Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004960
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über mich er­zählt?«

      Halb­laut, mehr zu sich ge­spro­chen, füg­te sie noch hin­zu: »Aber ei­gent­lich, ei­gent­lich habe ich doch mit kei­nem dar­über ge­spro­chen?! Kei­ner weiß, wie ich mich füh­le, was mich be­wegt, wo­nach ich mich seh­ne.«

      Ihre Au­gen wur­den wie­der feucht.

      »Nein! Sie ha­ben mit kei­nem dar­über ge­spro­chen, ha­ben al­les in Ih­rer See­le ein­ge­schlos­sen! Sie schä­men sich. Se­hen in je­dem Blick Ab­leh­nung. Ha­ben das Ge­fühl, dass an­de­re Sie ver­ach­ten und sind ver­bit­tert, weil Sie den­ken, alle re­den schlecht von Ih­nen. Doch die, die am meis­ten mit dem Fin­ger auf Sie zei­gen und läs­tern sind viel­leicht die Schlimms­ten, und schau­en vol­ler Wol­lust, zwi­schen den Fin­gern, ge­nau hin. Ei­gent­lich soll­ten die Men­schen nur über an­de­re rich­ten, wenn sie es selbst bes­ser ma­chen, eine Lö­sung für einen Kon­flikt ha­ben oder ein leuch­ten­des Vor­bild sind. Doch lei­der ist das nicht so!«

      Eine kur­ze Pau­se ent­stand, in der er sich an sol­che Ge­ge­ben­hei­ten er­in­ner­te.

      »Sie quä­len sich und fin­den doch kei­nen Aus­weg. Doch so­lan­ge Sie sich so vor al­len an­de­ren ver­schlie­ßen, spü­ren die­se Ihre Ab­leh­nung, Ihre Di­stanz und die, die Sie mö­gen und Ih­nen hel­fen könn­ten, fin­den kei­nen Weg zu Ih­nen.«

      Lang­sam lös­te er sich von der Fels­wand, ging zwei Schrit­te zur Sei­te und setz­te sich dort auf einen Fels­block.

      »Kom­men Sie, set­zen Sie sich mit hier­her. Ich möch­te Ih­nen eine Ge­schich­te er­zäh­len. Ob die­se Ge­schich­te wahr ist und von ei­nem ge­leb­ten Le­ben han­delt oder ein Traum, spielt kei­ne Rol­le. Hö­ren Sie ein­fach nur zu und wenn Sie dann im­mer noch in Selbst­mit­leid ver­sin­ken möch­ten, wer­de ich Sie nicht mehr stö­ren. Dann kön­nen Sie sprin­gen oder auch ewig hier ste­hen blei­ben.« Sie zö­ger­te. »Bit­te, bit­te kom­men Sie.«

      Im­mer noch ver­blüfft über das nach­den­kend, was sie so­eben ge­hört hat­te, ging sie lang­sam auf ihn zu. Sie konn­te es sich nicht er­klä­ren, wo­her wuss­te er das al­les, wie konn­te er so über sie und mit ihr spre­chen, ob­wohl sie sich nicht kann­ten. Und doch flöß­te er ihr fast un­ein­ge­schränk­tes Ver­trau­en ein. Sie fühl­te sich viel ru­hi­ger und ent­spann­ter. In sei­nen Wor­ten hat­te sie all ihr Leid und ihre Ver­zweif­lung wie­der­ge­fun­den, und wie von ei­ner un­sicht­ba­ren Macht ge­zo­gen setz­te sie sich ne­ben ihn auf den Fels­block.

      Er­schro­cken sprang sie im nächs­ten Au­gen­blick wie­der auf. Der Stein hät­te nass und kalt sein müs­sen und doch war er tro­cken und an­ge­nehm warm, so, als hät­te die war­me Som­mer­son­ne ihn wun­der­schön auf­ge­heizt. Ver­blüfft schau­te sie zum Him­mel. Die Wol­ken­de­cke war auf­ge­ris­sen und aus ei­nem klei­nen Loch, nicht viel grö­ßer als die Son­nen­schei­be, lach­te sie die­se an. In ih­ren Kopf wir­bel­te al­les durch­ein­an­der. Es war doch ei­gent­lich gar nicht mög­lich, eben hat­te es noch ge­reg­net und al­les um sie he­r­um und an ihr trief­te nur so vor Näs­se, wie konn­te da die­ser Fels­block tro­cken und warm sein?! Ihr wur­de lang­sam un­heim­lich, und noch einen Schritt zu­rück­wei­chend, sah sie zu die­sem selt­sa­men Mann hi­n­un­ter. Doch er streck­te nur sei­ne Hand nach ihr aus und for­der­te sie noch­mals auf, sich zu set­zen. Sie konn­te nicht wi­der­ste­hen, nahm sei­ne Hand und ließ sich auf dem Stein nie­der. Eine an­ge­neh­me Wär­me durch­ström­te sie, ihr wur­de leicht ums Herz und sie spür­te, dass sie kei­ne Furcht vor ihm ha­ben muss­te.«

      Lang­sam, in sei­nem Ge­dächt­nis al­les ord­nend, be­gann der Mann zu spre­chen.

      »Es be­gann vor über ei­nem Jahr mit ei­nem rich­tig großen Fa­mi­li­en­krach. Ich hat­te ein gut­ge­hen­des Han­dels­ge­schäft mit über vier­zig An­ge­stell­ten auf­ge­baut und kurz zu­vor das große Po­ten­zi­al ent­deckt, das im Han­del mit den ehe­ma­li­gen Ost­block­län­dern, Po­len, Russ­land und der Ukrai­ne, steckt. Lei­der hat­te ich da­bei nicht be­dacht, dass es dort ei­ni­ge Or­ga­ni­sa­tio­nen gibt, die an je­dem Ge­schäft mit­ver­die­nen oder auch al­lein ver­die­nen wol­len. Kurz und gut, es dau­er­te nicht lan­ge und ich be­kam Be­such von ei­ni­gen un­sym­pa­thi­schen Män­nern. Die­se droh­ten mir und stell­ten mas­si­ve For­de­run­gen. Ich fühl­te mich im Recht, ließ mich nicht so leicht ein­schüch­tern und wies ih­nen, die Ge­fahr un­ter­schät­zend, die Tür. Als sie den Raum ver­lie­ßen, dreh­te sich ihr An­füh­rer um und sag­te zu mir, dass ich die­sen Feh­ler bald be­reu­en wür­de. Ich lach­te ihn aus und wies ihm zor­nig die Tür.«

      Nach­denk­lich und kaum hör­bar füg­te er hin­zu: »Wie oft habe ich das be­reut, wie oft habe ich mich ge­fragt, was wäre, wenn ich da­mals nach­ge­ge­ben hät­te. Ja, was wäre, wenn?, wie oft habe ich mich das seit­dem ge­fragt.«

      Er schüt­tel­te sich kurz und fuhr dann, die­sen Ge­dan­ken un­ter­drückend, mit sei­ner Ge­schich­te fort.

      »Am sel­ben Abend habe ich mei­ner Frau da­von er­zählt. Er­schro­cken, ja pa­nisch vor Angst, hat sie mir Vor­wür­fe ge­macht, hat mich ein­dring­lich ge­be­ten nach­zu­ge­ben, das Ge­schäft mit die­sen Län­dern sein zu las­sen. Im­mer wie­der sag­te sie zu mir: ›Es reicht doch, was wir mit dem Han­del hier ver­die­nen, wir sind ver­mö­gend, ha­ben al­les was wir brau­chen, und es geht uns bes­ser als all un­se­ren Be­kann­ten, warum kannst du es nicht da­bei be­las­sen?‹ Ich habe all ihre Be­den­ken bei­sei­te­ge­scho­ben, hab sie aus­ge­lacht und auf mei­nem Stand­punkt be­harrt. An die­sem Abend ha­ben wir uns to­tal ver­strit­ten und sind ohne Ver­söh­nung schla­fen ge­gan­gen. Ich fühl­te mich im Recht und bin so­fort ru­hig und fest ein­ge­schla­fen, doch sie ...«

      »Was ist? Was ha­ben Sie? Wes­halb schau­en Sie mich so an?«

      Wie­der war die jun­ge Frau hoch­ge­sprun­gen, hat­te sich los­ge­ris­sen und schau­te sich er­schro­cken um. Die Wol­ken­de­cke über ih­nen war noch wei­ter auf­ge­ris­sen. Über dem Berg war ein großes Stück blau­er Him­mel zu se­hen und al­les um sie he­r­um mach­te einen freund­li­chen und fried­li­chen Ein­druck. Rund­he­r­um konn­te man in ei­ni­ger Ent­fer­nung se­hen, dass es dort im­mer noch neb­lig und reg­ne­risch war. Nur hier in ih­rer nä­he­ren Um­ge­bung schi­en ein wun­der­schö­ner Som­mer­tag zu sein. Zit­ternd vor Schreck sah sie den Mann wie­der an und sag­te: »Es ist al­les so selt­sam, die­ser Wet­ter­wech­sel um uns he­r­um, Ihr Auf­tre­ten, und dann, als ich die Au­gen ge­schlos­sen habe, ich ...«, sie stock­te kurz, »ich hab Ihre Frau ge­se­hen, ich war da­bei, als Sie sich ge­strit­ten ha­ben. Ich habe al­les ge­se­hen, den Zorn ge­spürt, Ihre Woh­nung ge­se­hen, alle De­tails. Es war … war, als ob ich ne­ben Ih­nen ge­stan­den hät­te. Es … es macht mir Angst, es war al­les so rea­lis­tisch!«

      Wie­der lä­chel­te er sie an, streck­te sei­ne Hand nach ihr aus und sag­te: »Sie brau­chen kei­ne Angst zu ha­ben, es ge­schieht Ih­nen nichts. Wenn ich Ihre Hand hal­te, kön­nen Sie nur mei­ne Ge­dan­ken füh­len und da­durch al­les rich­tig mit­er­le­ben. Es hilft Ih­nen, das Ge­sche­hen bes­ser zu ver­ste­hen und Sie wer­den im Lau­fe der Ge­schich­te auch noch be­grei­fen, warum das so ist.«

      Er mach­te wie­der eine ein­la­den­de Be­we­gung und zö­gernd, ihn ge­nau be­ob­ach­tend, griff sie zu. So­fort spür­te sie die Wär­me und Ruhe in sich ein­drin­gen und gab je­den Wi­der­stand auf. Er fuhr fort, sei­ne Ge­schich­te zu er­zäh­len, und aber­mals hat­te sie den Drang, ihre Au­gen zu schlie­ßen.