Wellen der Vergangenheit. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651239
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Nehle einen Anruf von der Gerichtsmedizinerin.

      »Ja. Hallo Frau Schmidt. Hier ist Sarah Altrock. Ich habe neue Ergebnisse ihrer Leichen.«

      »Tatsächlich?« Nehle zog sich einen kleinen Notizzettel vom Block und kritzelte alle Details mit.

      »Ich konnte die DNA nehmen. Aber ich habe keinen Abgleich. So weiß ich immer noch nicht wer die beiden sind.«

      »Okay. »Sie biss sich auf die Unterlippe. »Schade könnte man die Leichen nicht am Zahnbefund identifizieren? So schwer sollte es nicht sein, denn wir haben hier doch nur einen Zahnarzt.«

      »Mm. Die Leichen liegen hier schon mehrere Jahre. Damals gingen die Menschen noch nicht regelmäßig zur Untersuchung und das Röntgen war noch nicht so weit wie zu unserer Zeit. Mit viel Glück könnte sich etwas ergeben. Darauf verlassen würde ich mich aber nicht. Aber jetzt etwas Positives. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass der Mann mit einem schweren Gegenstand am Kopf getroffen und an seinen Verletzungen gestorben ist. Außerdem waren seine Beine gebrochen. Nach dem Bruch wurden sie nicht richtig fixiert, so dass sie nicht wieder zusammengewachsen sind. Die Frau dagegen starb durch einen gezielten Messerstich.« Nehle tat sich eine Strähne hinters Ohr und spürte die Mine des Kugelschreibers. Wie er mit einer Hitze über das Papier fegte. »In Ordnung. Ich bedanke mich erst einmal. Darf ich Sie bei weiteren Fragen nochmal anrufen?«

      Nehle wartete. »Aber natürlich. Ich faxe Ihnen meine Ergebnisse schon mal zu, so dass Sie mit den Ermittlungen anfangen können.«

      »Danke.« Nehle zerknüllte das Stück Papier und warf es Richtung Papierkorb.

      »Hey. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Timo hob den Papierball auf und warf ihn mit einer lässigen Handbewegung in den Korb. »Keine Ahnung.« Nehle zuckte mit den Achseln. »Wir bekommen gleich ein Fax von der Gerichtsmedizin.«

      3

      Juni 1939 - 1944

      Ingrid stand vor dem großen Standspiegel.

      Ihr langes, blondes Haar fiel ihr über die zierlichen Schultern und ihre Augen leuchteten wie das Meer am Strand. Es klopfte an der Tür und ein weiterer Blondschopf lugte ins Zimmer hinein. »Huhu Schwesterherz. Na bist du schon aufgeregt?« Das junge Mädchen betrat den Raum und legte ihre Hände kokett vor ihren Bauch. »Hallo Clara, ich hatte dich noch gar nicht erwartet. Sind schon viele Gäste da?« Ingrid wand sich ihrer Schwester zu. Sie wirkte sichtlich nervös.

      »Alle bis auf Josef.« Clara senkte den Kopf.

      »O...« Ingrid ging zur Kommode.

      »Warte ich helfe dir.« Clara griff nach dem Schleier und steckte ihn ihrer Schwester auf den Kopf. »Sei unbesorgt. Josef wird pünktlich sein. Schließlich lässt man eine so schöne Braut nicht warten.« Clara biss sich auf die volle Unterlippe. Sie spürte ein wenig Eifersucht in sich. Ihre große Schwester hatte alles, wovon eine Frau träumte. Einen jungen, gutaussehenden Mann mit einem großen Haus und viel Geld. Ingrid würde sich nie Sorgen über ihre Zukunft machen müssen, denn nach der Hochzeit hätte sie ausgesorgt. Clara hingegen fand keinen passenden Partner. Es war, als würde es keinen Mann für sie geben. Natürlich war Clara eine Augenweide und bekam auch viele Blicke. Leider war der alles entscheidende Blickkontakt noch nicht dagewesen. Jetzt ging sie notgedrungen mit einem Nachbarjungen zur Hochzeit ihrer Schwester. Clara war es sehr unangenehm, so dass sie sich gerne zu ihrer Schwester verdrückte. Während Clara Ingrid half, pulte Niels wahrscheinlich gelangweilt in der Nase. Er war zwei Jahre jünger als sie und hatte ebenso viel Lust wie sie mit Clara zusammen auf der Hochzeit zu sein. »Meinst du Mutter und Vater währen Stolz auf uns?«, fragte Ingrid und zupfte sich den Schleier zu Recht.

      »Auf jeden Fall. Sieh dich doch an. Du wirst den gefragtesten Junggesellen von der Insel heiraten. Und außerdem trägst du Mutters Kleid.« Es schmerzte Clara, so etwas sagen zu müssen.

      »Sie wären ebenso stolz auf dich. Ich bin dir vier Jahre voraus, die du nutzen solltest. Irgendwann wird dein Traumprinz mit seinem Rappen kommen und dich mit in sein Schloss nehmen.« Ingrid wand sich um und strich ihrer Schwester über die langen Locken. »Und das dieses Kleid mir passt ist allein dein Verdienst. Denn keiner kann so gut mit Nadel und Faden umgehen wie du.«

      Die Eltern der beiden sind vor kurzem bei einem Unfall ums Leben gekommen. Sie waren auf einem Dampfer, der sie sicher aufs Festland bringen sollte. Doch sie kamen nie an. Ingrid und Clara redeten nicht gerne darüber. Sie meinten, dass sich ihre Erinnerungen an ihre Eltern verzerren könnten. Was die meisten Insulaner natürlich schwachsinnig hielten und sie für verrückt erklärten. Ein Klopfen an der Tür verriet den Schwestern, dass es Zeit war zu gehen. »Bist du soweit?«, fragte Clara. Ingrid nickte und nahm die Hand ihrer Schwester. Die Braut trat hinaus, über die gepflasterte Straße vor der St. Clemens Kirche. Ihr dünner Stoff des Kleides kitzelte sie an den Beinen, als sie die wenigen Stufen erklomm. »Es ist soweit.« Ingrid atmete tief ein. Da Franz seine Tochter nicht zum Altar bringen konnte, tat Clara es. Mit klopfendem Herzen und zittrigen Beinen begann Ingrid durch die Bänke zu schreiten. Josef, mit seinen blitzenden Zähnen und der Knollnase lächelte seine Braut liebevoll an. Erst als Clara ihm die Hand ihrer Schwester reichte, begann Ingrid ruhiger zu werden. Sie lauschte der Stimme des Pfarrers. Josef trug einen schwarzen Anzug. Der Krieg würde bald ausbrechen und Josef erwartete jeden Tag den Einberufungsbefehl mit der Post. Soldat zu sein gehörte zur Familientradition. Großvater Wilhelm, Onkel Berthie und Vater Johannes kämpften alle drei im 1. Weltkrieg. Wilhelm würde sicher nicht mehr einberufen, denn er war invalide und konnte nirgends eingesetzt werden.

      Deshalb wollte der junge Mann seine geliebte Ingrid noch heiraten. Sollte ihm etwas passieren, wäre die junge Frau abgesichert und müsste sich um nichts mehr sorgen. Natürlich hatte Josef dies mit keiner Silbe erwähnt, als er Ingrid den Antrag gemacht hatte. Doch es spukte in seinem Kopf.

      Josef drückte die Hand seiner Braut. Immer wieder flüsterte er ihr ins Ohr, wie sehr er sie liebte und was er alles mit ihr anstellen wollte. Mit erröteten Wangen begann Ingrid in den Hafen der Ehe einzutauchen. Den gesamten Tag ließ Josef seine Braut nicht los. Entweder hielt er ihre Hand so fest, dass es fast schmerzte, oder berührte lieblich ihren Rücken.

      »Ich möchte einen Toast aussprechen...«, sagte Onkel Berthie. Sein Haar war streng nach hinten gebürstet worden und seine hohe Stirn glänzte im Lichtermeer der Kerzen. Er trug, genau wie sein Bruder, die Uniform aus dem 1. Weltkrieg. Die vielen Abzeichen ließen ihn streng wirken, obwohl genau das Gegenteil der Fall war.

      »...Nun ist es endlich soweit. Josef Ludwig hat seine Braut gefunden. Sollen sie glücklich werden, gute und schlechte Zeiten überstehen und unserer Familie viele Nachkommen bescheren, so dass wir noch viele Hochzeiten feiern können. Auf das Brautpaar.« Er hob sein Glas und prostete den anderen Gästen zu. »Onkel Berthie«, murmelte Josef und schüttelte mit dem Kopf. Dabei strich Ingrid ihm lieblich über das wirre Haar.

      Am Abend bezog das frisch vermählte Paar ihr neues Heim. Ein wunderschönes einstöckiges Reetdachhaus mit friesischen Fenstern auf einer Anhöhe Norddorfs. Der Blick auf die ständig wechselnden Gezeiten und die Gischt, die sich bei Hochwasser an den Klippen aufbäumt, luden zu einem ruhigen Leben ein. Josef hob seine Ingrid vor der Haustür auf die Arme und trug sie über die Schwelle. »Was sein muss, muss sein.« Er lächelte und küsste seine Braut auf die Stirn. Erst im Schlafzimmer, welches sich im oberen Stockwerk befand, ließ er sie auf die Matratze nieder. Er zog sich sein Jackett aus und streifte Ingrid die schmalen Riemen ihres Kleides von den Schultern. »Und das Haus gehört jetzt uns?«, fragte die frischgebackene Ehefrau. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich, denn welches junge Paar bekam schon ein so großes Haus zur Hochzeit. »Ingrid. Dieses Haus ist schon lange in unserem Familienbesitz. Es stand eine lange Zeit leer und freut sich endlich wieder Leben in den Räumen spüren zu können.« Er küsste ihre Fußknöchel, als er ihr die Schuhe abstreifte.

      »Wenn ich dir wehtue sag es mir bitte.« Er saß vor ihr in der Hocke und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Du wirst mir nicht wehtun....« Sie bedachte sein Gesicht mit Küssen. »...Mein tapferer Ehemann. Komm zu mir.« Sie zog Josef zu sich aufs Bett