Wenn Blau im Schwarz ertrinkt. Sandra Andrea Huber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Andrea Huber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639398
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Gesicht wischte und sich wieder auf Augenhöhe begab. „Kaffee?“

      „Ja, bitte.“ Gwen ließ sich auf einem der Stühle gegenüber von Nikolaj nieder und beobachtete ihn, wie er eine Tasse aus dem Schrank holte und heiß dampfende Flüssigkeit aus der Kaffeekanne eingoss. Er trug immer noch die gleichen Klamotten. Nur waren die Ärmel seines Shirts heute bis knapp über die Ellenbeuge nach oben geschoben, sodass sie seine kräftigen Unterarme preisgaben.

      Nikolaj reichte ihr die dampfende Tasse, sie nahm einen Schluck und verbrannte sich sogleich die Zunge.

      „Ich habe ihn extra für dich heiß gehalten“, kommentierte Nikolaj schmunzelnd und zugleich entschuldigend. „Ich hatte so die Vermutung, dass du kalten Kaffee nicht ausstehen kannst.“

      „Ja, da hast du vollkommen recht.“ Gwen betastete ihre pelzige Zunge. „Kalter Kaffee ist Mist. Wer will schon eine fröstelnde Zunge, wenn er eine verbrannte haben kann.“

      Das umwerfende Lächeln, das Nikolaj ihr schenkte, erfüllte ihr Inneres mit einem angenehm warmen und wohligen Gefühl. Wärmer und wohliger, als es jedes Heiß- oder Alkoholgetränk der Welt hätte erzeugen können.

      Nikolaj zog den Kühlschrank auf, griff nach einer Packung Frischmilch und versetzte ihrem Kaffee einen Schuss davon. „Damit es weder eine eisgekühlte noch eine verbrannte Zunge gibt.“

      Während sie weiter an ihrem Kaffee nippte, der nun eine weit angenehmere Temperatur hatte, kehrte Nikolaj ihr den Rücken zu und werkelte an irgendwelchen Dingen auf der Küchenzeile herum.

      Nach ein paar Momenten, den Rücken immer noch zu ihr, sagte er: „Ich schätze, ich habe einen miesen ersten Eindruck bei deinem Freund hinterlassen.“ Das Wort Freund betonte er auf eine seltsame Art und Weise.

      „Wie meinst du das? Woher weißt du von Josh?“

      Ein paar Sekunden vergingen, ehe Nikolaj sich wieder zu ihr umwandte. „Er war, glaube ich, nicht sonderlich erfreut darüber, dass ich – oder besser gesagt ein Mann – an dein Handy gegangen ist. Ich habe ihm gesagt, dass du gerade schläfst, dich aber später bei ihm meldest - vermutlich. Niemandem wäre entgangen, dass das dein Freund ist. Nicht nach einem solchen Machogehabe.“

      An Josh hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht -wann auch? „Ja, Josh und ich sind zusammen. Dass ich nicht heimgekommen bin und nichts von mir hören hab lassen, hat ihn wahrscheinlich stutzig gemacht. Normalerweise melde ich mich, wenn ich länger im Krankenhaus aufgehalten werde.“

      Nikolaj bedachte sie mit einem seltsamen Ausdruck.

      War es Ärger? Eifersucht? Wut?

      „Wenn ihr bereits zusammenwohnt, seid ihr wohl schon länger ein Paar und es ist was Ernstes?“ Obwohl als Frage formuliert, klang es auch irgendwie nach einer unerfreulichen Feststellung.

      Dieses Gespräch über ihren Beziehungsstatus kam Gwen seltsam vor. Sie hatten immer über alles geredet, aber das Thema Jungs, und in Nikolajs Fall Mädchen, hatte bisher nicht dazugehört. Abgesehen davon, hatte nach Nicks Auftauchen ohnehin niemand mehr großen Wert darauf gelegt sich in ihrer Nähe aufzuhalten – egal, ob Junge oder Mädchen. Nicht etwa, weil sie jemand gewesen war, den man mied. Sie hatte sich nie schwer getan mit anderen ins Gespräch zu kommen oder sich anzufreunden. Nichtsdestotrotz war sie schon immer ein bisschen anders gewesen, vielleicht auch einfach anders denkend. Lag es bis zu dem Tag auf dem Spielplatz an ihrer Eigenart, so war es danach unbestreitbar Nikolajs Anwesenheit zuzuschreiben, dass die anderen Kinder auf Abstand geblieben waren. Zwar war Nikolaj nicht auf ihre Schule gegangen, doch hatten ihre Mitschüler nicht verpasst, dass der seltsame Junge viel Zeit mit ihr verbrachte. In Berührung mit ihm zu kommen war eindeutig nicht in ihrem Interesse gewesen. Offenbar waren sie in Bezug auf Nikolaj zu einer ähnlichen Auffassung gelangt, wie ihre Eltern.

      Wie auch immer, diese Beziehungskistenthematik konnte Gwens Meinung nach ruhig noch auf sich warten. Es gab Interessanteres zu besprechen. Genau genommen so viel, dass sie gar nicht wusste, wo sie zuerst anfangen sollten.

      „Ich rufe ihn kurz zurück, damit er sich beruhigt und in keine wilden Geschichten hineinsteigert - und dann will ich meine Antworten.“

      „Das hast du also nicht vergessen“, erwiderte Nikolaj seltsam tonlos und deutete an ihr vorbei auf den Tisch, an dem sie sich gestern ihr Bein gestoßen hatte.

      Sie rutschte vom Stuhl, griff nach ihrem Handy und wählte die Nummer ihres Freundes.

      „Hey Josh, ich bin’s. Ich wollte nur– Mit mir– Nein, ich konnte nicht– Es ist alles in Ordnung. Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe, ich– Nein, das habe ich nicht. Ich bin bei Nick, einem Freund. Ich erzähl dir alles, wenn ich nach Hause– Ja, es geht mir wirklich gut. Bis später.“ Mit einem leisen Seufzer legte sie auf und wandte sich wieder zu Nikolaj um.

      „Klingt fast so, als wäre er sauer. So lange er das auf mich ist, geht das in Ordnung. Obwohl … es wäre ja schon schade, wenn ich es mir gleich am Anfang mit deinem Freund versaut hätte. Womöglich hätten wir beste Freunde werden können.“ Er sagte es aus einer Mischung von Bedauern, Belustigung und eisiger Gleichgültigkeit heraus.

      „Er wird dich mögen. Er muss dich mögen.“

      Nikolaj feixte, offenbar besänftigt. „Ich könnte mir vorstellen, dass du Hunger hast?“

      Gwen nickte eifrig.

      „Gut, dass du so lange geschlafen hast, sonst hätte ich dir nur einen leeren Kühlschrank anbieten können. Ich hatte keinen Besuch erwartet, erst recht keinen, der Hunger mitbringt.“

      „Du warst weg?“ Gwen bemerkte den anklagenden Ton in ihrer Stimme erst, als ihre Worte bereits ausgesprochen waren.

      „Ich war nur für einen Augenblick weg. Du hättest es kaum bemerkt, selbst wenn du wach gewesen wärst. Ich sagte doch, dass ich auf dich aufpasse.“ Er hatte mit glasklarer Stimme gesprochen, die keinen Zweifel am Ernst seiner Worte ließ.

      „Tut mir leid.“ Gwen schüttelte den Kopf. „Ich bin noch nicht wieder ganz ich selbst, sondern hänge irgendwo zwischen durchgeknallte Verrückte und apathische Schlafwandlerin fest. Ich wollte dich nicht blöd anmachen.“

      Nikolajs Augen funkelten. „Das weiß ich. Aber das hast du ja auch gar nicht. Nicht richtig zumindest. Dazu gehört schon einiges mehr. Und selbst wenn, du weißt ja: Du bist die Einzige, der ich das durchgehen lassen würde.“

      Gwen musste grinsen. „Na, das hättest du Mick Thomsen vielleicht sagen sollen, bevor er diesen Fehler begehen konnte. Ich erinnere mich immer noch an seinen Sinneswandel, nachdem du, nun, nachdem du gemacht hast, was auch immer du mit ihm gemacht hast. Dir blöd zu kommen, ist wirklich noch keinem gut bekommen. Da kann ich doch wirklich erleichtert sein, dass ich dich mit meinem Charme so in der Hand habe.“

      Nikolaj lachte laut los.

      Mit geneigtem Kopf sah sie ihn an. Immer noch erschien ihr alles wie ein Traum. Gestern hatte sie wie jeden Tag zuvor an ihn gedacht und sich gefragt, wie er jetzt wohl aussah, wie es ihm ging, ob er noch an sie dachte. Und heute, heute saß sie in seiner Wohnung und unterhielt sich mit ihm, als wäre er nie fortgewesen.

      „Ich hab dich so vermisst.“ Gwen legte sämtliche Sehnsucht der letzten Jahre in ihre Worte und doch konnten sie nicht annähernd vermitteln, wie tief diese Sehnsucht tatsächlich in ihr gebrannt hatte.

      „Ich hab dich nicht weniger vermisst, Gweny.“ Aus Nikolajs Munde klang es, als wäre ihre Sehnsucht lediglich ein Schatten der Seinigen.

      Sie hielten den Moment ohne ein Wort zu sagen. Gemeinsam zu schweigen war ihnen noch nie schwergefallen. Oft hatten sie sich in klaren Nächten heimlich auf dem Spielplatz getroffen, bepackt mit einer Decke, um Sterne zu beobachten. Von Anfang an waren solche Momente, solche stummen Augenblicke, ebenso besonders und angenehm wie alle anderen gewesen. Jeder hatte einfach die Anwesenheit des anderen genossen und sich nicht gezwungen gefühlt etwas sagen zu müssen. Das war etwas, wie Gwen in den letzten Jahren hatte feststellen müssen, dass nicht alle Menschen konnten: Stille zwischen einander ertragen und obendrein als