Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004960
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und ich muss­te alle Kraft zu­sam­men­neh­men, um ihn zu über­ste­hen.

      Seit die­sem Tag stel­le ich mir stän­dig die Fra­ge: Was wäre ge­sche­hen, wenn ich nach­ge­ge­ben hät­te? Was wäre, wenn ...

      Das Schlimms­te kam aber noch, denn ich wuss­te ja noch nicht al­les über die­sen Un­fall. Aber es traf mich wie ein Schlag, als ich zwei Tage nach der Be­er­di­gung das ers­te Mal wie­der in der Fir­ma er­schi­en. Ich hat­te lan­ge über­legt, wie es nun wei­ter­ge­hen soll­te und war schließ­lich zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass es das Bes­te wäre, wenn ich mich wie­der in mei­ne Ar­beit stür­zen wür­de. Die Ar­beit wür­de mich ab­len­ken, so­dass ich nicht stän­dig über das Warum und Wie­so nach­den­ken könn­te. Mei­ne Be­leg­schaft war wirk­lich sehr ver­ständ­nis­voll. Be­son­ders Frau Wag­ner, mei­ne Se­kre­tä­rin, hat­te wie­der be­wie­sen, dass sie die per­fek­te Be­set­zung für die­se Stel­le war. Al­les, was ich nicht un­be­dingt selbst ent­schei­den muss­te, hat­ten sie und an­de­re lei­ten­de An­ge­stell­te in der Zwi­schen­zeit zu mei­ner volls­ten Zu­frie­den­heit er­le­digt. Nur die Din­ge, die kein an­de­rer ent­schei­den konn­te, wa­ren, sau­ber nach Wich­tig­keit ge­ord­net, auf mei­nem Schreib­tisch be­reit­ge­legt. Ich ging mit ihr die­se An­ge­le­gen­hei­ten durch und wir hat­ten schon ei­ni­ges ab­ge­ar­bei­tet, als das Te­le­fon wie­der ein­mal klin­gel­te. Sie ging an ih­ren Schreib­tisch und nahm den Hö­rer ab. Im sel­ben Mo­ment konn­te ich an ih­rem Ge­sichts­aus­druck er­ken­nen, dass sie die­sen An­ruf zwar er­war­tet, aber ins­ge­heim ge­hofft hat­te, dass er nicht käme. Sie leg­te das Ge­spräch in die Mu­sik und sag­te zu mir: ›Es ist wie­der die­ser Herr Igor und er lässt sich ein­fach nicht ab­wim­meln. Er hat schon in den letz­ten zwei Ta­gen mehr­fach hier an­ge­ru­fen. Was soll ich ...?‹

      ›Ge­ben Sie das Ge­spräch her. Der er­wischt mich ge­ra­de auf dem rich­ti­gen Fuß! Dem werd ich jetzt ein für alle Mal die Mei­nung gei­gen!‹, sag­te ich zor­nig. Ich nahm das Ge­spräch an und mel­de­te mich be­tont forsch.

      ›Ja! Kauf­mann am Ap­pa­rat!‹

      ›Ahhh, Herr Kauf­mann. Schön, dass Sie wie­der im Ge­schäft sind.‹

      ›Was wol­len Sie? Ich den­ke, ich habe Ih­nen mei­ne Po­si­ti­on klar und ver­ständ­lich mit­ge­teilt! Also, warum be­läs­ti­gen Sie mich trotz­dem noch?‹

      ›Also, also, Herr Kauf­mann. Nicht so ag­gres­siv! Ich be­dau­re das mit Ih­rer Fa­mi­lie sehr, aber es soll­te ei­gent­lich nur ein Warn­schuss wer­den. Dass es dann so schlimm aus­ge­gan­gen ist, war wirk­lich die Ver­ket­tung un­glück­li­cher Um­stän­de. Ich habe mei­ne Mit­ar­bei­ter schon be­straft für ihr über­trie­be­nes Vor­ge­hen. Ich hof­fe Sie wis­sen nun, dass wir es ernst mei­nen und auch die Mög­lich­keit ha­ben, un­se­re For­de­run­gen durch­zu­set­zen!‹

      Mit ei­nem Schlag ging mir ein Licht auf. Ich ver­stand nun, wie es zu die­sem Un­fall hat­te kom­men kön­nen. Mir ver­schlug es die Spra­che und die Hand mit dem Te­le­fon­hö­rer sank mir auf die Brust. Ich rang nach Luft und Frau Wag­ner, die durch die of­fe­ne Tür he­r­ein­ge­schaut hat­te, war schon auf dem Sprung, um mir zu hel­fen, als ich mich auf­raff­te und den Hö­rer wie­der hoch­nahm.

      ›Hal­lo? Hal­lo, Herr Kauf­mann? Sind Sie noch da?‹

      ›Ja … Ja, ja‹, stot­ter­te ich, ›was ha­ben Sie da eben ge­sagt? Sie … Sie sind da­für ver­ant­wort­lich? Ich … ich kann das gar nicht glau­ben!‹

      ›Tja, dann fin­den Sie sich mal mit die­sem Ge­dan­ken ab! Ich hat­te Sie vor­her mehr­fach ge­warnt! Es soll­te nicht so hart aus­fal­len, soll­te nur ein Warn­schuss wer­den, aber viel­leicht war es auch gut so. Nun wis­sen Sie we­nigs­tens, dass wir es ernst mei­nen! Ich den­ke, Sie soll­ten nun eine Än­de­rung Ih­rer Mei­nung in Be­tracht zie­hen, denn wir ha­ben auch noch an­de­re Mög­lich­kei­ten, un­se­ren Wil­len durch­zu­set­zen. Also, ich las­se Sie das Gan­ze noch ein­mal in Ruhe über­den­ken. Äh, sa­gen wir ein, oder bes­ser zwei Tage, dann mel­de ich mich wie­der und wir han­deln die Ein­zel­hei­ten aus!‹ Es folg­te eine klei­ne Pau­se.

      ›Und den­ken Sie nicht mal im Traum dar­an, die Po­li­zei oder je­man­den an­ders zu in­for­mie­ren! Ich wür­de auf je­den Fall recht schnell da­von er­fah­ren und dann ist Ihre Fir­ma und Ihr Le­ben kei­nen Pfif­fer­ling mehr wert! Ich den­ke, dass ich mich da klar aus­ge­drückt habe.‹

      Wut stieg in mir hoch und ohne ir­gend­wel­che Kon­se­quen­zen zu be­den­ken, schrie ich in den Hö­rer:

      ›Sie sind wohl nicht mehr ganz bei Trost?! Nach­dem, was Sie mir jetzt er­zählt ha­ben, er­war­ten Sie auch noch eine Ko­ope­ra­ti­on von mei­ner Sei­te? Ich den­ke ja nicht mal im Traum dar­an, auch nur im Ge­rings­ten in ir­gend­ei­ner Form auf Ihre For­de­run­gen ein­zu­ge­hen! Sie kön­nen sich Ihre Dro­hun­gen sonst wo­hin ste­cken! Sie, Sie Stück Dreck, Sie! Sie ... Arrr!!‹

      Mit die­sen Wor­ten knall­te ich den Hö­rer so wü­tend auf die Ba­sis­sta­ti­on, dass er aus­ein­an­der­brach. Noch wü­ten­der da­durch, wisch­te ich das Te­le­fon in­klu­si­ve ei­ni­ger an­de­rer Din­ge vom Schreib­tisch. Ohne Rück­sicht auf wei­te­re Schä­den ging ich durch die he­r­un­ter­ge­wor­fe­nen Ge­gen­stän­de, nahm mei­ne Ja­cke vom Gar­de­ro­ben­stän­der und ver­ließ ohne ein wei­te­res Wort das Fir­men­ge­bäu­de in Rich­tung Auto. Aus den Au­gen­win­keln konn­te ich noch das ent­setz­te Ge­sicht mei­ner Se­kre­tä­rin se­hen, doch ich war zu auf­ge­wühlt, um in die­sem Mo­ment dar­auf ein­zu­ge­hen.

      Ag­gres­siv fuhr ich ohne Ziel drauf­los. Nach ei­ner gan­zen Wei­le bog ich in einen Wald­weg ein, stieg aus und lief lei­se vor mich hin­re­dend auf und ab.

      Oh Gott, warum nur? Was hab ich denn ver­bro­chen, dass ich so ge­straft wer­de? Ich woll­te doch nie je­man­dem scha­den oder ihn über­vor­tei­len. Habe im­mer ver­sucht, es al­len recht zu ma­chen. Oft habe ich zu mei­nem ei­ge­nen Nach­teil an­de­ren nach­ge­ge­ben. Ich stock­te kurz und hol­te tief Luft.

      Na ja, meis­tens war es ja nicht ganz un­be­rech­nend, denn im Nach­hi­n­ein hat sich oft ein Vor­teil für mich dar­aus er­ge­ben. Aber muss ich des­we­gen so ge­straft wer­den? Ich habe doch des­we­gen nie­man­dem Scha­den zu­ge­fügt! Warum habe ich nur dies­mal nicht nach­ge­ge­ben? Warum habe ich die­ses blö­de Ge­schäft nicht ein­fach sau­sen las­sen? Es lief doch auch so her­vor­ra­gend in der Fir­ma. Sie muss es ge­ahnt ha­ben, muss ge­wusst ha­ben, was ge­sche­hen wür­de. Sie war im­mer bes­ser in der Ein­schät­zung sol­cher Din­ge.

      Die Ver­zweif­lung über­roll­te mich, ich leg­te die Arme aufs Au­to­dach, ver­grub mei­nen Kopf in den Arm­beu­gen und be­gann hem­mungs­los zu schluch­zen.

      Bil­der stie­gen in mir auf.

      Wie schön war es im­mer ge­we­sen, wenn Ma­ria mit ih­ren großen Kin­derau­gen fle­hend zu mir auf­ge­schaut hat­te, um et­was zu er­rei­chen, und wie schwer war es mir oft ge­fal­len, ihr nicht jede Bit­te zu er­fül­len. Ich habe im­mer ge­dacht: Das darfst du nicht, spä­ter be­kommt sie auch nicht je­den Wunsch er­füllt und dann kann sie nicht da­mit um­ge­hen. Hät­te ich ihr doch je­den Wunsch er­füllt! Ach, könn­te ich doch die Zeit zu­rück­dre­hen! Die schö­nen Stun­den mit Gabi noch ein­mal er­le­ben. Wie schön war es ge­we­sen, als un­se­re Lie­be noch jung war. Wir hat­ten uns nichts dar­aus ge­macht, im­mer und über­all zu zei­gen, wie sehr wir uns lieb­ten. Auch wenn an­de­re manch­mal ver­un­si­chert