Archetyp
Pionier / männlicher Held / Jäger / Visionär / Baumeister
Naturbild
Die Luft ist schwül und drückend, am Himmel ballen sich Wolken und es knistert vor Spannung: Da braut sich ein Gewitter zusammen. Bald wird es blitzen und donnern, gefolgt von heftigem Regen oder Hagelschauern.
Wenn wir uns lebhaft vorstellen, dass ein Blitz ohne Vorwarnung vor unseren Füßen einschlägt und es gleich darauf ohrenbetäubend am Himmel kracht, dann bekommen wir eine Ahnung von der erschütternden Macht des Donners. Seine Naturgewalt trifft uns ins Mark und lässt uns vor Erregung zittern. Da er uns völlig unberechenbar und in Sekundenschnelle erfasst, haben wir keine Möglichkeit, noch irgendetwas zu kontrollieren. Der Donner greift schicksalhaft in unser Leben ein und reißt uns aus unserer Schläfrigkeit... Doch so wie die Entladung eines Gewitters die Luft klärt und reinigt, können auch wir nach dem ersten Schreck die bedeutsame Inspiration erkennen, die uns vom Donner geschenkt wurde. Sie gibt unserem Leben eine neue Richtung.
Charakter
Der Donner ist (im Gegensatz zum klar entschlossenen Himmel) eine impulsive, dynamische Kraft, die danach strebt, ihr Potenzial freizusetzen. Im Donner kommt die Welt des Geistes auf uns zu: blitzartig überraschend dringt ein starker Impuls in unser Leben ein und versetzt es in Bewegung. Er befruchtet uns mit seinen Visionen, inspiriert uns zu kreativen Handlungen, er weckt unsere Lebensgeister und befreit uns aus starren Routinen, damit wir notwendige Veränderungen in Angriff nehmen.
Die Energie des Donners äußert sich einerseits durch plötzliche Eingebungen, die spontan aus unserem Inneren auftauchen, aber auch durch unvorhersehbare Synchronizitäten in der Außenwelt. Sie lädt uns ein, den Zufall als Zu-Fall zu erkennen und uns für die damit verbundenen Aufgaben und Möglichkeiten zu öffnen. Wer sich übermäßig hinter vermeintlichen Sicherheiten verschanzt und sich gegen das Unerwartete, Unfassbare sträubt, könnte den Donner herausfordern, seine Stimme noch mächtiger zu erheben. Wer aber die Erschütterung zulässt und unter ihrem Einfluss sein Leben erforscht und korrigiert, den erwartet eine begeisternde Offenbarung. Früher oder später wird uns bewusst, dass uns die belebende Kraft des Donners aus toten Strukturen herauskatapultiert hat, sodass wir nun frei sind für neue Entwicklungswege.
Lebendiges Leben ist:
das Unerwartete zuzulassen,
sich dem Moment zur Verfügung zu halten,
bereit zu sein für das,
was mit einem geschehen will.
(Urs von Balthasar)
Ich kann freilich nicht sagen,
ob es besser werden wird,
wenn es anders wird;
aber soviel kann ich sagen,
es muss anders werden,
wenn es gut werden soll.
(Georg Friedrich Lichtenberg)
Kan – das Wasser
Das Abgründige
Ich wachse und reife durch meine Erfahrungen.
Struktur
Dieses Trigramm verkörpert den mittleren Sohn. Es wird von der zentralen Yang-Linie an der Nahtstelle von Innen- und Außenwelt geprägt. Nach außen zeigt sich dieses Trigramm schwach und schwer, doch innen besitzt es große Stärke. Die zwischen zwei dunklen verborgene helle Linie zeigt uns das Bild der unsterblichen Seele (Yang), die im Körper (Yin) eingeschlossen ist und die Materie befruchten und beseelen möchte. Die Bewegungsrichtung dieses Trigramms sinkt nach unten.
Schlüsselworte
Seele / Libido / subjektiv / fruchtbar / seelisch wandelbar / formbar / einsam / Außenseiter / entfremdet / misstrauen / abwehren / melancholisch / verschlossen / sensibel / weinen / Angst / Sorgen / Herz / innere Stimme / eigener Weg / Erfahrungen sammeln / Läuterung / Instinkt / unbewusst / intuitiv / träumen / geheim / gefährlich / Risiko / unsicher / Hindernisse / konflikthaft / Streit / Schicksal / Herausforderung / hinterhältig / Sog / rastlos / mühsam / Widerstand / hemmen / verdrängen / entwerten / verneinen / unkontrollierbar / fallen / Absturz / ohnmächtig / Zwang / Prüfung / Schlucht / Sturzregen / Ohren / Gift / Skorpion / Schlange …
Archetyp
Metamorphose / Heldenreise
Naturbild
Eine Quelle entspringt als winziges Rinnsal hoch oben im Gebirge. Sie muss sich ihren mühsamen Weg hinab ins Tal erst suchen - zwischen Felswänden und steilen Abgründen. Auf seinem weiten Weg wechselt das Quellwasser oft die Gestalt: Es wird zum Bach, zum Wasserfall, zum unterirdischen Fluss; es versickert und taucht wieder auf, es stürzt ab und findet noch aus den tiefsten Schluchten wieder hinaus. Über all diese Stationen hinweg fließt das Wasser unaufhörlich weiter - der Schwerkraft folgend - und überwindet auf diese Weise alle Widerstände. Mit der Zeit schwellen die Wassermassen zu einem großen Strom an, der schließlich unweigerlich ins Meer mündet. Dort durchläuft das Wasser eine grundsätzliche Transformation: Es steigt als Dunst zu den Wolken auf, um im Niederregnen einen neuen Kreislauf von der Quelle zum Ozean einzuleiten.
Wasser ist Leben und Tod. Wasser ist die beseelte Grundlage allen Lebens, doch wenn es zur Überschwemmung oder zum Tsunami wird, richtet es verheerende Verwüstungen an. Es folgt dem wechselnden Rhythmus der Gezeiten, der vom Mond gesteuert wird. Wasser kann heilen, erfrischen und befruchten, es braucht aber auch den Halt der Erde, damit es nicht zerstörerisch wird. Wer seine Gesetze missachtet, wird darin untergehen.
Charakter
Die Energie des Wassers spiegelt die Bewegung unseres Seelenlebens, das in seinem ureigenen Rhythmus schwingt. Unsere Seele hat kein Alter, sie ist immer zeitlos frisch und jung, ein reines, gegenwärtiges „Ich bin“. Allerdings neigen wir dazu, uns im Lauf des Lebens mit unserer Vergangenheit und spezifischen gesellschaftlichen Rollen zu identifizieren. Damit sperren wir unsere sprudelnde innere Quelle in ein Gefängnis, das ihre Lebendigkeit auf Dauer erstickt. Unsere Identität ist ja tatsächlich niemals abgeschlossen. Die Seele will lernen und wachsen und sich immer neu kennen lernen. Wenn Wasser steht, beginnt es zu faulen und umzukippen - deshalb müssen wir ständig in Bewegung bleiben und immer wieder unsere Form verändern, genau wie das quirlige Wasser. Jeder Moment stellt uns neu die Frage, wer wir sind und wie wir leben wollen. Nur wenn wir unsere Tiefen erforschen und unserer inneren Wahrheit folgen, können wir die Abgründe unseres Lebens überwinden und unsere verborgenen Kräfte entdecken. So konfrontiert uns der Weg des Wassers mit Unsicherheiten, Prüfungen und Verwandlungen. Er fordert uns auf, unaufhörlich zu wachsen und zu reifen, immer wieder zu sterben und neu geboren zu werden...
Nichts in der Welt ist so nachgiebig und weich wie Wasser.
Und doch kommt ihm nichts darin gleich,
das Harte und Starre zu überwinden.
Das Weiche löst das Harte auf,
das Formlose formt das Starre.