Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004960
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Si­cher­heit? Es ist nie­mand mehr da, dem sie nüt­zen könn­te. Auch Tors­ten nicht! Oh, wie stolz war ich auf mei­nen Sohn ge­we­sen! Der Glanz in sei­nen Au­gen, bei ge­mein­sa­men Un­ter­neh­mun­gen, war die schöns­te Be­loh­nung. Wann hat­te ich denn ei­gent­lich das letz­te Mal rich­tig Zeit für ihn ge­habt? Wie oft hab ich mit Gabi über das al­les dis­ku­tiert und mir vor­ge­nom­men, et­was zu än­dern. Aber dann. Eine Wei­le hat es meist an­ge­hal­ten, bis, ja bis mich die täg­li­che Rou­ti­ne wie­der im Griff hat­te. Und jetzt, jetzt ist es zu spät. Hät­te ich doch nur da­mals in die Zu­kunft schau­en kön­nen. Was hät­te ich nicht al­les an­ders ge­macht! Wie­der schos­sen mir Trä­nen in die Au­gen.

      Ja, was, was hät­te ich denn an­ders ge­macht? Hät­te ich wirk­lich mein Le­ben ge­än­dert? Wäre ich in der Lage ge­we­sen, mich an­ders zu ver­hal­ten? Mei­nem We­sen, mei­nen Wün­schen und Träu­men ent­ge­gen an­ders zu le­ben? Mich an­de­ren un­ter­zu­ord­nen und so zu le­ben, wie die­se sich das wünsch­ten? Oder wäre ich dar­an zer­bro­chen? Hät­te ich viel­leicht nur den Weg des ge­rings­ten Wi­der­stan­des ge­sucht und nur be­stimm­te Din­ge ver­mie­den? Oh, warum ist das Le­ben nur so kom­pli­ziert?

      Ich be­gann wie­der hin und her zu lau­fen und kam mit die­sen Ge­dan­ken nicht zur Ruhe. Nach ei­ner Wei­le lief ich ein­fach den Wald­weg ent­lang, bis er an ei­nem Wie­sen­hang die Rich­tung wech­sel­te. Er führ­te dann am Wald­rand ent­lang, bis er in ei­nem großen Bo­gen ins Tal hi­n­un­ter schwenk­te. Wenn man dem Weg mit den Au­gen wei­ter­folg­te, konn­te man am Ende des Ta­les, be­vor es durch einen Bo­gen nicht mehr ein­seh­bar war, die ers­ten Häu­ser ei­nes klei­nen Dor­fes se­hen. Ir­gend­je­mand hat­te am Wald­rand, zwi­schen zwei Bäu­men, eine klei­ne Bank ge­baut. Dort setz­te ich mich nie­der und schau­te den wild da­hin­trei­ben­den Wol­ken nach. Der stür­mi­sche Wind beug­te die Baum­wip­fel und im­mer wie­der hör­te man das Knacken von klei­ne­ren Äs­ten, die zu Bo­den fie­len. Ich war noch nie an die­sem Ort ge­we­sen. Da ich aufs Ge­ra­de­wohl los­ge­fah­ren war, wuss­te ich nicht ein­mal ge­nau, wo ich mich be­fand. Wäre ich zu ei­nem an­de­ren Zeit­punkt hier­her­ge­kom­men, hät­te ich mich an der Schön­heit der Land­schaft ge­freut und dem Trei­ben der Na­tur zu­ge­schaut. Doch so nahm ich das al­les nur ne­ben­bei wahr und mei­ne Ge­dan­ken jag­ten ge­nau­so wild da­hin, wie die Wol­ken im stür­mi­schen Wind.

      Was hab ich nun noch vom Le­ben? Mein Halt, die Wär­me, die Zu­flucht in mei­nem Le­ben sind nicht mehr da. Das ein­sa­me, stil­le, für mich al­lein viel zu große Haus er­drückt mich fast. Je­der Ort, je­der Ge­gen­stand in die­sem Haus er­in­nert mich an mei­ne Fa­mi­lie. Was will ich al­lein mit all den Din­gen, die ich um mich he­r­um an­ge­häuft habe? Es macht kei­ne Freu­de, wenn man sie nicht mit je­man­dem tei­len kann. Oh Gott, was soll nur wer­den?

      Ich ver­grub den Kopf in den Hän­den und schloss die Au­gen.

      Wie soll es jetzt wei­ter­ge­hen mit mir? Ich weiß ja nicht ein­mal, wie ich das Pro­blem in der Fir­ma lö­sen soll. Wenn ich die­sem Igor jetzt nach­ge­be, ver­ra­te ich al­les und alle, die mir je­mals lieb wa­ren. Gebe ich ihm nicht nach, brin­ge ich auch noch an­de­re, von mir und der Fir­ma mal ab­ge­se­hen, in Ge­fahr. Viel­leicht wäre es ja gar nicht mal schlecht, wenn ich mit dran glau­ben müss­te. Dann wä­ren all mei­ne Pro­ble­me ein für alle Mal ge­löst. Ich müss­te mir kei­ne Ge­dan­ken mehr ma­chen, wie es wei­ter­geht und wäre alle Sor­gen los. Ja, das ist es. Ich leg mich wei­ter mit die­sem Gangs­ter an.

      Mein Ge­sicht hell­te sich auf und ich woll­te auf­sprin­gen, doch fast im sel­ben Mo­ment sack­te ich wie­der in mich zu­sam­men.

      Ich bin bloß der Letz­te, dem es an den Kra­gen geht. Er will ja was von mir. Also wird er erst alle an­de­ren Mög­lich­kei­ten aus­schöp­fen. Wie­der nichts! Wie­der kein Weg! Wie komm ich nur da raus? Man müss­te ein­fach aus­rei­ßen kön­nen. Ein­fach weg. Sich ein­fach da­v­on­steh­len. Es merkt ja doch kei­ner mehr, wenn ich nicht mehr da bin. Aber wo soll ich denn hin? Was soll ich denn dann tun mit mei­nem Le­ben? Au­ßer … au­ßer ich setz mei­nem Le­ben selbst ein Ende.

      Ich er­schau­der­te bei dem Ge­dan­ken und doch ließ er mich nicht mehr los. Nach­denk­lich aber schon ru­hi­ger stand ich auf und lief den Wald­weg zu­rück. Der Selbst­mord­ge­dan­ke hat­te sich rich­tig in mir fest­ge­fres­sen. Ich über­leg­te nur noch, ob ich vor­her noch et­was klä­ren müss­te. Doch schließ­lich kam ich zu dem Schluss, dass es mir doch dann egal sein könn­te, was wei­ter wer­den wür­de. Der Ge­dan­ke an Gott kam kurz in mir auf, doch ich hat­te den Glau­ben in den letz­ten Jah­ren sehr ver­nach­läs­sigt, so­dass der Selbst­mord­ge­dan­ke schnell wie­der die Ober­hand ge­wann. Ziel­si­cher ging ich aufs Auto zu, such­te den Schlüs­sel in mei­nen Ta­schen und muss­te dann fest­stel­len, dass er noch im Zünd­schloss steck­te. Das war mir auch noch nicht pas­siert. Sonst hat­te ich meist noch ein, zwei Mal kon­trol­liert, ob das Auto auch rich­tig zu­ge­schlos­sen war und jetzt, da steck­te der Schlüs­sel, da la­gen alle Pa­pie­re auf dem Bei­fah­rer­sitz. Selbst die Brief­ta­sche hat­te ich dort lie­gen­ge­las­sen.

      Kopf­schüt­telnd setz­te ich mich ans Steu­er und fuhr zu­rück auf die Land­stra­ße. Da ich zu dem Schluss ge­kom­men war, dass es am bes­ten wäre, wenn ich gleich jetzt mit dem Auto einen töd­li­chen Un­fall ver­ur­sach­te, schau­te ich mich nach ei­ner pas­sen­den Stel­le um. Schließ­lich kam ich auf eine lan­ge Ge­ra­de, die in ei­ner schar­fen Rechts­kur­ve en­de­te. Am lin­ken Stra­ßen­rand in die­ser Kur­ve stand ein recht star­ker Baum.

      Das ist ide­al! dach­te ich und be­schleu­nig­te. Da ich ein PS-star­kes Auto hat­te, war es kein Pro­blem, es bis zum Ende der ge­ra­den Stre­cke auf 140 km/h zu brin­gen. Ich hielt ge­nau auf den Baum zu. Da schoss mir aber noch ein Ge­dan­ke durch den Kopf:

      Was ist, wenn ich nicht ster­be? Was, wenn ich die­sen Un­fall über­le­be? Wenn ich nur zum Krüp­pel wer­de! Wenn ich ein Pfle­ge­fall wer­de! Nein das geht nicht! Das ist zu un­si­cher!

      Im letz­ten Mo­ment nahm ich den Fuß vom Gas­pe­dal und riss das Lenk­rad he­r­um. Ich kann nicht mehr ge­nau sa­gen, wie ich es ge­schafft habe, das schleu­dern­de Auto wie­der in den Griff zu be­kom­men, aber glück­li­cher­wei­se kam mir kein Fahr­zeug ent­ge­gen, sonst wäre es wohl nicht so glimpf­lich aus­ge­gan­gen.

      Nach­denk­lich fuhr ich nach Hau­se. Zwi­schen­zeit­lich kam mir die Fir­ma in den Sinn, und dass ich ja noch ei­ni­ges dort zu er­le­di­gen hät­te. Doch nach ei­nem Blick auf die Uhr ver­warf ich die­sen Ge­dan­ken schnell wie­der. Ers­tens war es schon ziem­lich spät und be­vor ich in der Fir­ma an­kom­men wür­de, wäre schon Fei­er­abend. Und zwei­tens, was soll­te ich noch dort, wenn ich mei­nen Plan wirk­lich durch­füh­ren woll­te. Durch die­se Ge­dan­ken wur­de mir erst ein­mal be­wusst, wie lan­ge und wie weit ich ei­gent­lich ziel­los in der Ge­gend he­r­um­ge­fah­ren war.

      Als ich an ei­ner Bahn­li­nie vor­bei­fuhr, kam mir der Ge­dan­ke, mich vor einen Zug zu wer­fen. Doch auch das ver­warf ich recht schnell wie­der.

      Egal, was ich in Er­wä­gung zog, kei­ne Mög­lich­keit woll­te mir so recht ge­fal­len. Viel­leicht war es auch Selbst­schutz oder die Angst vor der End­gül­tig­keit die­ser Ent­schei­dung, die mich im­mer wie­der zu­rück­schre­cken ließ.

      Schließ­lich ent­schied ich mich fürs Er­hän­gen und zu Hau­se an­ge­kom­men, such­te ich gleich nach ei­nem pas­sen­den Strick. Mit die­sem ging ich dann in ein nahe ge­le­ge­nes Wald­stück. Es dau­er­te auch nicht lan­ge, und ich fand eine Ei­che mit ei­nem