Wellen der Vergangenheit. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651239
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griff und ihn auseinanderfaltete. »Gefallen am 01.12.1939. Polen. Kopfschuss«, flüsterte Ingrid. »Von wem hast du den Brief?«

      »Der Pfarrer hat ihn mir gegeben.« Louise beruhigte sich etwas und nahm dankend die Tasse Tee, die Martha ihr gebracht hatte, an. »Ella wird wohl auch Bescheid bekommen haben, aber da Berthie bei uns gemeldet ist, kam die Nachricht zuerst zu uns. Also zu mir«, verbesserte sie sich. »Hoffentlich geht es meinem Jungen gut. Ich habe ja solche Angst.«

      »Ja. Ich habe erst heute Post von ihm erhalten.« Schnell machte Ingrid sich auf nach oben, nahm den Brief vom Bett und gab ihn Louise, als sie zurück in Wohnbereich kam.

      Ein kurzes Lächeln gefolgt von weiteren Tränen huschte über das Gesicht der Schwiegermutter.

      »Das ist sehr schön. Ich freue mich. Zumindest eine gute Nachricht.«

      »Ja. Ich war sehr erfreut über die Nachricht. Aber es tut mir sehr leid. Ich hoffe das alles gut wird und Johannes...« Ingrid vermochte den Namen gar nicht auszusprechen. »...bald zurückkommt.«

      »Das hoffe ich auch.« Louise trank den letzten Schluck ihres Tees, stand auf, reichte ihrer Schwiegertochter den Brief und machte sich zum Aufbruch bereit. »Louise«, sagte Ingrid. »Möchtest du nicht heute bei uns bleiben. Wir haben genug Schlafzimmer. Die Verdunkelungspflicht hat vor wenigen Minuten begonnen, so dass du im dunklen nach Hause müsstest. Das kann ich nicht verantworten.«

      »Das ist ganz lieb.« Sie seufzte und knöpfte weiterhin ihre Jacke zu. »Aber ich möchte dir keine Umstände machen. Ich gehe nach Hause, dann kann ich noch ein wenig nachdenken. Außerdem bekommt mir die klare Winterluft.« Louise öffnete die Tür und ein heftiger Wind polterte ihr ins Gesicht. »Es tut mir leid.« Ingrid mogelte sich schnell an ihrer Schwiegermutter vorbei und schloss die Tür. »Ich befehle dir heute hier bei uns zu bleiben. Martha wird dir das kleine Zimmer herrichten, wenn du möchtest kann Clara dir ein Bad einlassen.« Ingrid, die ein schlechtes Gewissen hatte, strich ihrer Schwiegermutter über die kalte Wange. Weswegen ihre innere Stimme solch ein Gefühl in ihr ausgelöst hatte war ihr nicht klar. Vielleicht, weil ihr Brief sie mit Freude erreicht hatte. »Ja. Das wäre sehr nett.« Trotz ihrer Schwäche wirkte Louise immer reserviert.

      Während ihre Schwiegermutter sich im angrenzenden Badezimmer im heißen Wasser räkelte, tat Ingrid einige Bücher aus ihrer Sammlung auf den kleinen Nachttisch neben dem gemütlich bezogenen Bett. Danach überprüfte sie die Fenster. Obwohl sie Martha eingeschärft hatte, dass sie die Verdunkelung nicht mit Nachlässigkeit tun sollte, konnte sie nicht anders um die Arbeit zu überprüfen. Deshalb verdunkelte Ingrid ihr eigenes Zimmer immer selbst. Vorsichtig stellte sie eine kleine Beleuchtung zum Lesen neben die Bücher. Als alles perfekt zu sein schien, schloss sie die Tür und trat in ihr eigenes Zimmer. Ingrid war müde und wollte sie etwas hinlegen. Die Nächte waren ihr am liebsten, denn sie konnte träumen, ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Dort traf sie Josef morgens beim Aufstehen im Badezimmer an. Mit freiem Oberkörper stand er vor dem Spiegel und strich sich über den Bart. Ingrid trat auf ihn zu und wollte die Arme um ihn legen. Doch von jetzt auf gleich verschob sich die Szenerie und Josef löst sich in Luft auf. Dann wachte Ingrid von Schrecken gezeichnet auf und schrie seinen Namen. Mit der Zeit hatte sie gelernt nur neben ihm stehen zu können. In die wunderschönen turmalingrünen Augen zu blicken und ihm einen Luftkuss zuzuwerfen. »Ich darf ihm nicht zu nahe kommen«, sagte sie sich wie ein Mantra. »Ich darf ihm nicht zu nahe kommen. Ich darf ihm nicht zu nahe kommen, sonst verschwände er.« Vorsichtig fing sie eine Träne auf, die sich aus ihrem linken Auge gelöst hatte. Sie inspizierte den glasklaren Tropfen.

      Ein Klopfen ließ Ingrid aus ihrem Schlaf gleiten. »Josef bitte, wo bist du? Bleib bei mir...«, murmelte die junge Frau und öffnete ein Auge. »Ingrid. Ist alles in Ordnung?« Clara streckte ihren Kopf in den Raum. Ingrid konnte ihn zwar in der Dunkelheit nicht sehen, aber sie wusste es. »Ja. Wieso?« Ingrid streifte über die dicke Decke.

      »Ich habe Schreie gehört und mir Sorgen gemacht.« Clara trat ein und setzte sich ans Fußende.

      »Ich glaube ich habe nur schlecht geträumt.«

      »Dann ist ja gut. Weißt du ich habe Angst. Der Krieg sollte doch schnell vorbei sein und nun sitzen wir hier, haben kaum etwas zu essen. Wir sind gefangen in unserem eigenen Land. Hitler möchte immer mehr Macht. Und wenn ich nach Nebel gehe, sehe ich immerzu Polizisten die aufgeregt von einem Haus ins nächste stürmen.« Clara legte ihre Hände übereinander.

      »Ja. Wir haben alle unser Päckchen zu tragen.«

      »Ja. Ich weiß. Aber du siehst es ja nicht mit eigenen Augen. In der Schule wird uns auch allerlei Fusel eingeschärft. Wir singen und lernen politische Sachen.«

      »Ach. Clara. Es wird alles wieder vorbeigehen. Du musst nur ganz fest daran glauben. So nun Marsch ins Bett.« Ohne ein weiteres Wort stand Clara auf und schloss lautlos die Tür.

      8

      Zu Weihnachten zog Ingrid sich ihr azurblaues Kleid an, welches sie im hinteren Teil ihres Kleiderschrankes gefunden hatte. Ihr widerspenstiges lockiges Haar war hochgesteckt und verlor sich auf ihrem Kopf. Clara stand in einem rubinroten Kleid an der Haustür und richtete das Kleid, welches sie Martha geliehen hatte. Die Freundin von Clara steckte in einem dunkelgrünen Etuikleid, welches ihr bis zu den Waden reichte. Sie sah wunderschön aus und stach die beiden Schwestern mit ihrer versteckten Schönheit aus. Als Ingrid Martha erblickte atmete sie tief ein und aus. Sie strich sich über ihre Taille, die bei genauerem Hinsehen breiter als Marthas war. »Bin ich etwa eifersüchtig?«, fragte sie sich selbst und trat die Treppe hinab. Die drei Mädchen schälten sich in ihre Mäntel und warteten bis der kleine Niels das Pferd vor den Wagen gespant hatte.

      Familie Ludwig bewohnte das größte Haus im Dorf Nebel auf Amrum. Es war Tradition, dass sich alle Familienmitglieder am Heiligen Abend im Haus einfanden.

      »Schön das ihr gekommen seid«, sagte Louise als sie die Tür öffnete und die drei Mädchen in die Arme schloss. »Aber das ist doch selbstverständlich. Wir haben etwas mitgebracht« Ingrid reichte ihrer Schwiegermutter den Kartoffelsalat, den sie aus den letzten Resten machen lassen hatte. Im neuen Jahr musste sie zum Amt gehen um sich dort, die ihr zustehenden Lebensmittel, abzuholen.

      »Das ist ja lieb. Dora und Ella sind auch hier. Ich freue mich das wir alle hier sind.« Erneut fiel sie ihrer Schwiegertochter um den Hals. »Wir freuen uns auch.«

      Vorsichtig traten die drei Mädchen durch den schmalen Flur in den großen Essbereich. Der Essbereich wurde durch eine große Flügeltür von dem Wohnbereich getrennt. »Wow. Das ist atemberaubend«, murmelte Martha und setzte sich flink neben eine ihrer Klassenkameradinnen. Die beiden Mädchen waren ebenfalls gut gekleidet und sahen wohl genährt aus. Sie saßen gerade auf ihren Stühlen und lauschten den Stimmen der Familie. Großvater Wilhelm stiefelte in den Raum und setzte sich neben Ingrid. »Moin. Moin. Schön, dass ihr alle hier seid.« Er setzte seinen Krug an die Lippen und trank den guten Wein in einem Zug aus. »Muss das sein. Wir haben doch noch nicht mal angefangen zu essen«, sagte Louise nach langem Überlegen. Sie alle hatten Respekt vor seinem Erscheinen. Doch nun, da Louise mit ihm allein unter einem Dach wohnte, musste sie sich zu wehren wissen. »Was hast du mir denn zu sagen. Ich lass mir von euch Frauen nichts sagen. Meine Söhne sind nicht da und welche Schuld ist es?« Er streifte die Blicke der Frauen. »Eure. Ihr sitzt hier auf euren dicken Ärschen und feiert Weihnachten, während meine Söhne irgendwo im Sterben liegen.« Seine Hand schnellte nach oben und fegte sein Gedeck vom Tisch. Ein lautes Scheppern gefolgt von einem Schweigen. Die Dienstmagd kam, kehrte die Scherben lautlos auf und deckte neu ein.

      »Ich denke wir sollten essen. Wir wollen schließlich nichts verkommen lassen.« Ella stand auf und zog sich die Schüssel mit Kartoffelsalat heran. »Hast du Heimaturlaub?«, fragte Ingrid starr auf ihren Teller gerichtet. »Ja. Ich habe mir einige Tage frei genommen. Außerdem habe ich hier noch einige Dinge zu erledigen. Schließlich ist mein Vater vor kurzem erst gefallen.«

      »Ja. Es tut mir leid.«

      »Es tut dir leid. Du weißt doch gar nicht was das für ein Gefühl ist. Da hat Wilhelm schon