Please stay with me. Lora Flynn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lora Flynn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753140179
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hob sie den Kopf und ihre Augen wanderten suchend durch den Raum, bis sie an Ruby und mir hängen blieben. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Was war denn nun schon wieder passiert?

      Schnellen Schrittes kam Poppy auf uns zugeeilt und hielt unmittelbar vor uns inne.

      »Habt ihr schon auf eure Handys geschaut?«, fragte sie völlig atemlos, wobei ihre Augen abwechselnd zwischen Ruby und mir hin und her wanderten.

      Ruby und ich tauschten einen kurzen Blick aus.

      »Nein«, erwiderten wir im Chor, während wir auch schon darauf warteten, dass Poppy uns von den offensichtlich wichtigen Neuigkeiten berichtete.

      Poppys Blick richtete sich auf Ruby.

      »Du darfst nicht durchdrehen, okay?«, sprach sie mit eindringlichem Tonfall.

      »Weshalb sollte ich durchdrehen?«, Ruby wurde mit einem Mal ganz blass und versuchte einen Blick auf Poppys Handy zu erhaschen. »Jetzt zeig schon, Poppy. Was hast du da?«

      Ruby versuchte ihr das iPhone aus der Hand zu reißen und widerwillig überließ Poppy ihr es. Rubys Augen richteten sich auf den Bildschirm und im Bruchteil einer Sekunde verlor ihr Gesicht alle Farbe.

      »Woher hast du das?«, fragte sie mit matter Stimme und starrte benommen auf den Bildschirm von Poppys Telefon.

      »Naja … Es wird an der ganzen Schule herumgeschickt«, entgegnete Poppy bedauernd und schien auf eine Reaktion seitens Ruby zu warten. Erst in diesem Moment bemerkte ich, dass der Großteil unserer Mitschüler in unsere Richtung starrten. Tuschelnd steckten sie ihre Köpfe zusammen, lachten und deuteten mit dem Finger auf Ruby.

      Was zur Hölle ging hier vor sich?

      »Okay, Leute, jetzt zeigt mal her!«, ich nahm Ruby das Gerät aus der Hand und starrte auf den Bildschirm.

      Was ich sah, war meiner Meinung nach sicherlich nichts Schlimmes oder gar Verwerfliches. Für Ruby allerdings schon. Und erst recht für Madison. Denn auf Poppys Handy war ein Foto von den beiden abgebildet. Ein Foto, auf dem sie sich ziemlich leidenschaftlich küssten.

      »Fuck. Madison wird durchdrehen! Sie wollte doch nicht, dass jemand von uns erfährt«, hörte ich Ruby fluchen und wie aufs Stichwort erschien Madison Lively im Klassenraum. Langsam lief sie Schritt für Schritt in den Saal, während ihre Augen an dem Mobilgerät in ihren Händen klebten. Als sie plötzlich abrupt stoppte und erstarrte, wusste ich, dass sie das Bild in dieser Sekunde wohl ebenfalls gesehen haben musste.

      Einen Augenblick später hob sie das Gesicht. Wie zu erwarten erhielt auch sie, wie Ruby schon zuvor, dieselbe Reaktion von unseren Mitschülern.

      Hämisches Lachen. Getuschel. Schiefe Blicke.

      Madisons Augen streiften verunsichert durch das Klassenzimmer, bis sie auf Ruby trafen. Noch nie zuvor hatte ich Madison Lively derart ängstlich und eingeschüchtert erlebt, als könnte sie jeden Moment zusammenbrechen. Ich meinte sogar Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen. Doch bevor ich sie weiter mustern konnte, ergriff sie im darauffolgenden Augenblick die Flucht und rannte ohne ein Wort aus dem Klassenzimmer.

      Nachdem Madison den Saal verlassen hatte, bat Logan die Klasse darum, Ruhe zu bewahren, gab uns eine Aufgabe und teilte uns mit, dass er gleich wieder zurück sei. Sicherlich wollte er nach Madison schauen, was sehr fürsorglich von ihm war. Ich erinnerte mich noch gut daran, als er damals das Gleiche für mich getan hatte, nachdem Madison mich aufs Übelste beschimpfte. Es war der Tag gewesen, an dem Logan mir seinen Roman Verstand und Gefühl von Jane Austen mitgebracht hatte.

      Unwillkürlich musste ich bei dem Gedanken daran lächeln. Es kam mir vor, als lag dieser Tag schon Ewigkeiten zurück, dabei waren es gerade mal ein paar Monate. Unglaublich, in welche Richtung sich mein Leben in dieser kurzen Zeit entwickelt hatte. Damals war ich noch dieses kleine, verängstigte Mädchen gewesen, geprägt durch die ganzen Schicksalsschläge, die mir widerfahren waren. Moms Tod, die Trennung von Danny und den Missbrauch durch Adam.

      Der Gedanke an Adam ließ mich zwar noch immer frösteln, doch das Wissen darüber, dass er nun die Hilfe bekam, die er benötigte, beruhigte mich etwas.

      Ein Zwicken in meine Seite ließ mich aus meinen Gedanken hochfahren und direkt in Poppys erwartungsvolles Gesicht blicken. Mit einem vielsagenden Nicken deutete sie auf Ruby, die niedergeschlagen einen Tisch weiter zu meiner Linken saß. Ihr Gesicht hatte sie auf einer Handfläche abgestützt und starrte betroffen Löcher in die Luft.

      »Die Ärmste«, hörte ich Poppy neben mir sagen. Ich konnte ihrer Aussage nur beipflichten. Noch immer tuschelten einige unserer Klassenkameraden und warfen Ruby neugierige Blicke zu, sie besaßen keinerlei Schamgefühl. Das brach mir das Herz. Denn wie man sehen konnte, wurde Homosexualität in unserer heutigen Gesellschaft noch immer nicht vollends akzeptiert. Und als wäre das nicht schon genug, musste Ruby sich nun auch noch mit Liebeskummer herumschlagen - ein Schmerz, den ich nur allzu gut nachempfinden konnte. Sogar zu gut, um genau zu sein.

      »Hey, du! Ja genau, du«, blaffte Poppy plötzlich wütend neben mir und riss somit die Aufmerksamkeit einiger Schüler auf sich. Mich eingeschlossen. Ihr zorniger Blick war auf einen Jungen, der zwei Bänke vor uns saß, gerichtet.

      »Glotz nicht so blöd, du Arsch! Bei deinem Verhalten brauchst du dich nicht wundern, wenn Frauen lesbisch werden und dich nicht ranlassen. Guck gefälligst woanders hin, wenn dir dein Gesicht lieb ist, sonst sorge ich dafür, dass du bald gar nichts mehr zu glotzen hast!«, wie aufs Stichwort reckte sie drohend ihre Faust in die Höhe.

      Das war typisch Poppy. Wenn es um ihre Freunde ging, mutierte sie zu einem streitlustigen, testosterongeladenen Macho, allseits bereit, sich sofort ins Getümmel stürzen zu können.

      »Poppy!«, eilig griff ich nach ihrem Arm, um sie etwas zu besänftigen. »Reg dich nicht so auf, das ist es nicht wert.«

      Poppys Augen richteten sich auf mich und ihre Brauen zogen sich zu einem aufgebrachten schmalen Strich zusammen.

      »Findest du es etwa in Ordnung, wie sie mit Ruby umgehen?«

      »Natürlich nicht!«, widersprach ich und schüttelte verneinend mit dem Kopf. »Aber Gewalt ist auch keine Lösung.«

      »Ja, aber eine Möglichkeit«, erwiderte sie und wandte sich sogleich wieder dem Jungen zu. »Und bei dir mache ich liebend gern eine Ausnahme, hast du gehört?«

      Ich rollte mit den Augen. An Poppy biss man sich wirklich die Zähne aus. Zwar unterließ sie danach weitere Morddrohungen unseren Mitschülern gegenüber, aber sie ließ es sich nicht nehmen, dem Jungen vernichtende Blicke zuzuwerfen und er tat gut daran, sich mit hochrotem Kopf umzudrehen.

      Als ich zu Ruby rüber sah, erkannte ich, dass Poppys loses Mundwerk wohl doch etwas Positives bezweckt hatte, denn Rubys Gesicht zierte ein Lächeln, zwar ein schwaches, aber dennoch ein Lächeln.

      Nach einer geschlagenen Minute betrat Logan wieder den Raum. Demnach ging ich davon aus, dass sein Gespräch mit Madison entweder recht kurz ausgefallen war oder er sie wohl nicht mehr hatte finden können.

      Der Unterricht wurde fortgeführt und am Ende der Stunde sammelte Logan unsere Aufsätze ein, die wir über den Jane Austen Roman hatten schreiben müssen. Als er an unserem Tisch ankam und ich ihm mein Essay in die Hand drückte, berührten sich für einen kurzen Moment unsere Hände. Mein Körper reagierte augenblicklich auf seine Nähe und ich wurde von einer heftigen Hitzewelle erfasst. Erschrocken blickte ich erst auf unsere Hände, dann in sein Gesicht.

      An Logan schien diese Berührung wohl ebenfalls nicht spurlos vorbeizugehen, denn ich konnte deutlich erkennen, wie seine eisblauen Augen für den Bruchteil einer Sekunde einen verschleierten Ausdruck annahmen. Langsam löste sein Blick sich von unseren Händen und richtete sich auf mein Gesicht.

      Im Gegensatz zu mir schien Logan jedoch genügend Selbstbeherrschung zu besitzen. Er räusperte sich lautstark, ehe er den Blick von mir abwandte und diesen flüchtigen, aber intensiven Kontakt zwischen uns unterbrach.

      Verträumt