Wenn Blau im Schwarz ertrinkt. Sandra Andrea Huber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Andrea Huber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639398
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nach Hause kommst?“

      „Tut mir wirklich leid, Josh. Ich habe mich nicht gemeldet, weil ich es vergessen habe.“

      „Vergessen?“, echote er und bedachte sie mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck.

      „Auf dem Heimweg vom Krankenhaus habe ich Nick, meinen besten Freund aus Kindertagen wiedergetroffen. Wir haben uns vor Jahren aus den Augen verloren, konnten uns damals nicht mal voneinander verabschieden. Als er plötzlich vor mir gestanden hat, war ich ganz aus dem Häuschen, genau wie er. Ich habe mich einfach so gefreut, dass ich nicht dran gedacht habe dich anzurufen. Wir haben uns die ganze Nacht unterhalten und wahrscheinlich habe ich mich auch aus einem leichten Schwips heraus nicht bei dir gemeldet.“

      Als Josh sie mit skeptischer Miene ansah, fügte sie rasch noch hinzu: „Wir haben mit ein paar Gläsern Bourbon auf unser Wiedersehen angestoßen. Tut mir wirklich leid, wenn du dir Sorgen gemacht hast.“

      Josh musterte sie voller Argwohn. Dem Mann und Freund schmeckte diese Information ganz offensichtlich nicht gut. Der Anwalt befand ihre Erklärung als schwach und unzureichend. Gwen konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete und er eine Vielzahl von Einwänden durchging.

       Warum hat sie getrunken? Ihr verschollener bester Freund läuft ihr einfach so, ganz zufällig, mitten in der Nacht über den Weg? Wenn er so ein guter Freund ist, warum hat sie dann niemals von ihm erzählt? Wie kann man sich einfach so aus den Augen verlieren, wenn man sich so wichtig ist? Warum ist er an ihr Handy gegangen?

      Gwen hatte weder die Nerven, noch die Kraft jetzt Angeklagte und Kläger mit ihm zu spielen. Was sie brauchte war Ruhe, einfach nur Ruhe.

      Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, streckte sich und gab ihm einen Kuss auf die Lippen, der, wie sie hoffte, dem in der Luft schwirrenden Kreuzverhör den Wind aus den Segeln nahm. „Ich werde ihn dir vorstellen, versprochen. Aber jetzt muss ich wirklich dringend ein heißes Bad nehmen. Ich glaube, ich werde krank. Vielleicht sehe ich deswegen so blass aus. Wollen wir, falls es mir später besser geht, gemeinsam einen Abstecher auf den Wochenmarkt machen? Du weißt doch, da gibt es samstags immer diese leckeren Aufstriche und frische Tulpen vom Land.“

      Mit diesem offenen Friedensangebot ließ Gwen ihn stehen und verschwand im Bad. Sie hoffte inständig, dass er es damit auf sich beruhen ließ. Wenn nicht jetzt, dann zumindest, wenn sie ihm Nikolaj vorgestellt und so seine Existenz bewiesen hatte. Sie musste Nick vorher nur noch in ihr beider Alibi einweihen. Zwar hatte er gesagt, er würde vorbeikommen, doch sie musste ihn zuvor noch sprechen, allein, ohne Josh. Und davor musste sie erst mal all ihre wirren Gedanken und Gefühle verarbeiten, im Krankenhaus anrufen, noch ein wenig schlafen und möglicherweise tatsächlich ihren Vorschlag umsetzen und auf den Wochenmarkt gehen. Das war eigentlich nur versöhnende Floskel und gleichzeitiges Ablenkungsmanöver gewesen, denn Lust hatte sie darauf im Moment überhaupt keine.

      Sie drehte den Wasserhahn auf, gab einen großzügigen Schuss Kräuterbad in die Wanne und sah zu, wie sich im dampfenden Wasser schaumige weiße Wolken auftürmten.

      Am Beckenrand sitzend, ließ sie sich vom rhythmisch fließenden Wasser hypnotisieren, bis sie in das heiße und wohltuende Nass sank, die Augen schloss und an nichts mehr zu denken versuchte.

      VIER

Grafik 43

      „Ich wusste, dass dich diese Information brennend interessieren würde.“

      Das selbstgefällige Grinsen und der vorlaute Ton seines Angestellten gefielen Merkas überhaupt nicht. Dass er mit Neuigkeiten Nikolaj betreffend hier aufschlug, bedeutete keineswegs, dass er sich darauf groß etwas einzubilden brauchte. Es war sein Auftrag gewesen. Zu tun, was man ihm befohlen hatte, war keine besondere Leistung, sondern lediglich das, was von ihm erwartet wurde.

      Er warf den Mann hinaus, suhlte sich in seinem Zorn, der anstieg und anstieg, je länger er sich die Informationen durch den Kopf gehen ließ.

      Aber, wenn er ehrlich war, hatte er es geahnt. Hatte geahnt, dass so etwas passieren würde. Bereits an jenem Tag vor einem Jahr, als Nikolaj seinen Job bei ihm gekündigt und ihm vor die Füße geworfen hatte, dass er in Ruhe gelassen werden wollte, hatte er an ihre Kindheit zurückdenken müssen. Schon damals hatte Nikolaj sich nie so gehen lassen wie seinesgleichen, hatte sich nie in Gänze verbunden und zugehörig gefühlt, nicht zu seiner Spezies, noch zu seiner Heimat. Zwar hatte er das nie ausgesprochen, doch das spielte keine Rolle. Manchmal war es nicht nötig, dass man Worte aussprach oder hörte. So manche Tatsache war stumm noch offensichtlich genug, um sie erfassen zu können.

      Als Nikolaj als dreizehnjähriger ständig von der Bildfläche verschwunden war, ohne ihm oder irgendjemandem die Frage nach seinem Aufenthaltsort zu beantworten, spätestens da hätte er die Sache ernstnehmen sollen. Noch heute konnte er sich gut daran erinnern, wie Nikolaj sich zusehends verändert hatte. Er war noch reservierter geworden, als er es ohnehin schon gewesen war und auch seine Aura hatte sich verändert - nicht zum Besseren.

      Jetzt, im Nachhinein, war klar, warum er verschwunden war, was er getrieben hatte. Der Bastard hatte sich auf Erdengrund herumgetrieben. Nicht für die üblichen Vergnügungsausflüge, sondern um Zeit mit einem Menschenmädchen zu verbringen. Um ihr zu gefallen; so zu tun, als wäre er nicht der, der er war.

      Wäre er aufmerksamer und beharrlicher gewesen, hätte er Nikolaj diesen Unsinn schon damals austreiben können. Hätte ihm zeigen können, dass es andere Wege gab, sich das zu nehmen, was man wollte. Hätte ihm zeigen können, wie viel Spaß es machte, sich seinen Sehnsüchten hinzugeben.

      Womöglich wäre dann alles anders gekommen und er hätte nicht auf Nikolaj verzichten müssen. Der Halbsensat wäre mit ihm gemeinsam aufgestiegen, an seiner Seite gewesen, seine rechte Hand geworden. Stattdessen hatte er sich in seinem Menschen gemachten Netz gewunden, unterwürfig wie ein Hund, während er selbst zu einem einflussreichen und mächtigen Mann geworden war, den keiner zu unterschätzen oder herauszufordern wagte.

      Dass ausgerechnet Nikolaj sich ihm entzogen und ihm obendrein ein Menschenmädchen vorgezogen hatte, ließ einen fahlen Geschmack in seinem Mund aufkommen. Niemand umging ungestraft seine Autorität oder lehnte sich gegen ihn auf. Niemand, der bei Verstand war, wagte einen solchen Drahtseilakt, da ihm ein Fall ins Bodenlose gewiss war.

      Nikolaj aber hatte genau das getan; hatte ihm den Rücken zugekehrt. Und dennoch. Als der Halbsensat in einer Mischung glühenden Zorns und verwundeten Geistes bei ihm aufgeschlagen war, hatte Merkas hatte ihn bei sich wohnen lassen, ihm einen Job gegeben.

      Schon als sie Kinder gewesen waren, hatte er gespürt, dass Nikolaj ihm von Nutzen sein konnte. Trotz seines menschlichen Anteils lag ein unbestreitbares Potenzial in ihm verborgen. Darauf hatte er nicht verzichten wollen. Deswegen – einzig und allein deswegen – hatte er über den Fehltritt hinweggesehen und ihm eine zweite Chance gegeben.

      Dass der Bastard es nun tatsächlich wagte, das gleiche Spiel ein zweites Mal zu spielen und ihn abermals zum Narren zu halten, ging zu weit. Dieses Mal würde er die Sache nicht so einfach vergessen. Diesmal würde er dem Jüngeren eine Lektion erteilen, die ihm unmissverständlich deutlich machte, dass man ihm nicht so einfach den Rücken zukehren konnte, wenn einem der Sinn danach stand.

      Er würde Nikolaj eine Lektion erteilen, die ihn bluten ließ. Langsam und genüsslich, sodass er zusehen und jeden Tropfen genießen konnte, wie einen guten Wein.

      * * *

      Céstine trat mit großen und selbstbewussten Schritten in den Raum, ließ sich schräg gegenüber dem schwarzhaarigen Mann in den Ledersessel fallen und betrachtete eine Weile den Tanz des im Kamin lodernden Feuers. In einer Welt, die keine universelle Wärmequelle besaß und in Düsternis lebte, brannte so gut wie immer ein Feuer.

      Merkas nahm keinerlei Notiz von ihr, sodass sie nach einigen Minuten ungeduldig und verärgert das Wort ergriff. „Er ist also tatsächlich zurück zu ihr? Zu seinem Herz?“ Sie legte