Wellen der Vergangenheit. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651239
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kreiste Ingrid mit ihrem Zeigefinger auf der Brust ihres Ehemannes. »Josef...«, sagte sie nach einer endlosen Warteschleife. »...Rede doch mit mir.« Seufzend strich Ingrid über seine gewellten Haare und küsste ihn auf die Stirn. Es hatte keinen Sinn, er würde sich einfach nicht rühren. So brauchte sie nicht lange zu überlegen und drehte sich, mit dem Rücken zu Josef, auf die Seite. Urplötzlich, sie musste schon einige Stunden geschlafen haben, spürte sie zwei große Arme die sich um ihren nackten Körper pressten. An ihrem Gesäß spürte sie etwas Hartes. »Ingrid bitte hilf mir. Sie kommen um mich zu holen«, flüsterte Josef.

      »Mm.« Mehr brachte sie nicht heraus, doch als sie immer stärker diesen Druck an ihrem Po spürte, drehte sie sich um und blickte ihrem Ehemann in die Augen. »Kannst du nicht einschlafen?«, fragte sie und strich über seine Wange. »Nein. Sie werden kommen und mich holen. Ich...« Josef fing an zu zittern und küsste seine Frau leidenschaftlich. Aus dem kleinen Jungen von eben wurde wieder der Ehemann den Ingrid sich wünschte. Er zog seine Frau an sich, zwängte seine Zunge zwischen ihre Lippen und drückte sie auf den Rücken. Dann bestieg er sie wie ein Reiter sein Pferd. Ingrid hatte sich diesen Liebesakt romantischer und leidenschaftlicher vorgestellt, doch Josef ließ sich nicht bremsen. Er stieß und schnaubte, schwitzte und sabberte. Das junge Mädchen lag wie ein nasser Sack unter dem hundert Kilo Mann. Er vögelte seine Wut, sein Zorn regelrecht hinaus. Irgendwann schlich sich die Müdigkeit ein und Josef ließ sich auf seine Frau plumpsen. Da lag er nun, immer noch in ihr und schnarchte leise.

      Ingrid öffnete ihre Augen, die sie während des Aktes geschlossen hatte wieder und versuchte Josef auf die Seite zu drehen. Er grunzte und schnäuzte mit der Nase. Ingrid deckte ihn ein und legte sich auf den Rücken. Jetzt starrte sie gegen die Decke und überlegte wie es wohl weitergehen sollte. Nach den Feiertagen wollte Ingrid sofort den Dorfarzt aufsuchen um sich Informationen über Kriegstraumata anzufordern. Sie wollte sich wappnen und wissen was auf sie zukommen könnte. Josef muss sicher bald zurück an die Front. Wie lange kann ein Soldat eigentlich Urlaub machen? Die junge Ehefrau zuckte mit den Achseln. Sie war sich nicht sicher, aber eine Woche würde er sicher bei ihr bleiben. Morgen sollten die Schwestern zum Mittagessen wieder zu Louise kommen. Deswegen hatten sie auch heute früher gehen dürfen. Sie meinte, dass das junge Paar erst mal ein paar Stunden für sich haben sollte und morgen für den Rest der Familie noch genug Zeit wäre. Ingrid war dankbar und somit nickte Clara ihr zum Gehen zu. »Ach mein schöner Ehemann. Was haben sie dir bloß angetan?« Ingrid beugte sich über ihn und küsste ihn hinters Ohr. Ein kurzes Grunzen erklang und eine Hand griff nach ihrem Handgelenk. »Bitte bleib bei mir«, hauchte er und drückte noch fester zu.

      »Ich bleibe bei dir, aber bitte drück nicht so fest zu. Du tust mir weh.« Mit der anderen Hand versuchte Ingrid seine Hand zu lösen. Je mehr sie versuchte sich aus seinen Fängen zu befreien, drückte er nur noch mehr zu. »Ich brauche dich. Ich habe schlimme Dinge getan. Ich....ich habe Familien zerstört.« Abrupt ließ er los und legte seinen Kopf an Ingrids Brust. Und da war er wieder, der kleine Junge. Er fing zu weinen an. Josef weinte, als hätte er sich beim Radfahren das Bein aufgeschlagen, die bösen Buben ihn wieder einmal im Schulhaus geärgert oder seine Schwester und deren Freundinnen ihn in Badehose am Strand ausgelacht haben. Der kleine Junge, nachdem Ingrid sich so sehr gesehnt hatte. Ihre Gedanken schleuderten sie an den Tag zurück, wo die Nachbarin zu ihr und Clara kam um ihnen die tragische Nachricht zu überbringen. Auch an diesem Tag musste sie stark sein. Ihre Schwester schrie, weinte und brüllte ihre Trauer hinaus, doch die große Schwester saß wie eine Statue im Sessel und strich Clara über die dicken Haare. »Schsch!«, meinte sie immer wieder und versuchte damit selbst ihre Traurigkeit zu unterbinden. Und als Ingrid weinen durfte, konnte sie nicht. Es war als hätte sie fremde Augen in den Höhlen. Ingrid presste die Augen zusammen, kniff sich in die Wangen um sich Schmerz zuzufügen, woraufhin Tränen sich nicht mehr aufhalten lassen wollten. Alles Gelingen nutzte nichts. Sie war wie erstarrt. »Die eiserne Lady«, konnte sie jemanden in der Menge hören. Ob es ihr gegolten hatte wusste sie nicht. Und wieder hatte sie an den Satz denken müssen. Ingrid wollte mit ihrem Ehemann weinen, doch konnte sie sich nicht dazu aufraffen. Vielleicht galt der Satz doch ihr? »Weißt du Josef. Mir hat mal jemand gesagt, dass ich ihm alles erzählen kann, er mich aber nie danach fragen würde....« Sie küsste ihn auf die Lippen. Die Lippen die so trocken waren wie der Sand in der Sonne. »Du kannst mir vertrauen.«

      Sie legte ihrem Mann eine Hand auf die Stirn. »Ich wollte nie an die Front. Ich dachte ich könnte im Camp arbeiten, für die Luftwaffe Nachrichten durchgeben, Wetterverhältnisse überbringen...« Er seufzte. »Am Anfang war alles noch in Ordnung. Ein Unteroffizier nahm mir und weiteren einberufenen Soldaten am Bahnhof die Papiere ab und begleitete uns die ganze Zugfahrt aus. Wir gingen in einer einheitlichen Formation zur Kaserne, wo wir uns mit etlichen Papieren herumschlagen mussten. Ich schlief in einem Saal mit sechzig weiteren Männern und teilte mir einen Spind mit Georg. Er kommt aus Berlin und ist in meinem Alter.«

      »Das hört sich doch ganz gut an.« Ingrid griff in Josefs volles Haar.

      »Ja. Noch. Wir wurden in Waffenkunde und politische Erziehung unterrichtet. Viele meiner Kameraden hatten den Arbeitsdienst schon abgeleistet und wussten, wie der Hase läuft. Ich dagegen musste mich erst eingewöhnen. Morgens früh aufstehen, laufen, aufräumen, zwei Stunden Theorie im Schulungsraum. Danach Hofdienst. Grüßen lernen, marschieren, singen. So furchtbare Lieder...« Seine Lippen begannen zu zucken und ein federleichtes Lachen legte sich auf seine Lippen. »...Aber, wenn die Offiziere nicht hinhörten, schmetterten wir unsere eigenen Lieder.«

      »Was denn für Lieder?« Ein großes Fragezeichen setzte sich auf Ingrids Gesicht.

      »Ausgedachte Zeilen. Es darf gesungen werden was einem gerade so einfällt.«

      »Und was geschah dann?«

      »Ich wurde zum Wachdienst eingeteilt.« Kurzes Schweigen. »Dort habe ich zum ersten Mal einen Menschen erschossen.«

      »O. Das ist ja schrecklich.« Eigentlich wollte Ingrid dies nicht laut aussprechen und versuchte daher die letzten Worte hinunterzuschlucken. »Er hatte keinen Nachturlaubsschein mit. Als der Wachhabende kam, konnte er ihn nicht identifizieren und da schoss ich einfach. Es war so leicht.«

      Josef nahm die Hand seiner Frau und hauchte Küsse auf den Rücken. In Ingrid kribbelte es. »Die Märsche zum Postempfang waren mir die liebsten. Wenn ich deine Briefe in meinen Händen halten durfte, fühlte ich mich zum ersten Mal wieder froh.« Er seufzte. »Wenige Wochen später sollten wir auf dem Schießplatz mit den Waffen warm werden. Dort musste ich einigen Spott über mich ergehen lassen, denn mein Todesschuss sprach sich schnell herum. Der Todesschütze. So nannten sie mich. Das gab mir nach einigen Wochen den nötigen Respekt.«

      »Was habt ihr in der freien Zeit gemacht?«

      »Manchmal gingen wir ins Kino, doch am liebsten verbrachten wir die freie Zeit in einer Kneipe. Doch eines abends.« Josef kniff seine Augen zusammen. »Eines abends nahmen wir eine Abkürzung und folgten einer schmalen Gasse, die uns zurück zur Kaserne bringen sollte. Wir blieben stehen als wir ein Schluchzen vernahmen. Georg und ein weiterer Kamerad namens Ferdinand waren bei mir. Wir pressten uns an die kalte, verdreckte Hauswand und lauschten. Es war so schrecklich. Kleine Kinder knieten vor Soldaten. Wir erkannten ihre Kleidung sofort. Juden!

      Wir hätten eingreifen sollen, denn was dann geschah werde ich niemals vergessen. Nacheinander schossen sie den kleinen die Köpfe weg. Ich versuchte zu atmen, doch mir fehlte die Luft.«

      »Aber das ist doch nicht deine Schuld.«

      »Doch. Genau das ist es Ingrid. Ich bin schuld, dass die Kinder nicht mehr leben. Ich hätte eingreifen sollen. Aber Feigling Josef war zu schwach.« Er raffte sich auf und blickte zum verdunkelten Fenster.

      »Nun hast du Heimaturlaub? Entspann dich bitte.« Ingrid legte vorsichtig ihre Hand auf den Rücken ihres Mannes und fing an ihn zu streicheln.

      »Ja. Die Ausbildung ist vorbei. Das heißt einen kurzen Heimaturlaub. Ausruhen, damit man mit neuer Kraft in die neue Division eintreten kann.«

      »Division? Was ist das?«

      »Militärischer Großverband. Eine Division kann aus 10.000 bis 30.000 Soldaten bestehen. Meistens sind es verschiedene