Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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Gold in den Händen trugen, und zehn Kerzen

       brannten links und rechts in jedem Leuchter. Hinter

       den beiden kam eine Jungfrau in den Saal, wie ein

       Engel anzuschauen, die hielt mit ihren beiden Händen

       den Graal umspannt. Als sie den Saal betrat, drang

       eine solche Helle aus dem Graal, daß alle Kerzen

       ihren Schein verloren, gleichwie vor der Sonne oder

       des Mondes Licht der Sterne Glanz verblaßt. Viel

       kostbare Steine schmückten den Graal, die reichsten,

       die der Schoß der Erde birgt, alle Schätze der Welt

       überstiegen sie an Wert. Hinter der Graalträgerin

       schritt eine Jungfrau, die einen silbernen Teller trug,

       der mit feinem Golde eingelegt war. Ebenso wie der

       mit der Lanze wallten sie vor dem Lager vorüber und

       verschwanden in einem Nebenraum. Parzival sah sie

       vorüberschreiten und wagte nicht, nach dem Graal zu

       fragen, denn er trug stets die Worte des Weisen im

       Herzen.

       Darauf befahl der Schloßherr den Dienern, das

       Wasser zu bringen und den Tisch herzurichten, was

       sogleich geschah. Der Schloßherr und der Jüngling

       wuschen ihre Hände in lauwarmem Wasser, dann

       brachten zwei Diener eine Tafel aus Ebenholz ganz

       aus einem Stück und hielten sie so lange, bis zwei andere

       Diener kamen, die zwei Gerüste brachten, welche

       aus einem wunderbaren Holze gefertigt waren, das

       weder Fäulnis noch Feuer zerstören kann. Auf diese

       Gerüste setzte man die Tafel und breitete ein Tuch

       darüber; kein Papst hatte je von einem weißeren gespeist.

       Die erste Speise war ein Hirschschlegel in

       Pfeffer; klarer, herber Wein wurde dazu in goldene

       Becher gegossen. Ein Diener zerteilte das Fleisch mit

       einem silbernen Messer und legte den Rittern die

       Stücke auf einem Teller vor. Und bei jeder Speise, die

       man auftrug, sah der Jüngling den Graal ganz unverhüllt

       vorübergleiten, doch er fragte nicht, wozu er

       diente. Freilich hätte er es gern gewußt, aber er dachte,

       ehe er fortginge, könne er einen der Diener des

       Schlosses darnach fragen. Einstweilen beschränkte er

       sich auf das Essen und Trinken, denn Speisen und

       Getränke waren von ausgesuchtem Wohlgeschmack,

       und kein Kaiser wurde jemals so gut bedient wie der

       Schloßherr und der Jüngling an diesem Abend. Nach

       dem Essen plauderten beide noch eine Zeitlang, und

       die Diener brachten ihnen Früchte und Gewürze vor

       dem Schlafengehen. Da gab es Datteln, Feigen und

       Muskatnüsse, purpurrote Granatäpfel und zuletzt alexandrinischen

       Ingwer. Hierauf nahmen sie einen

       Würztrank und dann Maulbeerwein und hellen Sirup.

       Endlich sagte der Ritter: »Freund, für heute ist es Zeit

       zum Schlafen. Möge es Euch nicht kränken, wenn ich

       drinnen in meiner Kammer zur Ruhe gehe; Ihr selbst

       werdet ein Lager bereit finden, sobald es Euch Vergnügen

       macht, Euch niederzulegen. Ich habe keine

       Macht über meinen Körper und man muß mich forttragen.

       « Drei kräftige Diener traten aus der Kammer,

       ergriffen die Decke, welche auf dem Lager des

       Schloßherrn ausgebreitet war, und trugen ihn in sein

       Schlafgemach. Andere Diener waren bestimmt, dem

       Jüngling aufzuwarten. Sie lösten ihm die Schuhe ab,

       als es ihm gefiel, halfen ihm, sich zu entkleiden und

       hüllten ihn in weiße Leintücher. Und Parzival schlief,

       bis am andern Morgen die erste Röte des Tages aufzog

       und das Schloßgesinde sich erhob.

       Der Jüngling blickte in seinem Schlafgemach

       umher, aber er sah keinen Menschen im ganzen

       Raum. Er mußte sich also allein erheben, so sehr ihn

       das auch kränkte. Er bekleidete sich, so gut es gehen

       wollte, legte seine Schuhe an, ohne auf fremde Hilfe

       zu warten, und nahm seine Waffen, die er auf dem

       gleichen Tische liegend vorfand, auf welchen er sie

       am Abend zuvor niedergelegt hatte. Als er sich gewaffnet

       hatte, wollte er die Kammer durch die Tür

       verlassen, die, wie er gesehen hatte, die Nacht über

       offen geblieben war; aber zu seinem Erstaunen fand er

       sie verschlossen. Er rief und rüttelte und pochte: vergebens,

       niemand antwortete, niemand öffnete. Als er

       des Schreiens müde war, trat er zur Öffnung der Kammer,

       die ins Freie führte, und fand sie unversperrt, er

       stieg die Stufen hinab, fand sein Roß gesattelt und sah

       seine Lanze und seinen Schild an die Wand gelehnt.

       Dann bestieg er sein Roß und blickte sich um, aber er

       sah keinen Knappen und keinen Diener. Er wandte

       sich zum Tor und fand die Brücke herabgelassen. Er

       glaubte, da er dies sah, die Diener seien in den Wald

       gegangen, um nach Wildbret zu spähen, und ritt ohne

       Säumen auf die Brücke, denn gern hätte er von einem

       der Knappen erfahren, warum die Lanze blute und

       wohin man den Graal trage. Kaum aber hatte er die

       Brücke betreten, als er fühlte, wie sich die Füße seines

       Rosses hoben, das Tier machte einen gewaltigen

       Satz, und wenn es nicht so gut gesprungen wäre, so

       wäre es ihnen beiden übel ergangen. Der Ritter wandte

       sein Gesicht, um zu sehen, was das gewesen sei,

       und er bemerkte, daß man die Brücke emporgezogen

       habe. Er rief, aber niemand antwortete ihm. »Heda,«

       rief er, »du, der du die Brücke aufgezogen hast, wo

       bist du, sprich mit mir, denn ich sehe dich nicht. Tritt

       vor, ich will dich um etwas fragen, das ich wissen

       möchte!« So sprach er, und da niemand ihm antworten

       wollte, merkte er, daß zuviel Schweigen manchmal

       ebenso unklug ist, wie zuviel Reden. Er lenkte

       sein Pferd auf einen Pfad, wo er eine frische Spur von

       Rossen erblickte; »da sind sie wohl fortgeritten, die

       ich suche«, sprach er bei sich und trabte tiefer und tiefer