Wellen der Vergangenheit. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651239
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      Im Keller setzten sich die drei auf klapprige Stühle und warten, bis die Flugzeuge über ihre Köpfe hinweg flogen. Trotz ihres Verweilens im Keller konnten sie die brummenden Motoren gut hören. Als die Stille nach Momenten der Angst zurückgekehrt war, standen sie wortlos auf und begannen ihren täglichen Pflichten nachzugehen. Die Insel blieb verschont, so dass niemand zum Roten Kreuz oder ins Krankenhaus musste.

      Weitere Tage vergingen in denen Ingrid nichts weiter tat, als aus dem Fenster zu schauen.

      Sie wartete auf Feldpost von ihrem Gatten. In den ersten Tagen hatte der Weg zur Post noch ihr Leben regiert. Doch seit einigen Wochen hatte sie die Hoffnung verloren. Immerzu musste sie sich die Szene der Verabschiedung am Hafen in den Kopf rufen. Sie hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Warum? Wieso? Das waren die zwei Wörter, die sie quälten. Nicht zu wissen wo er sich befand, war ebenfalls ein Makel. Nicht mal ein Kind wuchs in ihrem Bauch heran, obwohl sie in den wenigen Nächten - die sie miteinander verbrachten - sich geliebt hatten. Vormittags verweilten Clara und Martha in der Schule, während Ingrid die Ruhe im Haus genoss.

      Sie hasste sich dafür, dass sie diese Göre bei sich aufgenommen hatte. Nicht mal kochen konnte sie. Ingrid seufzte.

      Ein plötzlicher Knall ließ sie aus ihrer Trance schrecken. Sie hastete in den Flur, als sie bemerkte, dass es Martha und Clara waren, die eingehakt über irgendetwas kicherten. »Was zum Teufel tut ihr hier? Knallt nicht so mit den Türen.« Ingrid hielt sich die Hand auf die Brust. »Entschuldigen Sie Frau Ludwig. Wir wollten Sie nicht erschrecken«, sagte Martha mit gesenktem Kopf.

      »In Ordnung. Jetzt wisst ihr Bescheid. In diesen Zeiten könnte ein Knall verheerende Folgen aufweisen. Es könnte die Gestapo sein, Flugzeuge die überraschend über uns fliegen.« Sie hob den Finger. »Habt ihr die Tageszeitung aus dem Dorf mitgebracht?«

      »Ja. Frau Ludwig.« Martha reichte der Hausherrin die Zeitung. Clara beobachtete das Geschehen.

      »Ist sonst noch was?«, fragte Ingrid, als Martha sich nicht rührte.

      »Na ja. Ich bin nach der Schule zur Post gegangen, weil ich meinen Eltern einen Brief zustellen wollte, als mich die Dame am Postschalter ansprach.« Martha griff ängstlich in ihre Rocktasche und reichte Ingrid einen faltigen Briefumschlag. »Sie hat mir den Brief für Sie mitgegeben.« Als Ingrid den Brief an sich nahm, erhellte sich ihre Miene sofort. Sie spürte, wie sich die Verkrampfung in ihrer Brust löste. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Danke. Danke. dass du bei der Post warst.« Kurzerhand umarmte Ingrid Martha und begann sich in das oberste Stockwerk zu begeben.

       Meine liebste Ehefrau,

       es tut mir leid, dass ich dir nicht vorher schreiben konnte, aber es wurde uns nicht erlaubt vorher Briefe an Verwandte zu schreiben. Mein Alltag ist bestimmt von Aufgaben, die ich mir nicht hätte träumen lassen. Während mein Vater und Berthie sich in Polen herumschlagen, sitze ich hier und bereite mich auf meinen Einsatz an der Front vor. Ich habe viele nette Kameraden, mit denen ich mich in der Freizeit über private Dinge austausche. Einige von ihnen haben ihren Frauen schon Kinder geschenkt. Ich hoffe, meine Liebste, dass ich dir auch ein Kind geschenkt habe.

       Abends hören wir immer die Nachrichten und müssen mit Bedauern feststellen, dass viele Soldaten ihr Leben im Kampf verloren haben. Wir hören auch immer wieder, wie die Gestapo Häuser durchsucht, Juden foltert und sie in die Konzentrationslager bringt. Aber unser Land muss von den Parasiten gesäubert werden und wer sollte dies besser machen können als Hitler.

       Ich hoffe auf baldigen Heimaturlaub und verbleibe.

       Dein geliebter Ehemann Josef

      7

      Am Abend gab es für jeden eine Scheibe Brot mit Quark oder wenig Marmelade. In den butterknappen Jahren musste man sich anders zu helfen wissen. Die Schwestern hatten sich geeinigt, dass ein ausgewogenes Frühstück wichtiger war als Abendbrot, so dass sie morgens mehr auftischten. Bald würden die Samen in der Erde Früchte tragen. Zu Weihnachten sollte Martha ein Huhn rupfen und danach in den Ofen schieben. Dazu würde es Kartoffeln und Reis geben, den Clara schon vor dem Krieg in Mengen eingekauft hatte.

      »Denkst du ich sollte mich zum Wehrdienst melden?«, fragte Ingrid ihre Schwester, als sie darauf warteten, dass Martha die Teller aufdeckte. »Ich weiß nicht. Ist es nicht zu gefährlich. Du bist schließlich eine verheiratete Frau.«

      »Aber sieh mich doch an. Ich sitze den ganzen Tag zu Hause herum.« Sie legte ihre Hände auf den Tisch. »Muss man dafür nicht eine Ausbildung haben? Du hast gerade mal die Schule fertig. Mama hat dich ab und zu mal zum roten Kreuz mitgenommen. Das macht dich nicht gleich zur Krankenschwester. Außerdem kannst du doch andere Aufgaben übernehmen. Gehe zur Feuerwehr und frage ob du dort helfen kannst...« Ingrid verzog bei Claras Vorschlag das Gesicht. »...oder du kommst mit mir. Ich könnte dir das Nähen beibringen.«

      »Ich weiß nicht.« Ingrid nahm sich ein Stück Brot und tat sich Quark darauf. Dazu gab es einen halben Becher Milch. »Komm schon. Es wird bestimmt nett. Martha du kannst auch gerne mitkommen. Dann kannst du deiner Mutter ein paar Pantoffel anfertigen.«

      »Meinst du? Ich weiß nicht. Ich glaube ich kann das nicht.«

      »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.«

      Diese Worte kreisten den Rest des Abends in Ingrid Kopf herum. Nachdem das Abendessen beendet war trat die junge Frau in ihr Zimmer.

      Das Schlafzimmer war klein und gemütlich eingerichtet. Ein kleiner Kamin stand in der Ecke und verlieh dem Gemach die gewünschte Wärme. Der große Ohrensessel stand vorm Fenster, von wo aus sie in die Ferne schauen konnte. Gerne beobachtete sie die Kegelrobben wie sie sich bei schönem Wetter auf der bekannten Sandbank, Jungnamensand, sonnten. Es war ein faszinierendes Schauspiel, welches sie gerne beobachtete. Besonders in der Zeit wo Josef fort ist. Es ist Ingrids Lieblingszimmer. Sie setzte sich in den Sessel und nahm nochmals den Brief an sich. Grübelnd stand sie auf und begann in der Kommode nach Papier zu suchen. Gleichzeitig griff Ingrid nach einem Füllfederhalter. Ihr Entschluss stand fest. Sie wollte sich zum Dienst anmelden. Egal was Clara sagen würde. Es war ihr Leben und sie musste wissen, was für ihr Leben am wichtigsten ist. Sie musste fort, denn sie konnte die Stille in ihrem Herzen, das Lachen ihrer Schwester nicht mehr ertragen.

       Ich möchte mich zum militärischen Dienst melden. Bitte geben Sie mir so schnell wie möglich Bescheid.

       Mit freundlichem Gruß

       Ingrid Ludwig

      Claras hysterische Stimme riss sie aus ihren Gedanken und hinterließ verschnörkelte Fehler auf dem feinen Briefpapier. »Ingrid...Ingrid.« Innerlich musste sie aufstöhnen und steckte den Füllfederhalter zurück in die Halterung. »Was ist denn geschehen?«, fragte sie, nachdem sie sich aus ihrem Sessel geschält und die Treppe halb heruntergegangen war. »Louise ist da. Sie sitzt im Wohnbereich.« Louise? Um diese Uhrzeit. Schon komisch.

      »Ich komme sofort.« Die junge Frau hastete die Treppe hinab und folgte Clara. In einem der Sessel saß ihre Schwiegermutter. Ihre Schultern hingen hinab, während ihre Augen vom vielen Weinen verquollen waren. »Was ist geschehen?«, fragte Ingrid und spürte den Krampf in ihrem Herzen. »Ich habe Post bekommen.« Louise schluckte.

      »Ja. Und?« Bitte lass es nicht Josef sein. Bitte lass es nicht Josef sein, dachte Ingrid und verwarf den Gedanken sofort wieder. Wenn Josef etwas passiere, würde sie die Nachricht zuerst erhalten.

      »Es geht um Johannes. Er wird vermisst.« O. Ingrid wusste nichts zu sagen. Sanft schob sie sich den anderen Sessel heran und nahm Louises Hände in die ihre. Sie zitterte und ihre Lippe bibberten. Als würde sie in einem Sommerkleid im Schnee sitzen. »Das tut mir sehr leid. Vielleicht ist er desertiert und kommt schon bald zu uns zurück.« Die junge Frau wollte ihrer Schwiegermutter Mut machen, wusste aber, dass sie auf Holz biss. »Da ist noch etwas«, murmelte Louise zwischen mehreren Schluchzern. »Berthie.« Eine lange Pause. »O Gott. Ich weiß gar nicht