Stadt ohne Licht. Ernst Meder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Meder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737526371
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gut, dass ich ab und an nach dem Rechten sehe«, lobte er sich, während Annika, wenn man sie gefragt hätte, zu Recht eine gegenteilige Ansicht vertreten hätte.

      Die nächsten Gäste kamen erstmalig gemeinsam als Fahrgemeinschaft, im Jahr vorher waren sie gemeinsam mit Alfred Kant zu dem Treffen erschienen. Heinrich Schwarz, der als Bankier einer kleinen aber noblen Privatbank in Frankfurt vorstand, war der Längste in ihrem Kreis. Mit seinen einhundertfünfundneunzig Zentimetern sowie seiner akkurat sitzenden Frisur wirkte er so vertrauenswürdig, dass Kunden gerne ihr Geld zu seiner Bank trugen. Der Fahrer dieser Fahrgemeinschaft war jedoch Dieter Kunz, dessen Hauptsitz seiner Getriebe- und Bremsenfabrik sich in Düsseldorf befand. Er war genau das Gegenteil von Heinrich Schwarz, er war der kleinste unter den Teilnehmern. Zugleich war er noch der Aktivste unter ihnen, der die Zügel seiner Firma immer noch in den Händen hielt. Viele seiner Kontrahenten warfen ihm vor, dass sein Erfolg nur auf den persönlichen Beziehungen beruhte, die er in die Vorstände der Automobilindustrie hatte. Es war in der Tat ausschließlich sein Verdienst, der dafür gesorgt hatte, dass bei dem Großteil der auf Deutschlands Straßen fahrenden Autos, Getriebe und Bremsen aus seinem Unternehmen maßgeblich waren.

      Der Letzte, der inzwischen zu einem Quintett zusammengeschrumpften Vereinigung kam aus München zu dem alljährlichen Treffen. Walter Mayer war der Einzige ihres ursprünglichen Sextetts, mit dem Otto Held, neben seiner Freundschaft in der Vergangenheit auch berufliche Verbindung verband. Vom Aussehen sehr ähnlich, kursierte während ihrer beruflichen Treffen die Vermutung, dass nur verwandtschaftliche Bande eine derartige Ähnlichkeit hervorrufen könne. Walter Mayer, der mit seinen vier Söhnen einen der führenden Fleischgroßhandel in München leitete, war zeitweilig Lieferant von Fleisch und Wurstwaren der Berliner Lebensmittelgeschäfte von Otto Held.

      Es war besser, er ließ ihnen die Zeit sich darüber auszutauschen, was an Erzählenswertem im Laufe des Jahres bei jedem angefallen war. Nachdenklich blickte er zu seinen Freunden, dachte dabei an den fehlenden Freund Alfred Kant. Wer würde sich als Nächster aus ihrem Kreis verabschieden, Heinrich Schwarz war zwar der Älteste, allerdings wirkte er am gesündesten von allen. Würden Sie den Beginn ihres gemeinsamen Ziels noch miterleben, oder würde auch der erneute, der entscheidende Versuch scheitern.

      Das Lächeln wirkte wehmütig, als er an ihr erstes Treffen zurückdachte, an die ersten Ferien, die sie zusammen an der Ostsee verbrachten. Es lag nun schon fünfundsechzig Jahre zurück, Heinrich feierte während der Ferien seinen zehnten Geburtstag, damals war er noch der Führer ihrer kleinen Gruppe. Seit jener Zeit hatten sie nie den Kontakt untereinander verloren, da erst zu einem späteren Zeitpunkt die räumliche Trennung diesen Kontakt erschwerte. Damals hatten ihre Familien alle in Berlin gelebt, sie hatten alle Führungspositionen inne, waren in leitender Funktion für das Deutsche Reich tätig.

      Meine Freunde, Otto unterbrach die Gespräche der Anderen, um mit der Diskussion über das weitere Vorgehen beginnen zu können. Für den späten Nachmittag hatte er schließlich einen Überraschungsgast eingeladen, den zwar alle kannten, den sie bisher noch nicht persönlich getroffen hatten. Damit wollte er seine Freunde zwar überraschen, allerdings war dies nicht sein vordringlichstes Ansinnen. Sein Hauptanliegen bestand darin, ihr Vorhaben endlich so zu forcieren, dass das Ergebnis ihres Handelns die Früchte zum Tragen brachte, die sich alle erhofften.

      »Lasst uns beginnen, unser heutiges Programm ist außergewöhnlich umfangreich«. Dann betrat er eine gemütlich eingerichtete Bibliothek, in dem englische Ledersessel scheinbar wahllos platziert waren. Nachdem jeder einen der Plätze eingenommen und sein Getränk auf einem der Bestelltische abgestellt hatte, begann Otto Held mit seiner üblichen Eröffnungsrede.

      »Liebe Freunde gedenken wir als Erstes unserem Freund Alfred, der uns in diesem Jahr viel zu früh verlassen hat. Dieses Ereignis, das mir und bestimmt auch euch vor Augen geführt hat, wie vergänglich doch unsere noch verbleibende Zeit ist, hat mich bewogen zu handeln. Meine Gruppe war im letzten Jahr sehr aktiv, endlich konnten wir die Tochter ausfindig machen, die Anfang der sechziger Jahre spurlos verschwunden war. Unsere Vermutung, dass sie in der ehemaligen Sowjetzone lebt, hat sich gottseidank nicht bestätigt«.

      »Man stelle sich das vor, neben unserem größten Schatz, den die Amerikaner im April neunzehnhundertfünfundvierzig in Merkers aufgefunden haben und gestohlen haben«. Die Verbitterung über dieses Unrecht war auch nach fast sechzig Jahren so groß, dass seine Stimme brüchig wurde.

      Er redete sich erneut in Rage darüber, dass im April neunzehnhundertfünfundvierzig die dritte US-Armee unter General George S. Patton in dem kleinen Ort Merkers in Thüringen den größten Teil der von den Schergen Hitlers versteckten Goldschätze gefunden hatte. Wie sie säckeweise Gold, tausende Banknoten in Säcken, Goldbarren, Münzen und SS-Beute in Koffern aus dem Salzbergwerk Merkers weggekarrt hatten. Diesen Teil der Geschichte kannten sie alle aus den Erzählungen in ihren Familien, aber auch von den permanenten Wiederholungen von Otto.

      »Wie gesagt, unsere Annahme, dass diese Tochter in der DDR und damit außerhalb unseres Zugriffs lebt, hat sich nicht bestätigt. Stellt euch vor, seit Mitte der achtziger Jahre lebt sie keine fünfzehn Kilometer von hier entfernt in Berlin. Wir hatten im Frühjahr den jetzigen Namen sowie die Adresse ermittelt. Wir haben sie über einen längeren Zeitraum beobachtet, die Berichte darüber habe ich in der Mappe neben euch abgeheftet«.

      »Kurz gesagt, sie lebt äußerst unauffällig und bescheiden, nichts lässt darauf schließen, dass sie sich in dem zweiten Versteck bedient hat. Ich habe dann veranlasst, dass ein Vertrauter in die Wohnung einbricht, während sie unterwegs ist. Es wurde nicht der geringste Hinweis gefunden, dass sie Unterlagen oder Papiere die ihrem Vater oder ihrer Mutter gehörten besitzt«.

      »Ich komme damit zum Ende meines Berichts, natürlich lassen wir sie weiterhin beobachten, ob etwas Ungewöhnliches geschieht«. Er rieb sich nachdenklich im Nacken, »etwas Irritierendes ist allerdings geschehen, es sieht so aus, als wären wir nicht die Einzigen, die sich mit dieser Frau beschäftigen. Aber davon unterrichte ich euch, wenn ich Näheres weiß«.

      Die Glückwünsche kamen halbherzig, viel zu lange hatten sie nach dieser Frau gesucht, bei der sie ein großes Geheimnis vermuteten. Dazu kam, ihre Fähigkeit zu Gefühlsausbrüchen war im Laufe ihres Lebens verloren gegangen, wenn sie den je vorhanden waren. Trotzdem nahmen sie anerkennend zur Kenntnis, dass endlich eine, wenn auch geringe Chance bestand, das Versteck aufzufinden.

      Otto Held folgte der einen Richtung, endlich das Vermögen aufzufinden, um ihren Pläne umzusetzen, die andere Richtung verfolgte Walter. Vielleicht war diese Suche sogar die erfolgreichere, da sie direkt vor Ort in der angenommenen Gegend stattfand. Auch er hatte lange warten müssen, ehe er seine Truppen loslassen konnte. Er hatte gewartet, bis die Anderen ihre Suche erfolglos abgebrochen hatten.

      »Wie ihr wisst, konnten wir erst vor knapp zwei Jahren mit der Suche beginnen«, begann Walter Mayer in seinem bayerischen Dialekt etwas kurzatmig. »In der ersten Zeit nach der Wende war es sinnlos, da wurden überall die Gerüchte gestreut, dass in der von uns angenommenen Gegend noch Teile des Nazigoldschatzes vergraben sind. Über Jahre hinweg kamen diese vermaledeiten Goldsucher aus ganz Europa und haben die Gegend unsicher gemacht«.

      »Wir haben sie natürlich beobachtet, hätten die etwas gefunden wären wir sofort da gewesen. Aus genau diesem Grund haben wir uns zurückgehalten. Wir wollten uns einen eventuellen Fund nicht von dritter Seite Streitig machen lassen. Aber wie gesagt, wir haben sie beobachtet, konnten damit die erfolglosen Orte aus unserem Tableau streichen. Bei unserer Suche waren wir bisher auch nicht erfolgreicher. Allerdings haben wir so nach und nach die meisten der angenommenen Verstecke ausgeschlossen, die verbleibenden Verstecke werden wir innerhalb der nächsten zwei Jahre durchsucht haben«.

      »Das muss schneller erfolgen«, Otto beugte sich in seinem Sessel nach vorne und starrte Walter an. »Wir müssen das bis zum nächsten Herbst finden, denn dann soll endlich die Umsetzung unseres Vorhabens beginnen. Ich sage noch mehr dazu, aber zuerst wollen wir noch die anderen Berichte anhören«. »Dieter wie weit bist Du inzwischen bei Deiner Aufgabe gekommen«, Otto platzte schier vor Neugier, schließlich hatte dieser einen eventuellen Erfolg bereits bei ihrem letzten Treffen angedeutet.

      »Also ich kann Vollzug melden«,