Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004960
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in Be­hand­lung. Aber wenn sie eben erst ein­ge­lie­fert wor­den sind, könn­te es sein, dass ihre Da­ten noch gar nicht auf­ge­nom­men sind. Ge­hen Sie doch bit­te in die Not­auf­nah­me und fra­gen Sie dort nach.‹

      Ich ließ mir den Weg be­schrei­ben und er­kun­dig­te ich mich dann dort noch ein­mal nach mei­ner Fa­mi­lie.

      Es war nicht das, was die Schwes­ter sag­te, son­dern wie sie es sag­te und mich da­bei an­schau­te, was mich so un­ru­hig mach­te. Sie bat mich, kurz Platz zu neh­men und ging, um je­man­den zu ho­len, der mir Aus­kunft ge­ben konn­te.

      We­nig spä­ter be­trat ein äl­te­rer, Ver­trau­en ein­flö­ßen­der Arzt den Raum und for­der­te mich auf, ihm in sein Büro zu fol­gen. Als ich dort Platz ge­nom­men hat­te, setz­te er sich mir ge­gen­über, stütz­te sei­ne El­len­bo­gen auf den Schreib­tisch vor sich und fal­te­te die Hän­de vorm Ge­sicht.

      Ich wer­de die­se Au­gen­bli­cke nie ver­ges­sen und es hat sich jede Ein­zel­heit tief in mein Ge­dächt­nis ein­ge­brannt, aber noch wuss­te ich nicht, dass sich da­durch mein gan­zes Le­ben än­dern wür­de.

      Es wa­ren nur Se­kun­den bis er an­fing zu spre­chen und doch nahm ich in die­ser kur­zen Zeit jede Ein­zel­heit an und um ihn he­r­um wahr.

      Wir sa­ßen in ei­nem klei­nen, hel­len, freund­li­chen Büro. Ei­ni­ge gut ge­pfleg­te Pflan­zen auf dem Fens­ter­stock ver­lie­hen dem Raum ein an­ge­neh­mes Kli­ma. Der Schreib­tisch war or­dent­lich auf­ge­räumt und es lag nur das Not­wen­digs­te dar­auf. Die An­ord­nung des Com­pu­ter­bild­schirms, der Tas­ta­tur und der Maus wa­ren sinn­voll ge­wählt, so­dass auch bei ei­nem Ge­spräch wie die­sem nichts stör­te. Es dran­gen kaum Ge­räusche von au­ßen he­r­ein und man hät­te in den Au­gen­bli­cken, be­vor er an­fing zu spre­chen, eine Steck­na­del fal­len hö­ren kön­nen. Der Arzt saß leicht nach vorn ge­beugt an sei­nem Schreib­tisch, hat­te den Kopf ein we­nig ge­senkt und schau­te über sei­ne Bril­le hin­weg in mei­ne Au­gen. Nach­denk­lich oder ner­vös rieb er, mit den ge­fal­te­ten Hän­den, die Hand­bal­len und Dau­men an­ein­an­der. Lang­sam rich­te­te er sich auf und fing an zu spre­chen: ›Herr Kauf­mann, als Ihre Frau hier ein­traf ...‹

      Die­ses Ge­spräch fiel ihm sicht­lich schwer und das flaue Ge­fühl in mei­ner Ma­gen­ge­gend ver­stärk­te sich. Mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen und schwer at­mend hing ich an sei­nen Lip­pen.

      ›… als sie hier ein­traf, konn­ten wir lei­der nichts mehr für sie tun. Sie hat bei dem Un­fall schwe­re, auch schwe­re in­ne­re Ver­let­zun­gen er­lit­ten. Der Not­arzt hat al­les Men­schen­mög­li­che ver­sucht, um sie am Le­ben zu er­hal­ten und auch wir ha­ben hier ver­sucht sie zu re­ani­mie­ren, aber es war lei­der nicht mehr mög­lich.‹

      Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich hat­te das Ge­fühl, dass mein Kopf je­den Au­gen­blick plat­zen wür­de. Mein Atem ging schwer, mei­ne rech­te Hand fing an zu zu­cken und ein kal­ter Schau­er lief mir über den Rücken.

      ›Wie ... was ... ich ver­ste­he das nicht! Das … das ist doch nicht mög­lich!‹

      Mei­ne Ge­dan­ken wir­bel­ten durch­ein­an­der. Sie woll­te doch mit den Kin­dern nur zu ih­ren El­tern fah­ren. Die­se Stre­cke kann­te sie wie ihre Wes­ten­ta­sche, denn sie war die­se Stra­ßen doch schon hun­dert Mal ge­fah­ren. Da konn­te doch gar nichts pas­sie­ren. Au­ßer­dem, wenn die Kin­der mit im Auto sa­ßen, fuhr sie im­mer be­son­ders vor­sich­tig. Die Kin­der, na klar, die wa­ren ja auch mit da­bei ge­we­sen.

      ›Und den Kin­dern, wie geht es de­nen? Wenn ich mich recht ent­sin­ne, dann hat der Po­li­zist vor­hin auch von ih­nen ge­spro­chen!‹

      Er­war­tungs­voll und zu­gleich ängst­lich schau­te ich ihn an.

      ›Tjaaa, also, wenn ich recht in­for­miert bin, dann kam für die bei­den Kin­der schon vor Ort jede Hil­fe zu spät. Als die Ret­tungs­kräf­te ein­tra­fen und sie mü­he­voll aus dem Auto be­freit hat­ten, gab es lei­der kei­ne Mög­lich­keit mehr, ih­nen zu hel­fen.‹

      Ich sank in mich zu­sam­men. Je­des Wort der letz­ten Sät­ze war wie der Schlag mit ei­nem Ham­mer ge­we­sen. Müh­sam ver­such­te ich, mei­ne Ge­dan­ken zu ord­nen und zu be­grei­fen, was der Arzt eben ge­sagt hat­te. Als ich früh ge­gan­gen war, hat­te ich doch noch in die Kin­der­zim­mer ge­schaut und sie fried­lich schla­fen ge­se­hen.

      Oh Gott, mein Gott, was ist nur ge­sche­hen, was hab ich nur ge­tan, dass ich so ge­straft wer­de? Bis­her war im­mer al­les, mit ei­ni­gen we­ni­gen, ver­ges­sens­wer­ten Schwie­rig­kei­ten, nach mei­nen Wün­schen und Träu­men ver­lau­fen und nun das. Es konn­te gar nicht sein, das war über­haupt nicht mög­lich! Es muss­te ein­fach ein Miss­ver­ständ­nis sein! Bei die­sem Ge­dan­ken an­ge­kom­men, schau­te ich hoff­nungs­voll auf den Arzt. Doch im sel­ben Mo­ment wur­de mir klar, dass es nur ein dum­mer Ge­dan­ke ge­we­sen war. Der Arzt sprach im­mer noch und ich ver­such­te müh­sam, sei­ne Wor­te auf­zu­neh­men, doch es ge­lang mir nicht. Ich sah nur wie schwer es ihm fiel, mir die­se Mit­tei­lung zu ma­chen, dass er schon lan­ge nicht mehr in mein Ge­sicht sah, son­dern ge­bannt auf sei­ne im­mer noch ge­fal­te­ten Hän­de schau­te und auch wei­ter­hin ner­vös die Hand­bal­len und Dau­men an­ein­an­der rieb. Was war nur ge­sche­hen, die Kin­der hat­ten doch noch ihr gan­zes Le­ben vor sich und Gabi ...

      ›Ich … ich möch­te sie se­hen. Wo ist sie, und wo sind mei­ne Kin­der?‹

      Ver­blüfft schau­te der Arzt hoch. Er hat­te im­mer noch ge­spro­chen und ich hat­te ihn mit­ten im Satz un­ter­bro­chen. ›Ich den­ke, es wäre bes­ser, wenn Sie Ihre An­ge­hö­ri­gen jetzt noch nicht wie­der­se­hen. Es ist kein schö­ner An­blick durch die schwe­ren Ver­let­zun­gen. Viel­leicht soll­ten Sie in Er­wä­gung zie­hen ...‹

      In die­sem Mo­ment klopf­te es zag­haft an der Tür. Der Arzt, froh we­gen die­ser Un­ter­bre­chung, sag­te: ›Ja, bit­te!‹

      Lang­sam ging die Tür auf und ein Po­li­zist schau­te he­r­ein.

      ›Ent­schul­di­gen Sie bit­te, ich su­che einen Herrn Kauf­mann. Mir wur­de ge­sagt, ich könn­te ihn hier fin­den.‹

      ›Ja, da sind Sie hier schon rich­tig. Ich neh­me an, Sie sind der Er­mitt­lungs­lei­ter vom Un­fall­ort?‹

      ›Ja, Schlich­ter, Haupt­wacht­meis­ter Schlich­ter, aber Sie wa­ren noch im Ge­spräch, und ich woll­te Sie nicht un­ter­bre­chen. Ich wer­de vor der Tür war­ten bis Sie fer­tig sind.‹

      Er dreh­te sich um und woll­te den Raum ver­las­sen, doch der Arzt hielt ihn mit den Wor­ten auf: ›Einen Mo­ment bit­te, blei­ben Sie, ich habe dem Herrn Kauf­mann schon al­les er­zählt, was ich über den Un­fall sa­gen kann. Wei­te­re Fra­gen zum Un­fall­her­gang kön­nen höchs­tens Sie ihm be­ant­wor­ten. Ich wer­de dann, da­mit Sie un­ge­stört spre­chen kön­nen, so­lan­ge in die Not­auf­nah­me ge­hen.‹

      Er er­hob sich und woll­te den Raum ver­las­sen, doch der Po­li­zist hielt ihn mit den Wor­ten auf: ›Bit­te war­ten Sie, ich den­ke, es wäre bes­ser, wenn Sie hier blei­ben wür­den.‹ Und mit ei­nem fle­hen­den Blick füg­te er hin­zu: ›Es gibt da viel­leicht das eine oder an­de­re, wo­bei ich Ihre Hil­fe be­nö­ti­gen könn­te.‹

      Der Arzt mach­te eine re­si­gnie­ren­de Hand­be­we­gung und setz­te sich mit ei­nem ent­täusch­ten Blick wie­der hin. Ne­ben der Tür stand ein Stuhl, den sich der Haupt­wacht­meis­ter