Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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die deine Brüder

       waren.« Der Knabe antwortete: »Du hast schlecht gedient

       und du sollst deinen Lohn empfangen.« Da zog

       er sein Schwert und hieb ihm den Kopf ab.

       Nach dem Kampfe trat der König zur Königin und

       sprach: »Herrin, vergebt mir um Gottes willen, daß

       ich meine Pflicht gegen Euch vernachlässigt habe;

       aber meine Mutter hat all dies veranlaßt.« »Herr,«

       versetzte die Königin, »ich vergebe Euch aus ganzem

       Herzen!« Darauf wollte die Frau den Knaben küssen,

       aber dieser entzog sich ihr und sprach: »Herrin, das

       habe ich im Walde nicht gelernt, denn nie sah ich eine

       Frau oder Jungfrau, sondern nur wilde Tiere!« Als die

       Barone dies hörten, lachten sie laut. »Herr,« sprach

       der Knabe alsdann, »laßt Marke kommen, denn ihm

       sind von Matabrune um meinet- und meiner Brüder

       willen die Augen ausgerissen worden.« »Herr,« sagte

       Marke, »da bin ich.« Da wandte sich Helias zu ihm,

       hauchte ihm auf die Augen, und durch Gottes Kraft

       wurde er sogleich wieder sehend. Der König aber und

       die Barone verwunderten sich sehr. Darauf fragte der

       König den Knaben, wer er wäre und woher er käme.

       Der Knabe gab sich ihm als sein Sohn zu erkennen

       und erzählte ihm alles, was vorgefallen war. »Herr,«

       sagte Helias alsdann, »kommt mit mir und Ihr sollt

       große Wunder unseres Herren schauen.« Sie gingen

       zum Teich und Helias lockte die Schwäne herbei.

       Diese flogen herzu und liebkosten ihn mit den Flügeln.

       Darauf gab er jedem seine Kette und sie nahmen

       ihre menschliche Gestalt wieder an. Nur einer war

       darunter, dem sie fehlte, der schlug mit den Flügeln,

       riß sich mit dem Schnabel die Federn aus und gebärdete

       sich ganz verzweifelt. Als der König und die Königin

       dieses sahen, beweinten sie ihr Kind, das sie auf

       diese Weise verloren hatten.

       Am anderen Tage wurden die Kinder getauft und

       König Oriant und Königin Beatrix freuten sich ihres

       Nachwuchses. Der König entbot seine Barone und

       krönte unter großen Festlichkeiten seinen Sohn Helias

       zum König.

       Aber Helias grämte sich, daß ihm Matabrune entkommen

       war; er rief sein Heer zusammen, zog vor

       Malbruiant, wo die Alte hauste, und belagerte die

       Stadt. Die Einwohner bereuten es alsbald, die alte

       Hexe aufgenommen zu haben; sie gingen zu Helias

       und überlieferten ihm die Stadt. Der König Helias zog

       in die Stadt ein, ging ins Schloß und ließ die Alte fesseln.

       Darauf befahl er, daß ein großes Feuer angezündet

       würde, und er warf Matabrune selbst hinein. Da

       wurde die alte Hexe verbrannt. Der König hatte seine

       Mutter herbeiholen lassen, und sie kam gern zu ihm

       und war sehr froh, daß die Alte verbrannt war, die ihr

       soviel Leids und so großes Unrecht angetan hatte.

       9. Die Manekine

       Es lebte einst ein weiser und gerechter König, der

       über ganz Ungarn herrschte; seine Gattin war eine armenische

       Königstochter von hoher Schönheit und

       übermenschlicher Güte, lange hätte man wandern

       müssen, um ihresgleichen zu suchen. In ihrer zehnjährigen

       Ehe hatte die Königin nur einer Tochter das

       Leben geschenkt, welche Joie hieß, weil durch ihre

       Geburt das ganze Land erfreut wurde. Der Tod, der

       auch die Großen der Erde nicht verschont, warf die

       Königin, noch ehe sie gealtert war, aufs Lager und

       verwandelte die Rosenfarbe ihres Leibes in Leichenblässe.

       Da sprach sie zu ihrem Gatten: »Herr, ich

       bitte Euch, daß ihr keine Frau nach mir heiratet.

       Wenn aber die Edlen Eures Landes nicht wollen, daß

       das ungarische Reich unserer Tochter verbleibt, und

       wenn Ihr Euch, um einen männlichen Erben zu erhalten,

       zu neuer Ehe entschließen müßt, so bitte ich

       Euch, daß Ihr nur eine Frau heiratet, welche mir

       gleicht.« Das beschwur der König und dann schied

       die Königin aus diesem Leben.

       Kurz darauf versammelten sich die Barone und der

       älteste von ihnen sprach: »Das Königreich Ungarn

       würde in Bedrängnis geraten, wenn ein Weib es in

       seinen Händen hielte. Deshalb laßt uns zum König

       gehen und ihn von Herzen bitten, daß er nach unserem

       Rat eine neue Gattin nehme.« So taten sie, aber

       der König antwortete, er habe seiner toten Gemahlin

       versprochen, nie eine Frau zu nehmen, welche ihr

       nicht an Schönheit und Güte gleichkäme. Als die Barone

       solches hörten, wählten sie zwölf Boten aus,

       welche ausziehen sollten, um eine der toten Königin

       ähnliche Jungfrau zu suchen. Die Boten erschauten

       die Tochter von manchem König und von manchem

       Grafen und litten manche Pein, aber das Ziel ihres Suchens

       erreichten sie nicht. Als der König beim heiligen

       Weihnachtsfeste zur Tafel saß, kamen die Boten

       zurück und berichteten, daß sie nirgends eine Frau gefunden

       hätten, welche der Verstorbenen gleiche. Nun

       geschah es aber, daß einer der Grafen die schöne Königstochter

       beim Mahle bediente, und als er sie anblickte,

       da schien es ihm, als sei sie ihre Mutter selber,

       nur daß sie um vieles jünger war. Nach dem

       Essen sagte er also zu den Baronen: »Ihr Herren, nie

       wird man ein solches Weib finden, wie es der König

       sucht, es sei denn, daß er seine Tochter heiratet.« Da

       nickten die Barone zustimmend, aber der König, dem

       sie ihre Meinung vortrugen, lehnte ein solches Ansinnen

       ab. Wie aber die Großen des Landes auf der Wiederverheiratung

       bestanden und wie auch die Prälaten

       und Bischöfe ihren Dispens erteilten, da besann sich

       der König und bat dann, ihm bis Lichtmeß Frist zu

       gewähren.