Wenn Blau im Schwarz ertrinkt. Sandra Andrea Huber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Andrea Huber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639398
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wurde sie in eine schmale Sackgasse im Hinterhof eines Fabrikgebäudes geschoben.

      Gwen strampelte verzweifelt, versuchte sich aus dem Griff des Mannes zu lösen, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Im Schutz einiger Müllcontainer drückte er sie mit dem Rücken gegen die Mauer. Seine Hand blieb währenddessen auf ihrem Mund ruhen, löste sich aber glücklicherweise von ihrer Nase, sodass sie gierig die kalte Nachtluft einsog.

      Der bittere, mit deutlicher Alkoholnote versehene Mundgeruch des Mannes, ein massiger und unrasierter Kerl um die Mittdreißiger, wehte ihr warm und Übelkeit erregend in Gesicht und Nase. Da sie es sich nicht leisten konnte, den Atem zu verweigern, musste sie den Geruch aushalten. Der lüsterne Ausdruck in den Augen ihres Gegenübers ließ ohnehin weder Raum noch Zeit sich damit zu beschäftigen.

      „Na, was sollen wir jetzt mit dir anstellen, Süße? Du könntest ein artiges Mädchen sein und uns entgegenkommen, wie wär´s?“

      Ihre Antwort war ein erhobenes Knie, das sein Ziel jedoch verfehlte.

      Der Bärtige verstärkte seinen Griff, neigte den Kopf in Richtung seines Freundes – ein großer und bulliger Kerl, etwa Anfang vierzig – und spottete: „Hey Mike! Ich glaube, wir haben hier ein ziemlich biestiges Ding eingefangen. Aber, wenn ich ehrlich bin, ist mir das sogar lieber.“ Er fuhr mit der Hand über ihre Wange und strich ihr einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Ein Wildfang bringt viel mehr Spaß als eine gezähmte Stute – immerhin muss man ihm Manieren beibringen und gerade das sorgt für den gewissen Kick, nicht wahr, mein brünettes Vollblut?“

      An die kalte Steinmauer gepresst öffnete er mit einer Hand die Knöpfe ihres Mantels, zeichnete über dem Stoff ihres Pullovers die Kontur ihrer Brust nach, ehe er hinabwanderte und ihren Schritt nachfuhr. Die Zunge zwischen die Lippen geklemmt begann er mit unverkennbarer Vorfreude die Schnalle ihres Gürtels zu öffnen.

      Gwens Körper war wie gelähmt und außerstande aufzubegehren. Ihr Verstand war ebenfalls keine große Unterstützung. Unbarmherzig fokussierte er sich auf die Ausweglosigkeit dieser Situation, als würde er für diese Tat eine dicke Prämie kassieren.

      Eisige Ohnmacht breitete sich in ihr aus. Sie schloss die Augen und flehte stumm um Hilfe, während sie sich mit all ihrer Kraft gegen den Mann zu behaupten versuchte. Irgendjemand musste ihr doch helfen. Irgendjemand.

      Ein paar endlos anmutende Atemzüge später ließ ein dumpfer Knall, gefolgt von der Lockerung ihrer Position, sie aufsehen. Der bullige Kerl lag zusammengesackt zu Füßen eines großen und dunkel gekleideten Mannes.

      Irgendjemand, flog es ihr durch den Kopf und das Wort klang hoffnungsvoll.

      Der Bärtige ließ ruckartig von ihr ab und stürzte sich leicht torkelnd auf den ungebetenen Gast. Dieser wich in einer lässigen Bewegung aus, versetzte ihm einen heftigen Tritt in die Seite, der ein schmerzhaftes Aufstöhnen aus dem Mann hervorbrachte.

      Das Gesicht von Zorn verzehrt, griff der Bärtige in seine Jacke, zog ein Taschenmesser hervor und ließ spuckend verlauten: „Verpiss dich, du Hurensohn! Sonst nehm ich dich aus, wie ein Schwein!“ Er erhielt keine Antwort. Zumindest keine, die aus Worten bestand.

      Gwen stand wie festgefroren an der Wand und verfolgte atemlos, wie der Unbekannte den Attacken eins ums andere Mal in geschmeidigen und agilen Bewegungen auswich. Schließlich nutzte er einen Angriffsmoment des Bärtigen für sich, packte dessen das Messer umfassende Handgelenk, drehte es mit einem Ruck herum und trieb dem Mann die Klinge in den eigenen Bauch.

      Ein scharfes, japsendes Lufteinsaugen war die einzige Reaktion, zu der Gwen fähig war.

      Einen Augenblick standen die Männer dicht an dicht und sahen einander so gebannt ins Gesicht, als ob sie den Anblick ihres Gegenübers bis ins letzte Detail aufzunehmen versuchten. Dann knickten die Füße des Verletzten ein. Er fiel auf die Knie, stieß abgehackte Laute aus, so, als könnte die Luft ihn plötzlich nicht mehr mit Sauerstoff versorgen. Unter seinen zu Panik geweiteten Augen tröpfelte ihm etwas Dunkles aus der Nase, rann über seinen Mund hinweg den Hals hinunter. Das blitzende Silber im Bauch, einen Ausdruck von Schmerz und Entsetzen auf dem Gesicht, kippte er schließlich zu Boden und blieb regungslos liegen.

      Weder Gwen noch der Fremde hatten mehr als ein paar Sekunden Zeit den am Boden liegenden Mann anzustarren, da der vormals K.O. gegangene Bulle wieder zu sich kam und sich zurück auf die Beine brachte.

      Die Worte „Ich mach dich kalt, du Drecksack!“ hervorgeifernd, stürzte er sich auf den Unbekannten, der jedoch erneut auswich und ihm einen kräftigen Schlag in die Magengrube verpasste. Dem Getroffenen entwich ein tiefes Ächzen. Im nächsten Augenblick presste der Fremde die Hand um die Kehle seines Gegenübers, schob ihn rückwärts und schlug seinen Hinterkopf in einer kraftvollen Bewegung gegen die Steinmauer. Ein widerlich berstendes Geräusch hallte durch die Nacht und trieb Übelkeit in Gwens Magen.

      Der Unbekannte löste die Hand vom Genick des Mannes, der sogleich in einer plumpen, puppenartigen Bewegung zu Boden fiel. Jegliche Spannung, jede Stärke, war aus seinem Körper gewichen. Blut drängte aus der offenen Kopfwunde durch das Haar, tropfte mit einem schmatzenden Geräusch auf den Kragen seiner Jacke.

      Einige Sekunden hallte das Tropf-Tropf laut in Gwens Ohren wider, dann war es plötzlich, als würde eine schwarze Kreatur die Gasse entlangkriechen, den monotonen Laut verschlucken und alles zum Stillstand bringen. Alles, bis auf ihren Puls, der weiter um sein Leben rannte, nicht erkennen konnte, ob die Gefahr tatsächlich gebannt war.

      Der große Unbekannte stand immer noch mit dem Rücken zu ihr und machte keine Anstalten irgendetwas zu tun oder zu sagen. Es kam ihr vor, als müsse er sich, ebenso wie sie selbst, sammeln.

      Mit bebenden Händen zog sie den Mantel eng um ihren zitternden Körper, rührte sich ansonsten jedoch keinen Zentimeter. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wie man die Füße bewegte; noch konnte sie sagen, ob sie jetzt so einfach wegrennen sollte – oder konnte.

      Schließlich wandte sich ihr Retter um, kam auf sie zu, ehe er etwa einen Meter von ihr entfernt zum Stehen kam. Sein Blick heftete sich unmittelbar auf ihr Gesicht. Er atmete ruhig, aber extrem intensiv.

      So viel Gwen erkennen konnte, zeichneten sich auf seinem Gesicht weniger Anstrengung und Erschöpfung, denn mehr eine Art von aufgebrachtem und bebendem Orkan ab. Es kam ihr vor, als bemühe er sich angestrengt um seine Mimik und eine gebändigte Fassung.

      Sie hatte keine Ahnung, ob sie sich sicher oder panisch fühlen sollte. Der seltsame, gänzlich surreale Hauch von Vertrautheit, der in ihr wogte, verstärkte dieses Gefühlschaos mit noch mehr Verwirrung und Irritation.

      „Diese Situation wirkt ein bisschen wie ein Déjà Vu, finde ich. Ich bin dafür, dass du künftig nur noch mit Pfefferspray vor die Tür gehst – oder in Begleitung von mir. Was wäre dir lieber? Womit würdest du dich sicherer fühlen, Gweny? Mit der chemische Keule oder mit mir?“ Die Stimme des Mannes war rauchig und leicht heiser, so als ob sie unter der Oberfläche brennen würde. Sie war fremd und zugleich vertraut.

      Gwens Kopf fühlte sich an, als würden ihn die geballte Last der jüngsten Ereignisse und die Konfrontation mit diesem Mann gleich zum Explodieren bringen. Gefühle und Gedanken rasten chaotisch und ungreifbar durcheinander, drängten galoppierend weiter und weiter in eine bestimmte Richtung, um sie zu einer Erkenntnis gelangen zu lassen, die bereits irgendwo in ihr auf sie wartete.

      Indes kam kein weiteres Wort über die Lippen ihres Gegenübers. Der Mann sah sie einfach nur an, taxierte ihre Augen, wartete auf ihre Reaktion.

      Dann endlich floss die erlösende Erkenntnis wie heiße Glut durch ihren Körper. Der Unbekannte war kein Unbekannter. Er war der Mensch, nach dem sie die letzten Jahre verzweifelt gesucht hatte. Er war die eine Person, die sie sich die letzten Jahre schmerzhaft an ihre Seite gewünscht hatte.

      * * *

      „Nick?“ Mit einer Stimme, die sie kaum als die Ihrige wiedererkannte, brachte sie die Laute bebend hervor.

      Er überbrückte die letzte Distanz, umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und sagte leise: „Ja, ich bin’s.