Simon leid.

      „Ich habe alles verloren.“

      Der Alte schenkte sich ein weiteres Glas Wein ein, nahm eines der benutzten Gläser vom Wohnzimmertisch und goss auch Simon ungefragt ein halbes Glas ein, womit er die Flasche leerte. Simon wollte nicht pingelig sein und nahm einen Schluck. Der Wein schmeckte besser als erwartet.

      „Im Sommer 1970“, begann sein Gastgeber, „hatte mich Jimmy eingeladen, nachdem er in Boleskine House bei Loch Ness eingezogen war. Aleister Crowley und seine okkulten Theorien faszinierten ihn. Ich war damals, das kann man getrost sagen, ein anerkannter Kenner dieser Materie und hatte mich bereits zuvor intensiv mit Crowleys Schriften befasst. Wussten Sie, dass er auch Bergsteiger war und beim Erstbesteigungsversuch des K2 dabei? Seine Bergsteigerkarriere endete allerdings auf sehr unrühmliche Weise.“

      „Ich weiß, angeblich hat er Bergkameraden im Stich gelassen, es gab Tote.“

      „Ja, so sagt man. Irgendwie endete alles bei Crowley auf recht unrühmliche Weise. Jedenfalls hatte mich Jimmy schon kurz nach Erwerb des Anwesens kontaktiert, ob ich ihm bei der Aufarbeitung und Auswertung von Crowleys Arbeiten nicht behilflich sein könnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jimmy schon eine beachtliche Sammlung an Memorabilia zusammengetragen und ich war erstaunt, ja beeindruckt ob seines Wissens über Okkultismus. Bis dahin hatte ich ihn lediglich für einen Rockmusiker gehalten. Ich dachte mir: Ein Sommer mit Jimmy Page, das hieße Drogen, Alkohol, Frauen, interessante Leute und ausufernde Partys. Was hatte ich schon zu verlieren? All das gab es, aber wir befassten uns ernsthaft mit Crowleys Wirken. Vieles davon war dummes Zeug, aber nicht alles. Oh nein, nicht alles.“

      Der Alte schaute eine Weile aus dem Fenster, dann fuhr er fort.

      „Und dieses Anwesen. Boleskine House. Es war Mitte des achtzehnten Jahrhunderts errichtet worden und diente ursprünglich als Jagdsitz. Sein Erbauer, Colonel Archibald Campbell Fraser, war zwar kein Satanist oder dergleichen, aber er war nicht weniger narzisstisch veranlagt als Crowley. Die Familie Fraser hatte das Gebäude über die Jahre immer wieder umgebaut und erweitert, bis es am Ende ganz verwinkelt und unübersichtlich war. Einige Anwohner im Dorf behaupteten, der Ort sei bereits vor Errichtung des Anwesens verflucht gewesen. Eine örtliche Legende besagt, an der Stelle habe viele Jahre zuvor eine Kirche gestanden. Während eines Gottesdienstes brach ein Feuer aus und die Türen ließen sich nicht mehr öffnen. Für die versammelte Kirchengemeinde wurde das Gotteshaus zur Todesfalle. Sie konnten nicht raus und alle Gläubigen kamen in den Flammen um. Und ich schwöre Ihnen, Junge, in einer der langen, stillen Winternächte, die ich dort verbrachte, habe ich im Kellergewölbe die Schreie dieser armen Seelen gehört.“

      Der Alte war leichenblass. Die Standuhr tickte erbarmungslos laut, der ganze Raum schien