Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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eine Frau getan hätte. Der Eremit trug die Kinder in

       sein Haus, und jeden Tag kam die Ziege dorthin. Und

       so nährte er die Kinder lange Zeit.

       Da geschah es eines Tages, daß der Einsiedler in

       den Wald gegangen war und eines der Kinder mit sich

       genommen hatte. Der Förster Malquerre kam durch

       Zufall in das Haus des Einsiedlers, fand die sechs

       schönen Kinder und sah die Kettlein, die sie um den

       Hals trugen. Er sagte zu sich, wenn es mit dem Willen

       seiner Herrin geschehe, so wolle er ihnen die Kettlein

       wegnehmen. Der Verräter begab sich also zu

       einer Herrin und sprach: »Herrin, ich habe sechs wunderschöne

       Kinder in jenem Walde gefunden, und sie

       trugen sechs Kettlein um den Hals. Herrin, wenn Ihr

       es mir erlaubt, so werde ich gehen und sie ihnen nehmen.

       « Als die Alte solches vernahm, wurde sie sehr

       bekümmert, denn sie merkte wohl, daß dies ihre

       Enkel wären, die Marke in den Wald gebracht hatte.

       Sie sprach zu Malquerre: »Geht wieder in die Einsiedelei

       und nehmt ihnen die Ketten ab, und wenn sie

       euch Widerstand leisten, so tötet sie!« Sogleich machte

       sich Malquerre auf den Weg. Matabrune rief

       Marke, sie wolle mit ihm reden; und er kam. Da führte

       sie ihn in ein Gemach und beschwor ihn, daß er ihr

       der Wahrheit gemäß erzähle, was er mit den sieben

       Kindern gemacht habe, die sie ihm anvertraut hätte,

       und wenn er lügen würde, so wolle sie ihn in Stücke

       zerreißen. Da sagte der wackere Mann: »So wißt,

       Herrin, daß ich sie lebendig im Walde zurückließ.«

       Die Alte ließ ihn ergreifen und ihm die Augen ausreißen.

       Malquerre wanderte so lange, bis er in die Einsiedelei

       kam. Es traf sich, daß der Eremit in den Wald

       gegangen war und eines der Kinder mit ihm. Als Malquerre

       die sechs Kinder und ihre Ketten erblickte und

       bemerkte, daß niemand zugegen war, da wurde er sehr

       froh. Er nahm die Kinder und jagte sie aus dem

       Hause, und jedesmal, wenn er eines ergriff, riß er ihm

       seine Kette ab. Und jene wurden zu weißen Schwänen

       und flogen auf einen Teich ihres Vaters, des Königs

       Oriant von Illefort. Als der Verräter dieses sah, erschrak

       er gewaltig. Darauf kehrte Malaquerre zu seiner

       Herrin zurück und brachte ihr die Kettlein. Matabrune

       ließ einen Goldschmied kommen und bat ihn, er

       möge aus den sechs Ketten eine Trinkschale verfertigen.

       Jener antwortete: »Gerne, Herrin!« Darauf nahm

       er eine der Ketten und schmiedete sie und verfertigte

       eine prächtige Schale daraus. Die übrigen fünf Ketten

       aber brachte der Goldschmied in Sicherheit, denn er

       merkte wohl, daß sie überaus kostbar waren. Als der

       Einsiedler und das Kind aus dem Walde zurückkamen

       und die übrigen Kinder nicht mehr zu Hause vorfanden,

       da wurden sie gar betrübt und zornig und gebärdeten

       sich ganz verzweifelt.

       Kurz darauf ereignete es sich, daß Matabrune zum

       König Oriant, ihrem Sohne, ging und sprach: »Lieber

       Sohn, du bist zu sehr beschimpft; laß deine Frau verbrennen,

       denn es ist ein gar zu todeswürdiges Verbrechen,

       daß sie mit einem Hunde schlief.« Da wurde der

       König sehr traurig; er berief alle seine Barone, damit

       sie ein Urteil über seine Frau sprechen sollten. Diese

       lag nun schon seit fünfzehn Jahren im Kerker und war

       in dieser Zeit niemals satt geworden. Sie flehte inniglich

       zu Gott, daß er sie aus diesem Elend erlösen

       möge, denn der Hunger und die Not quälten sie gar

       sehr. Als die Barone versammelt waren, wurde das

       Urteil dahingehend gefällt, daß die Königin am folgenden

       Tage verbrannt werden sollte, wenn sie keinen

       Kämpfer fände, der sie verteidigen würde.

       Da ereignete es sich, daß unser Herr Jesus Christus,

       der nicht wollte, daß die Frau umkäme, einen

       seiner Engel zum Einsiedler in den Wald sandte, welcher

       zu ihm folgendermaßen sprach: »Eremit, Gott

       befiehlt dir, daß du morgen frühe deinen Knaben in

       die Stadt Illefort sendest, damit er seine Mutter, welche

       die Gattin des Königs Oriant ist, vor dem Feuertode

       rettet. Er und die sechs anderen Kinder sind

       Söhne des Königs Oriant und der Königin Beatrix.

       Matabrune hat sie verleumdet, sie habe sieben Hunde

       geboren, und darum soll sie morgen verbrannt werden,

       wenn ihr keine Hilfe kommt. Aber Ihr sollt nicht

       zweifeln, daß ihr Gott helfen wird.« Fernerhin befahl

       er, daß der Knabe getauft werde und den Namen Helias

       erhalte. Darauf verschwand der Engel. Als der

       Tag angebrochen war, weckte der Einsiedler den Knaben

       und sprach zu ihm: »Lieber Sohn, erhebe dich; du

       mußt nach Illefort gehen, deine Mutter vor dem Feu-

       ertode retten und von dem Verbrechen, dessen sie Matabrune

       beschuldigt hat, reinigen. Ferner mußt du dich

       taufen lassen und ein Christ werden, und du sollst den

       Namen Helias tragen.« Der Eremit machte ihm einen

       Mantel aus Laub und bekleidete ihn damit; dann

       nahm er eine Stange in die Hand, und der Einsiedler

       begleitete ihn bis zum Waldesrande. Hier sprach er zu

       ihm: »Lieber Sohn, sei tapfer und verständig! Wisse,

       daß du der Sohn des Königs Oriant bist und sei versichert,

       daß Gott dir helfen wird.« Darauf wies ihm der

       Einsiedler den Weg und zeigte ihm Illefort, wohin er

       gehen müsse. Dann trennte sich der Einsiedler von

       ihm, und der Knabe ging, um seine Mutter von der

       Schuld, deren sie Matabrune bezichtigt hatte, zu reinigen.

       Matabrune hatte durch Zauber erfahren, daß die

       Königin durch eines ihrer Kinder gerettet werden sollte,

       und sie schickte ihm unverzüglich zwei Diener entgegen,

       die ihn töten sollten. Der Knabe begegnete