Stadt ohne Licht. Ernst Meder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Meder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737526371
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darf nicht über den aktuellen Fall gesprochen werden, erinnerte der Beamte, der sich in der Ecke mit einem hörbaren Seufzer auf den dort befindlichen Stuhl sinken ließ. Dieser Seufzer schien weitere Körperfunktionen in Gang oder außer Gefecht zu setzen, denn als erstes sichtbares Zeichen klappen die Augenlider in Schlafposition.

      »Sebastian hat mir gestern noch alles erzählt«, Elisabeth sprach automatisch leise, so wolle sie den Aufpasser nicht in seinem Schlaf stören. »Er hat gesagt, dass es Schwierigkeiten geben wird, wenn uns nichts einfällt. Außerdem hat er mir diesen Namen genannt, der angeblich gesehen haben will, wie Du den Dieb unter den Bus gestoßen hast«. Sie legte ihm beruhigend ihre Hand auf seine, auf dem Tisch liegende Hand. »Ich weiß, dass er gelogen hat, nun müssen wir nur herausfinden, weshalb er gelogen hat«.

      »Ich verstehe es nicht, ich kenne den alten Mann genauso wenig, wie ich diesen Roger Winter gekannt habe. Den habe ich nur zwei Mal getroffen, beim Einbruch sowie am Samstag, als dieser Unfall geschehen ist«.

      »Weshalb hat er Deine Unterlagen durchwühlt, ohne die Absicht zu haben irgendeinen Wertgegenstand zu stehlen. Die Geschichte muss irgendwie mit Dir zusammenhängen«. Johann blickte Elisabeth fragend an, die sichtlich unangenehm berührt war.

      »Ich hatte diesen Namen vergessen, erst als Sebastian mir sagte, wer der Zeuge ist, dämmerte mir, dass ich den Namen schon einmal gehört habe. Die halbe Nacht habe ich gegrübelt, bis mir eingefallen ist, in welchem Zusammenhang ich den Namen gehört habe. Meine Mutter hatte den Namen genannt, allerdings war ihr Hass auf diesen Walter Vohberg so groß, dass ihre Aussagen ziemlich irrational waren. So genau habe ich nie verstanden, weshalb sie eine derart große Abneigung gegen ihn entwickelte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mein Interesse nicht sonderlich ausgeprägt war, den Hasstiraden einer alten Frau zuzuhören. Sie hat es irgendwann aufgegeben, mir die Geschichten aus grauer Vorzeit zu erzählen. Sie hat nur gemeint, wenn ich in ferner Zukunft mehr über meine Vergangenheit wissen möchte, dann solle ich ihr Tagebuch lesen. Meine Mutter ist neunzehnhundertzweiundsechzig gestorben und ich bin damals von Berlin nach Kiel umgezogen«.

      »Nun versuche ich seit Stunden mich zu erinnern, wo ich damals das Tagebuch meiner Mutter verbuddelt habe«. Sie lächelte etwas verlegen, »mach Dir keine Sorgen, es fällt mir bestimmt noch ein«. Nachdenklich starrte sie auf einen Brandfleck auf der Tischplatte, »schließlich gibt es keine besonders große Auswahl«.

      Energisch richtete sie sich auf, »ich habe übrigens für heute Nachmittag einen Termin bei Deinem Professor vereinbart«. Sie blickte ihm jetzt direkt in seine Augen, »ich werde versuchen ihn zu überzeugen, dass Du durch meine Schuld verhindert bist, an den Vorlesungen teilzunehmen«. »Ich werde mich auch um alles andere kümmern, soll ich jemand aus Deiner Familie informieren, benötigst Du hier etwas. Brauchst Du Geld«. Sie sagte es so verschwörerisch, als könnte er hier jemanden bestechen, um Hafterleichterung zu erhalten.

      Johann lächelte schmerzlich, »nein danke, aber Du könntest Sebastian ein paar Bücher von mir mitgeben«. Dann beschrieb er ihr, welche er meinte, ehe sie sich verabschiedeten.

      2. Kapitel

      Das Treffen in Berlin fand, wie in den Jahren zuvor, am Totensonntag in einer hochherrschaftlichen Villa im Grunewald statt. Alles war wie immer, das heißt, eine Abweichung zum Vorjahr gab es doch, die sechste Person ihres jährlichen Treffens fehlte in diesem Jahr. Alfred Kant, der Benjamin ihrer, seit der Kindheit verschworenen Gruppe, war am fünfzehnten Mai dieses Jahres im Alter von einundsiebzig Jahren an einem Herzinfarkt verstorben.

      Natürlich trafen sie sich alle bei der Beerdigung in Köln, allerdings war für einen unbedarften Beobachter die Verbindung untereinander nicht erkennbar. Sie hatten alle an unterschiedlicher Stelle an dem mit vielen hundert Trauergästen stattfindenden Trauerzug ihren Freund bei dem Gang zur letzten Ruhestätte begleitet.

      Neben der Familie, den örtlichen Honoratioren, waren Vertreter aller politischen Parteien dabei, wollten damit zeigen, dass ein großer Sohn ihrer Stadt eine Lücke hinterlassen würde. Für die eintausendzweihundert Mitarbeiter der „Kant Eisen und Stahl AG“ hatte die Firmenleitung beschlossen diese freizustellen, damit diese dem Gründer und Hauptaktionär der „Kant Eisen und Stahl AG“, Alfred Kant ihre letzte Ehre erweisen konnten.

      Da die Freundschaft zwischen ihnen immer im Verborgenen blühte, diese nie öffentlich gemacht wurde, hatte man sie nicht offiziell eingeladen. Sie waren nur inoffiziell zu der Beerdigung gefahren, wo sie jeden persönlichen Kontakt gemieden hatten. Sie wollten nicht, dass ihre Freundschaft öffentlich wurde, dass sie Anlass für Spekulationen zuließ. Nur wer tiefer in der Vergangenheit dieser Freunde gesucht hätte, wäre auf diese langjährige Freundschaft gestoßen.

      Viele der angeblich besten Freunde von Alfred, die jetzt in der ersten Reihe standen, dabei ihre besondere Trauer vor der Allgemeinheit ausbreiteten, hatten ihn nie richtig gekannt. Dies schloss auch seine beiden Söhne Fritz und Werner ein, die seit ein paar Jahren in Personalunion das Kölner Stahlimperium leiteten. Bei dem letzten Treffen am Totensonntag des vergangenen Jahres hatte er sich noch abfällig über seine Söhne geäußert.

      Meine Söhne sind Schwächlinge, alle beide, keiner von beiden ist in der Lage unserem Projekt weiterzuhelfen. Der einzigen Person in meiner Familie, der ich zutrauen würde, meinen Platz einzunehmen, ist meine Enkelin Nina. Noch ist sie zu jung, aber sie ist in dem Alter, in dem sie geformt werden kann, in dem sie vorbereitet werden kann, hier meine Nachfolge anzutreten. Es war, als hätte er seinen frühen Tod vorhergesehen, so prophetisch klang aus heutiger Sicht seine damalige Aussage.

      Es war ihnen durchaus bewusst, dass die Zeit ihrer Jugend bereits vor Jahrzehnten ihr Ende gefunden hatte, trotzdem wollte noch keiner an den Tod denken. Mit dem Tod von Alfred wurde ihnen plötzlich die Endlichkeit ihres Daseins vor Augen geführt. Sie würden ihr Projekt vorantreiben müssen, wenn sie die Umsetzung noch erleben wollten.

      Der Hausherr, Otto Held hatte seine Gäste persönlich begrüßt, als sie nach und nach in seiner Villa eintrafen. Einst der größte Berliner Lebensmitteldiscounter Berlins hatte er sich vor zehn Jahren ins Privatleben zurückgezogen, nachdem er seine Geschäfte an einen bundesweit agierenden Konzern verkauft hatte. Seit dem Tod seiner Frau lebte er nur noch mit seinen Hausangestellten in der viel zu großen Villa im Grunewald, da sie kinderlos geblieben waren. Seine Angestellten hatten sich daran gewöhnt, dass sie am Totensonntag von allen Tätigkeiten freigestellt wurden, darüber hinaus hatte er ihnen zu verstehen gegeben, dass er niemanden von ihnen an diesem Tag sehen wollte.

      Einzig sein Hausfaktotum Wolfgang Wacker, befand sich noch im Haus, allerdings war von ihm nichts zu befürchten. Wolfgang, der früher als Chauffeur für ihn tätig war, übernahm heute nur noch einfache Gartenarbeiten, da er inzwischen fast so alt wie sein Arbeitgeber war. Er war einer der wenigen, der, neben seinen Freunden, seine Ansichten kannte und teilte.

      Wie seit Jahren war Friedrich Kroeger der erste Gast, der am Totensonntag bei ihm eintraf. Friedrich war weniger massiv und korpulent wie Otto, dafür hatte sich sein Haupthaar schon vor mehr als vier Jahrzehnten von der Oberfläche seines Hauptes verabschiedet. Auch die Gesichtszüge wichen erheblich von den Zügen seines Gastgebers ab. Während er das feine Minenspiel des konservativen hanseatischen Kaufmanns beherrschte, war das von Otto einem Bullterrier nicht unähnlich.

      »Friedrich wie immer übertriffst Du die anderen«, empfing Otto ihn an der Tür, dann schlug er ihm freundschaftlich auf die Schulter. Friedrich verzog leicht sein Gesicht, während er einen Schmerzenslaut unterdrückte. Vierzig Kilo Gewichtsunterschied hatten sich wieder einmal bemerkbar gemacht, auch wenn er wusste, dass Otto seine pure Kraft nicht bösartig einsetzte.

      Otto führte den Reeder aus Hamburg in seinen Empfangsraum, in dem seine Angestellten ein reichhaltiges kaltes Büffet aufgebaut hatten, ehe sie das Haus verließen.

      »Wie geht es Annika«, polterte Otto los, während er sich Bier in ein Glas füllte. Annika, die inzwischen zweiundvierzig Jahre alte Tochter führte das Familienunternehmen seit acht Jahren sehr erfolgreich, auch wenn ihr Vater dies nicht wahrhaben wollte.

      »Man