Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
Скачать книгу
seinen Rittern bei ihm Herberge

       nehmen. Der König erwiderte, gern wolle er

       ihm für eine Woche Ehre, Freude und Gesellschaft

       verschaffen. Iwein dankte dem König und nun begaben

       sich alle zur Burg, nachdem zuvor ein Bote an

       Laudine abgeschickt worden war, der sie von dem be-

       vorstehenden Besuch in Kenntnis setzen sollte. Durch

       die gaffende Menge ging die Schloßherrin, umgeben

       von tanzenden Jungfrauen, in ein Hermelingewand

       gehüllt und mit einer rubingeschmückten Krone auf

       dem Kopfe, dem König entgegen und bewillkommnete

       ihn. Den Tag beschloß ein großes Fest und Gawein

       dankte es Lunete durch mannigfache Gunstbezeigungen,

       daß sie seinen Freund vom Tode gerettet hatte.

       Die ganze Woche verging unter Feiern, Jagden und

       Besichtigen der Schlösser. Als aber der König nicht

       mehr länger verweilen wollte, ließ er alles zur Abreise

       rüsten.

       Man hatte sich die ganze Woche bemüht, Iwein zu

       veranlassen, daß er mitziehe. »Wie?« hatte Gawein zu

       ihm gesagt, »gehört Ihr auch zu denen, die weniger

       taugen, sobald sie beweibt sind? Verflucht sei, wer

       nur heiratet, um sich zu verliegen, man soll umgekehrt

       tüchtiger werden durch den Umgang mit schönen

       Frauen. Brecht die Fessel, die Euch bindet, dann wollen

       wir beide wieder zu Turnieren reiten, damit niemand

       Euch eifersüchtig schilt. Jedes Gut wird begehrenswerter,

       wenn man seinen Genuß hinausschiebt,

       schöner ist es, ein geringes Glück nach einem Aufschub

       zu kosten, als ein großes alle Tage. Späte Liebesfreude

       gleicht einem brennenden grünen Busch,

       der um so heißer brennt, je länger er zögert, Feuer zu

       fangen.« So lange redete Gawein auf seinen Freund

       ein, bis dieser ihm versprach, mitzuziehen. Aber

       zuvor müsse er seine Herrin fragen, ob sie ihm Urlaub

       gewähren wolle, um nach Britannien zurückzukehren.

       Er sprach also zu Laudine: »Meine teuere Frau, die

       Ihr mein Herz und meine Seele seid, wollt Ihr mir um

       Eurer und meiner Ehre willen etwas versprechen?«

       »Lieber Herr,« versetzte sie, »Ihr mögt mir befehlen,

       was Euch gut dünkt!« Nun bat sie Iwein um Urlaub,

       dem König zu folgen und zu Turnieren zu reiten,

       damit man ihn nicht träge schelte. Sie sprach: »Ich gewähre

       Euch den Urlaub bis zu einem bestimmten

       Zeitpunkt. Aber meine Liebe, die ich zu Euch trage,

       wird sich in Haß verwandeln, wenn Ihr diesen Zeitpunkt,

       den ich Euch angeben werde, überschreitet.

       Wenn Ihr Euch meiner Liebe fürderhin erfreuen wollt,

       so seid darauf bedacht, in spätestens einem Jahre zurück

       zu sein, acht Tage nach dem Feste St. Johannis.

       Los und ledig sollt Ihr meiner Liebe werden, wenn Ihr

       an diesem Tage nicht wieder bei mir seid.« Iwein

       konnte ihr vor Gram kaum antworten: »Herrin, diese

       Zeitspanne ist zu lang. Könnte ich eine Taube sein,

       gar oft wäre ich bei Euch! Ich bitte Gott, daß er mich

       nicht so lange verharren läßt. Aber was soll werden,

       wenn Krankheit oder Haft mich hindern?« »Wenn

       Gott Euch vor dem Tode bewahrt, so wird Euch keine

       Verzeihung zuteil, wenn Ihr nicht mein zur rechten

       Zeit gedenkt. Nehmt diesen Ring an Euren Finger, er

       wird Euch vor Kerker und Wunden bewahren. Wenn

       ein wahrhaft Liebender ihn trägt, so wird er dadurch

       so hart wie Eisen: der Ring soll Euer Schild und Harnisch

       sein!« Weinend trennte sich Iwein von ihr, mit

       Tränen waren ihre Abschiedsküsse besät und von

       Zärtlichkeit umduftet.

       Nun begann ein bewegtes Leben. Überall, wo man

       turnierte, waren Iwein und Gawein zu sehen. So ging

       das Jahr vorüber, und immer noch gelang es Gawein,

       seinen Freund zurückzuhalten. Das andere Jahr brach

       an und es war schon zu Mitte August, als König

       Artus Hoftag in Chester hielt. Gerade am Tage vorher

       waren die beiden Gefährten von einem Turnier zurückgekehrt,

       bei welchem Iwein den Hauptpreis davongetragen

       hatte. Sie hatten nicht in der Stadt absteigen

       wollen, sondern hatten ihre Zelte außerhalb der

       Mauern aufgeschlagen. Dort suchte sie König Artus

       auf und setzte sich zwischen sie auf das Lager. Da begann

       Herr Iwein in Gedanken zu verfallen und nie,

       seit er von seiner Herrin Abschied genommen hatte,

       war ihm ein Gedanke so schwer aufs Herz gefallen

       wie dieser, denn er wußte wohl, daß er sein Versprechen

       nicht gehalten hatte und daß der Zeitpunkt überschritten

       war. Noch grübelte er so, da sah man auf

       schwarz- und weißgeflecktem Roß eine Jungfrau heranreiten.

       Vor dem Zelte stieg sie ab, aber niemand

       kam, ihr zu helfen, niemand nahm ihr Roß in Hut. Als

       sie den König erblickte, ließ sie den Mantel fallen und

       trat ins Zelt. Sie sagte, ihre Herrin lasse den König

       grüßen und Gawein ebenso und alle außer dem Verräter

       Iwein, dem Lügner und gleißnerischen Schwätzer,

       der sie verlassen und betrogen habe. »Als Heuchler

       hat sich der erwiesen, der sich als wahrhaft Liebender

       ausgab und doch ein falscher Verräter war. Er hat ihr

       Herz gestohlen und ist damit geflohen. Herr Iwein hat

       meine Herrin dem Tode nahegebracht. Ach, sie glaubte,

       er wolle ihr Herz bewahren und ihr nach Jahresfrist

       zurückstellen. Alle Tage des Jahres hat sie in ihrer

       Kammer angekreidet und jede Nacht hat sie die Tage

       gezählt, die verstrichen waren und die noch kommen

       sollten. Doch du kamst nicht. Ich will dich nicht anklagen,

       aber so viel will ich sagen, daß uns der verraten

       hat, der dich mit unserer Herrin verheiratete.

       Iwein, nun sorgt sie sich nicht mehr um dich, sondern

       sie befiehlt dir durch mich, daß du ihr nie wieder

       unter die