I Ging. Andrea Seidl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrea Seidl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783844263381
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schnell und bringen unsere Erinnerungen durcheinander. Da so manche Antwort erst im Nachhinein Sinn ergibt, wäre es schade, wenn wir dann nicht mehr genau wüssten, wie damals eigentlich unsere Frage war. So gesehen empfehle auch ich jedem I Ging-Anfänger, sich zumindest stichpunktartig Frage und Antwort in einem kleinen Notizbuch aufzuschreiben oder ein I Ging-Tagebuch anzulegen.

      Andererseits wird auch immer wieder betont, wie wichtig die Formulierung der Frage sei. Diese Meinung teile ich nicht ganz. Das I Ging versteht, worum es uns geht, auch ganz ohne Worte. Es ist gewiss wertvoll, darüber nachzudenken, welcher Aspekt unserer Frage uns am meisten bewegt, da eine kluge Frage die Antwort oft schon in sich birgt. Und gewiss sind gedankenlose, unbewusste Fragen dazu geeignet, uns in noch größere Verwirrung zu stürzen, etwa wenn wir fragen: „Was ist besser, dieses oder jenes?“. Aber ganz abgesehen davon zielt die Antwort des I Ging immer genau ins Schwarze, selbst wenn unsere Frage vielleicht aufgrund eigener Vermeidungstendenzen nur am Rande blieb. Ich selbst formuliere meine Fragen weitgehend sehr offen, wie etwa: „Was ist der nächste Schritt?“, „Was ist im Augenblick besonders wichtig?“, „Was muss ich zu diesem Thema wissen?“… Wenn wir so vorgehen, brauchen wir allerdings eine geistige Flexibilität, die erspürt, wohin die Antwort zielt. So manches Mal wird uns erst durch die Antwort unsere eigentliche Frage bewusst werden.

      Konkretere Fragen könnten so aussehen: „Was geschieht, wenn ich … tue?“ „Welche Einstellung soll ich gegenüber XY einnehmen?“

      Die Offenheit der Fragestellung ist wichtig, weil wir in konkrete Formulierungen oft unsere falschen Grundannahmen hineintragen, so dass eine passgenaue Antwort zu einem Ding der Unmöglichkeit wird. Das passiert etwa bei der beliebten Frage „Was soll ich tun?“, gerne gestellt von aktiven Feuermenschen, die meinen, das Leben immer im Griff haben zu müssen. Wenn es im Leben dieser Aktivisten aber gerade einmal wichtig wäre, in sich zu gehen, zu spüren und den Handlungszwang loszulassen, dann muss das I Ging die gestellte Frage umgehen. Genauso problematisch ist die Frage: „Wie soll ich mich verhalten, um … zu erreichen?“ – Und was ist, wenn es gar nicht im Sinn des Kosmos ist, dass wir diese begehrte Sache bekommen? Sie merken schon: nur mit beharrlicher Achtsamkeit können wir die vielen Fallen umgehen, die uns das Ego stellt.

      Die Münzmethode

      Um mit dem I Ging in Kontakt zu treten, brauchen wir nicht mehr als drei gleichartige Münzen. Hübsch sind natürlich die chinesischen Lochmünzen, die es im Handel gibt, aber im Grunde tun es auch drei banale Fünfzig-Cent-Stücke.

      Jede Münze hat zwei Seiten, Bild und Zahl, die wir Yin und Yang zuordnen. Da die Zahl ein Symbol für die linke, logische Hirnhälfte ist, steht sie dem männlichen, leistungsorientierten Yang näher, während die Bildseite der rechten Hemisphäre entspricht und damit dem weiblichen Yin.

      Im letzten Kapitel habe ich schon von den beiden Zuständen gesprochen, die Yin und Yang jeweils annehmen können. Diese spielen bei der Orakelbefragung eine wesentliche Rolle. Noch einmal zur Erinnerung: es gibt das ruhende Yang, das ruhende Yin, das bewegte Yang und das bewegte Yin, also vier verschiedene Möglichkeiten, die wir beim Münzenwerfen in bestimmten Mustern codieren.

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      Nachdem ich meine drei Münzen in der hohlen Hand geschüttelt habe, werfe ich sie gleichzeitig und betrachte, mit welcher Seite nach oben sie jeweils zum Liegen kommen. Dabei gibt es die gerade beschriebenen vier Alternativen:

      Zahl, Bild, Bild: Wenn bei den drei Münzen zweimal Bild und einmal Zahl oben liegt, wird dieses Muster vom einzelnen Yang geprägt. Es steht für stabiles Yang.

      Bild, Zahl, Zahl: Wenn zweimal Zahl und nur einmal Bild erscheint, handelt es sich analog um ruhendes, stabiles Yin.

      Zahl, Zahl, Zahl: Wenn dreimal Zahl oben liegt, ist das Yang zur Vollendung gekommen und deshalb am Punkt, sich zu wandeln. In diesem Fall markiere ich die Linie mit einem Kreuz: das Yang ist bewegt, wir haben eine Yang-Wandellinie.

      Bild, Bild, Bild: Dasselbe gilt, wenn dreimal Bild oben liegt. Dann handelt es sich um eine bewegte Yin-Linie, die sich ebenfalls wandeln will und wieder mit einem Kreuz markiert wird: es ist eine Yin-Wandellinie.

      Jeder Münzwurf definiert eine Hexagrammlinie. Ich muss meine drei Münzen also sechs Mal werfen, um das vollständige Hexagramm zu finden. Dabei notiere ich auf einem Blatt Papier Linie für Linie von unten nach oben, so dass ich ein Muster aus sechs Linien erhalte. Die unteren Linien 1-3 bilden das untere Trigramm, die Linien 4 bis 6 das obere. Mit diesen Informationen kann ich in der Hexagrammtabelle am Anfang des Buches nachsehen, um welches Hexagramm es sich handelt. Wenn mein Antwort-Hexagramm keine Wandellinien besitzt, ist die Situation für eine Weile stationär, andernfalls befindet sie sich in unmittelbarer Bewegung. In diesem Fall muss ich auch noch das Ergebnishexagramm ermitteln – einfach, indem ich alle betroffenen Wandellinien in ihren Gegenpol verwandle und das so entstandene neue Hexagramm wieder nachschlage.

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      Das Ausgangshexagramm 59, Die Auflösung, verwandelt sich durch die zwei Wandellinien auf Platz 1 und 5 in das Ergebnishexagramm 41, Die Minderung

      Also noch einmal ganz kurz:

       Ich werfe meine drei Münzen insgesamt sechs Mal und notiere dann jeweils von unten nach oben das Ergebnis: Yin oder Yang, ruhend oder bewegt.

       Anschließend identifiziere ich die beiden Trigramme.

       Mit dieser Information kann ich in der Hexagrammtafel nachsehen, welches Hexagramm ich als Antwort bekommen habe.

       Falls es im Ausgangszeichen bewegte Linien gibt, wandle ich sie um und finde auf dieselbe Weise das Zielhexagramm heraus.

       Anschließend lese ich die entsprechenden Texte: bei einem ruhenden Hexagramm ohne Wandellinien nur die allgemeine Deutung, bei einem bewegten Hexagramm zusätzlich den Text der Wandellinie und die allgemeine Deutung des Ergebnishexagramms.

      Kleines Glossar besonderer Begriffe im I Ging

      Das Original-I Ging hat viele emblematische Ausdrücke, die uns Westlern nicht unmittelbar vertraut sind. Im Großen und Ganzen habe ich versucht, diese Symbolsprache bereits in den Deutungstexten aufzuschlüsseln, doch einige wenige sind so typisch, dass ich sie an dieser Stelle explizit erklären möchte (Wenn Sie sich ausführlich diesem Thema befassen wollen, werden Sie fündig bei Adrian). Darüber hinaus gibt es auch in dieser neuen Version des I Ging spezifische Begriffe, die einer genaueren Definition bedürfen:

      Der Weise, der Edle, der Gemeine: Mit diesen drei häufig verwendeten Begriffen meint das I Ging unterschiedliche menschliche Reifestufen, die wir alle parallel ausfüllen. Der „Gemeine“ ist ein Bild unseres „kleinen Ich“, des Ego; der „Edle“ steht für unser spirituelles Streben, das sich an Ehrlichkeit zu uns und anderen ausrichtet; vom „Weisen“ ist in jenen Momenten die Rede, in denen wir unser höchstes Potenzial berühren.

      Der große Mann: Hier sehen wir ein Bild für unseren weisen inneren Meister, für unser wahres Selbst, für unseren Wesenskern. Dieser Aspekt von uns hat nie den Kontakt zum Göttlichen verloren und stimmt mit seinem Willen überein. Da er sich nicht in unsere menschlichen Probleme verwickelt, besitzt er eine übergeordnete Urteilskraft.

      Das große Wasser überschreiten: Wenn dieses vielsagende Wortbild erscheint, geht es darum, ein neues Ufer zu erreichen, das für unser spirituelles Wachstum entscheidend ist. Das ist immer ein schwieriger und folgenschwerer Schritt, der nur gelingen kann, wenn wir vom Ego zurücktreten und eine überpersönliche Sichtweise einnehmen.

      Oben: Autoritätsfiguren, Vorgesetzte, Privilegierte, gereifte Menschen, tonangebende, maßgebliche Personen, „große Tiere“, Gewinner-Typen, geistige Führungsinstanz, Werte, geistiger Überbau, Top-down-Prozesse …

      Unten: Untergebene, Bedürftige, unterprivilegierte oder unreife Menschen, Verlierer-Typen,