Wellen der Vergangenheit. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651239
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uns nicht gegenseitig fertig machen«, versuchte Louise Ella verständlich zu machen. Doch Ella wollte nichts hören. Sie stand auf und verschwand im angrenzenden Raum. Leises Schluchzen drang durch die Wände. »Wir sollten sie ein wenig in Ruhe lassen.«

      Urplötzlich begann die Sirene für den Fliegeralarm zu ertönen. Die wenigen Frauen und Wilhelm standen auf löschten die Kerzen, die sie im Raum verteilt hatten und bahnten sich einen Weg in den Keller. »Ich habe Angst Ingrid«, murmelte Clara, als sie versuchte die Stufen mit ihren Füßen zu ertasten. »Ich auch. Aber wir müssen jetzt stark sein.« Die Schwestern hielten sich fest an den Händen während sie sich in den kleinen Keller eng aneinander quetschten. »Wo ist Ella?«, fragte Dora. »Ich bin hier.« Das Knarren der Treppe war zu hören und die Tür, die leise ins Schloss fiel. »Ich habe die Kellertür nicht gleich gefunden.«

      »Jetzt bist du ja da.« Ingrid strich Ella lieblich über den Rücken.

      »Ja. Es tut mir leid was ich vorhin gesagt habe. Ich weiß auch nicht.«

      »Ist schon in Ordnung.«

      Lange Zeit blieben die Frauen ruhig. Die lauten Motoren der Flugzeuge rauschten über ihren Köpfen hinweg. Niemand sagte ein Wort.

      Die Stille zerbarst in tausend Teile, als die Haustür mit einem lauten Krachen ins Schloss fiel.

      Zitternd und eng umschlungen, weil sie wussten, dass sich fremde Menschen über ihren Köpfen im Haus aufhielten, bangten die Frauen um ihr Leben. Großvater Wilhelm saß ruhig in der Ecke.

      Ingrid lauschte. Bei genauerem Hinhören war sie sich sicher, dass es nur eine einzige Person sein konnte. Ihr Herz pochte und das Rauschen des Blutes in ihren Adern ließ ihr Trommelfell platzen.

      Die Kellertür wurde geöffnet. »Keine Angst. Uns wird nichts geschehen. Wir haben nichts verbrochen«, murmelte Louise und begann sich um ihre Tochter zu klammern.

      »Hallo. Mutter bist du hier unten?«, fragte eine für Ingrid vertraute Stimme.

      »Josef. Bist du das?« Ingrid konnte die Worte ohne ein Zittern in ihrer Stimme nicht aussprechen.

      »Ingrid?« Das Knarren der Treppe wurde lauter und eine raue Hand legte sich auf die Schulter der jungen Frau. Sie fühlte sich auf dem dünnen Träger des Kleides wie ein Fremdkörper an, der nicht zu ihr zu gehören schien. »Ich habe dich so vermisst. Wie bist du hierhergekommen?«

      »Josef. Bist du es wirklich?« Ingrid stand auf und tastete nach dem Gesicht ihres Ehemannes, welches sie schon so oft in ihren Träumen getan hatte. »Ich bin es wirklich.« Seine Hände umschlossen ebenfalls ihre Wangen, glitten hinunter zu ihren Schultern und folgten der Spur hinab zu ihren Hüften. »Du bist so wunderschön.« Seinem Instinkt folgend trat er näher an seine Frau bis sich ihre Lippen trafen. »Ich habe dich so vermisst.« Josef schloss Ingrid in seine Arme.

      »Wie bist du hierhergekommen?«

      »Mit dem Zug und dann mit der Fähre. Den Rest habe ich zu Fuß bewerkstelligt. Es war ja keine Menschenseele mehr zu sehen, nachdem der Fliegeralarm über die Insel getönt hatte. »Das ist wahr. Aber zum Glück wurden noch keine Bomben abgeworfen.«

      »Das ist schön. Hauptsache euch geht es allen gut.« Josef holte aus seiner Tasche einige Kerzen heraus, die er aus dem ersten Stockwerk mitgebracht hatte. »Die habe ich oben gefunden. Hier ist ja kein Fenster und so wird kein Licht nach draußen dringen. Er zündete ein Streichholz an und ließ die kleine Flamme auf dem dünnen Holz tanzen. »Jeder sollte sich eine nehmen, so dass wir es uns hier unten gemütlich machen können.« Josef setzte sich und hielt seine Frau fest im Arm. »Wer seid ihr denn?«, fragte der junge Soldat als er die drei Kinder der Kinderlandesverschickung erblickte.

      »Ich bin Martha. Und das sind meine Freundinnen Emma und Annemarie. Wir kommen aus dem Rheinland. Unsere Eltern wollten, dass wir evakuiert werden.«

      »Wie lange seid ihr schon hier?«

      »Eine ganze Weile. Martha gehört zu uns«, brachte Ingrid sich ein und legte den Kopf auf die Schulter ihres Mannes. Martha nickte gehorsam. »Hast du die schlechten Nachrichten über deinen Vater und Onkel Berthie schon gehört?« Louise trat näher zu ihrem Sohn.

      »Ja. Ich habe daraufhin Heimaturlaub genommen.«

      »Heimaturlaub. Wieso denn das? Ich habe den Urlaub nie angetreten. Du musst für unseren Führer an die Front gehen«, sagte Wilhelm.

      »Das werde ich noch früh genug tun. Aber die Familie ist wichtiger als alles andere. Sag du mir nicht, dass du niemals Urlaub genommen hast. Denkst du Großmutter fand es gut. Sie würde sich im Grab umdrehen, wenn sie erfahren würde wie du über den Krieg redest.« Josef strich sich über die Stirn. »Der Krieg fordert von uns allen einen Tribut. Es sind andere Zeiten Großvater. Du verstehst das nicht.« Josef küsste seiner Ingrid auf die Schläfe. Am liebsten hätte Ingrid sich auf ihn gestürzt. Ihr Ehemann blickte in den Schein der Kerze. »Hast du auch schon einige der Juden eingefangen? Hitler soll all das Pack, was sich hier einnistet, in die Kammern schicken. Wir wollen keine Schmarotzer in unserem Land.« Er streckte eine Faust in die Höhe. »Wenn du Hitler siehst, sag ihm, dass Wilhelm Ludwig hinter ihm steht und ihn niemals enttäuschen wird.« Keiner sagte ein Wort. Alle hatten es satt und waren auch nicht traurig, dass Ingrid, Josef und Clara mit Martha schon sehr bald aufbrechen wollten. Josefs Stimme war nur noch ein Flüstern. Es war als hörte er gar nicht richtig zu, als hätte seine Seele den Körper verlassen. So wie Ingrid es schon vermutet hatte. Außerdem wollte die junge Frau ihrem Mann nicht mehr die unpassenden Sätze von Großvater aussetzen lassen und packte ihre sieben Sachen. Josef küsste seine Mutter auf die Stirn, nahm seine kleine Schwester in den Arm und half den drei Mädchen höflich in den Mantel.

      Pferdehufen hallten in die dunkle Nacht, als der Alarm geendet hatte und die Menschen die Keller und Bunker wieder verlassen durften. Josef sog die frische Luft und die Freiheit die ihn für diesen Moment geschenkt wurde förmlich ein.

      »Wir sind zu Hause«, sagte Ingrid und hielt ihrem Ehemann die Tür auf. »Komm, geh dich frisch machen und danach können wir zu Bett gehen. Möchtest du noch eine warme Milch mit Honig?« Josef schüttelte mit dem Kopf und schritt wie in Trance die knarrende Treppe hinauf. Ingrid seufzte und beobachtete ihn. »Wie geht es ihm?«, fragte Clara und legte ihr Kinn auf das Geländer.

      »Nicht gut. Es ist wie ich befürchtet habe. Und es ist noch nicht vorbei.«

      »Muss er denn wieder zurück?« Clara zuckte mit den Achseln.

      »Sicher.« Ingrid überlegte. »Desertieren wäre eine Möglichkeit, aber wir wären ein Leben lang auf der Flucht und ich weiß nicht ob Josef das Durchhalten könnte. Und was wäre, wenn man uns findet?« Der Gedanke trieb Ingrid Tränen in die Augen.

      Ein Krachen erschütterte das obere Stockwerk, woraufhin ein Klirren folgte. Ingrid rannte die Stufen hinauf, nahm immer zwei auf einmal um möglichst schnell bei ihrem Mann zu sein.

      Als sie ins Badezimmer blickte, sah sie Josef in Unterwäsche auf dem Boden. Ein Kreis aus Scherben umrundete ihn. Es war als würde er in einem Zirkel sitzen und darauf warten verhext zu werden. Der Spiegel über dem Waschbecken war zerbrochen und von Josefs Hand tropfte das Blut wie ein Rinnsal hinab. Er hatte ihn zerbrochen. Wut und Zorn hatten sich über die Monate aufgestaut und sich binnen Sekunden entladen.

      »Clara, Clara schnell«, schrie Ingrid und kniete sich vor ihren Mann. »Was machst du denn mein Schatz?« Sie griff behutsam nach seiner Hand und entfernte die großen Scherben aus seiner Handfläche. »Was ist denn geschehen?« Clara stellte sich in den Türrahmen und verschwand sofort wieder. Minuten später stand sie mit einem Handtuch, einer kleinen Dose, die die Schwestern als Notfallpaket benannt hatten und einem Besen und Kehrer im Bad. »Hier.« Clara atmete schwer. Ingrid nahm die Pinzette aus der Dose und pulte nacheinander die Scherben aus dem Fleisch. Sie schrubbte das geronnene Blut weg und spülte die Hand nochmals in einem Krug mit warmem Wasser ab. Danach umwickelte sie die Hand mit einem Verband und küsste sie »Auf schnelle Genesung.« Derweil kehrte Clara die Scherben vom Boden auf und wischte mit dem großen Mob das Blut fort. »Nimm alle Spiegel im Haus ab«, flüsterte Ingrid ihrer Schwester zu, bevor sie Josef