WIndstärke 4 mit leichter Dünung. Rotraut Mielke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rotraut Mielke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742770806
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Sie drückte Gerlinde ein paar Kleidungsstücke in die Hand und griff nach ihrer Lacktasche. „Es geht los.“

      Gerlinde atmete auf. Nun würde sie bald diesen Kleiderberg loswerden.

      Die Menschenmenge schob sich vom Sonnendeck in die Treppenhäuser. Verwirrt schaute sich Gerlinde um, sie hatte völlig die Orientierung verloren. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich wieder einmal an Petras Fersen zu heften, die offenbar genau wusste, in welche Richtig sie zu gehen hatten.

      ***

      An der Rezeption standen die Leute in Dreierreihen. Geduldig wartete der groß gewachsene, schlanke Mann, bis er endlich an der Reihe war. „Mein Name ist Werner Velten. Ich fahre als Gentleman Host mit. Mein erstes Mal“, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu.

      Die Dame hinter dem Tresen schaute hoch. „Willkommen an Bord“, begrüßte sie ihn. Sie tippte auf ihrem Computer herum. „Ah, da haben wir Sie.“

      Sie musterte ihn jetzt mit unverhohlener Neugier. „Der Staff Captain erwartet Sie schon in seinem Büro. Das ist direkt über der Offiziersmesse. Gehen Sie am besten gleich hin.“ Sie nahm einen Bordplan zur Hand und erklärte ihm den Weg.

      Werner bedankte sich und marschierte los. Das kleine Faltblatt zitterte in seiner Hand. Außer Sichtweite der Rezeption blieb er stehen und holte erst einmal tief Luft. Es war eine einfache Sache gewesen, sich zu Hause das Anheuern auf einem Schiff auszumalen. Aber nun galt es, die ersten Schritte auf diesem ihm unbekannten Terrain zu machen. Und das gestaltete sich aufregender, als er gedacht hatte.

      Langsam schlenderte er weiter und betrachtete aufmerksam seine neue Umgebung. Hier würde er nun die nächsten Wochen verbringen, sich zwischen den Gästen bewegen und insbesondere die Damen zu unterhalten haben. Das Publikum entsprach durchaus seinen Vorstellungen. Er war darauf gefasst, vorwiegend ältere Reisende anzutreffen, und wenn er sich so umschaute, passte er mit seinen fünfundsechzig Jahren bestens dazu.

      Fast hätte er vor lauter Schauen die unauffällige Tür übersehen, die in den Mannschaftsbereich des Schiffes führte. Er drückte die Klinke herunter und stellte kurz darauf fest, dass er sich in einer völlig anderen Welt befand.

      Der Übergang von den leuchtenden Farben und dem modernen Design des Passagierbereichs zu dem schmucklosen, grau gestrichenen Treppenhaus war krass. Aber so war das nun einmal, wenn man hinter die Kulissen schaute. In seinem neuen Job bewegte er sich ganz klar in zwei verschiedenen Welten. Er studierte den Plan, der an der Wand angebracht war. Die Offiziersmesse befand sich auf Deck Zwei, tief unten im Bauch des Schiffes. Und das Büro des Staff Captains lag fast direkt darüber. Seine Schritte hallten auf der Metalltreppe, die von schmucklosen Neonröhren grell ausgeleuchtet wurde.

      „Sie sind bestimmt Herr Velten.“ Der kräftig gebaute Mann in Uniform und mit akkuratem Bürstenhaarschnitt stand auf und streckte Werner die Hand entgegen. Er hatte eine stattliche Größe, und alles an ihm war rund. Werner betrachtete interessiert das Gesicht mit den kleinen, fast zierlichen Ohren, die fülligen Oberarme, die die Ärmel seines Hemdes zur Gänze ausfüllten, und den Bauch, der eindeutig nicht von harter Askese herrührte. Der Mann strömte Behaglichkeit aus. Wie ein zu groß geratener Teddybär hatte er etwas Kuscheliges an sich, wozu nur die strenge Frisur nicht recht passen wollte.

      „Ja, ganz recht, Herr…?“ Werner schaute seinen neuen Vorgesetzten fragend an.

      „Blank, Stefan Blank“, stellte der sich vor. „Ich bin der Staff Captain hier an Bord und verantwortlich für das gesamte Personal.“

      Scharfe Augen musterten ihn von oben bis unten, und Werner fragte sich, ob er mit Jeans und Pullover nicht zu leger gekleidet war. Aber offenbar war der erste Eindruck okay, denn Blank lächelte zufrieden. „Nehmen Sie Platz. Wir gehen kurz die wichtigsten Punkte durch, die Ihren Job betreffen. Danach können Sie sich erst mal häuslich einrichten.“

      Werner erinnerte sich sehr genau an die Stellenbeschreibung in der Zeitung. Gute Umgangsformen, gewandtes Auftreten, Kenntnisse in allen gängigen Gesellschaftstänzen, sehr viel mehr war der Anzeige nicht zu entnehmen gewesen. Immerhin, diese Voraussetzungen erfüllte er, so dass er nach dem üblichen Papierkram und einigen Telefonaten mit der Reederei eine Zusage bekommen hatte.

      Der Offizier lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück und faltete die Hände hinter dem Kopf zusammen.

      „Wir haben hier an Bord immer einen gewissen Prozentsatz allein reisender Frauen. Das liegt wohl in der Natur der Sache, die Damen sind einfach zäher als wir Männer.“ Blank lachte über seinen eigenen Witz, und Werner lächelte pflichtschuldigst mit. „Seit einem Jahr haben wir nun die Gentleman Hosts eingeführt, und ich muss sagen, mit gutem Erfolg. Ich muss wohl nicht extra betonen, dass dieser Job nicht immer einfach ist. Manche Damen verwechseln unsere Hosts mit einer ganz anderen Sorte Dienstleister, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

      Er zog fragend eine Augenbraue hoch, und Werner beeilte sich zu nicken.

      Zufrieden dozierte Blank weiter. „Nun, das genau ist der kritische Punkt. Ihre Aufgabe ist es, für gute Laune zu sorgen. Allerdings endet Ihr Job vor der Kabinentür der jeweiligen Damen. Um es ganz deutlich zu sagen, wir möchten nicht, dass Sie irgendwelche privaten Kontakte pflegen, die über den gesellschaftlichen Rahmen hinausgehen. Vielleicht erstaunt Sie meine Direktheit, aber das ist die oberste Regel, von der es keine Ausnahme gibt.“

      Die letzten Worte klangen streng, und Werner konnte sich gut vorstellen, dass sein neuer Chef äußerst unangenehm werden konnte, wenn es dazu Anlass gab.

      „Es ist eine Art Eiertanz, das ist mir durchaus klar. Ein kleiner Flirt, aber nicht mehr. Komplimente verteilen, aber dabei stets unverbindlich bleiben, das erfordert Diplomatie und Geschick. Meinen Sie, Sie kriegen das hin?“

      Werner räusperte sich. Auf eine solche Offenheit war er nicht gefasst gewesen. Aber es war ihm recht, dass die Dinge direkt angesprochen wurden. „Ich denke schon“, antwortete er.

      Der Offizier grinste. „Wir verstehen uns, das merke ich schon. Also, ich muss Ihnen ehrlich sagen, für mich wäre das nichts. Ich bin froh, dass ich eine gewisse Distanz zu den Gästen halten kann. So schön es ist, zwischendurch mit den Passagieren zu plaudern, meistens bin ich froh, wenn ich mich wieder zu meiner Arbeit zurückziehen kann. Nun ja, der Smalltalk ist schließlich Ihr Job. Unter anderem natürlich.“ Er setzte sich aufrecht hin und warf einen Blick auf die Papiere, die vor ihm lagen.

      Werner vermutete, dass es sich um seine Bewerbungsunterlagen handelte.

      „Sie sind nicht verheiratet?“, vergewisserte sich Blank.

      „Nein.“

      „Gut, das erleichtert es. Nicht, dass es etwa noch Stress gibt an der häuslichen Front.“ Er schaute kurz hoch.

      „Nein, da ist nichts zu befürchten“, beeilte sich Werner zu versichern.

      Der Offizier lehnte sich wieder zurück. „Nun, dann hätten wir das geklärt.“ Er zog eine Schublade auf, kramte darin herum und legte dann etwas auf den Tisch. „Das ist Ihr Namensschildchen. Sie müssen es stets tragen, wenn Sie im Dienst sind. Also sobald Sie Ihre Kabine verlassen haben und sich im Passagierbereich aufhalten.“ Er kratzte sich am Kopf. „Wir haben an den meisten Tagen abends Tanz in der Luna-Bar. Außerdem läuft ein Tanzkurs, bei dem Sie natürlich auch anwesend sein werden. Generell haben Sie sehr vielseitige Aufgaben wahrzunehmen. Wenn Not am Mann ist, werden wir Sie auch einmal für Landausflüge einteilen. Haben Sie soweit alles verstanden?“

      Werner schluckte. Das bedeutete lange Arbeitstage, aber auch das war ihm vorher klar gewesen. „Jawohl, Herr Blank.“

      Dem Offizier war das kleine Zögern nicht entgangen. „Sie kriegen das hin“, ermunterte er seinen Neuzugang. „Schließlich sind Sie ja kein heuriger Hase und bringen eine gehörige Portion Lebenserfahrung mit.“

      Er lachte dröhnend und stand dann auf. „Sie haben Glück. Die Kabine gehört Ihnen allein, zumindest auf dieser Reise. Hier ist Ihre Bordkarte. Und der Schlüssel, Nummer Dreiundzwanzig, Deck