Nichts zu danken, mein Guter. Lass dir dein Gebiss richten, du armes Schwein, dachte Kuljamin, tätschelte dem Mann die windschiefe Schulter, legte noch zwei Scheine drauf und fragte ihn, ob er die leeren Fässer wie befohlen zur Müllkippe gebracht hatte, bevor er zurück auf das Gelände gekommen war. Das war der Fall und der scheidende Direktor trug dem Mann auf, schleunigst zu vergessen, was er heute Nacht getan hatte.
Mit einer weiteren Geste der Demut verabschiedete sich der Mann und verschwand im Halbdunkel des nächtlichen Korridors.
Jetzt war es an der Zeit für den eigenen Abgang. Der künftige Edelpensionär zog Mantel und Fellmütze an, packte das Geld zurück in den Aktenkoffer, nahm diesen und sein schmales Reisegepäck und ging zur Tür. Im Rahmen drehte er sich nochmals um und blickte zurück.
Ein unbeschreibliches Gemenge aus panischer Angst und irrsinniger Vorfreude vereinigte sich in seiner Brust, er musste einige Male tief Luft holen, um sich wieder zu fangen. Dann zog er ein Schlüsselbund aus der Manteltasche und schloss das Büro ab – es war der letzte Akt eines alles in allem vierzigjährigen Dienstes am Vaterland, das ihm diesen nur schlecht gedankt hatte. Und das hatte es nun davon.
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In 11.000 Meter Höhe
Der Vermittler nahm einen letzten Schluck des hervorragenden Weines und stellte das Glas auf das kleine Tischchen vor dem Nachbarsitz, der zu seiner Befriedigung frei geblieben war.
Er hatte gelernt, auf Flügen zu schlafen wie in seinem eigenen Bett, und er hatte die Absicht, dies auch auf dem Weg von Moskau nach Riad zu tun.
In der russischen Hauptstadt hatte er seinen letzten Kurier getroffen und ihm auf einer Flughafentoilette das Röhrchen mit dem Polonium zugesteckt; so wenig das auch war, es war genügend Gift, um zum Alptraum einer jeden Stadt zu werden, wenn es in die Nahrungskette oder das Trinkwasser gelangte; und das war schließlich das erklärte Ziel.
Saudi-Arabien war seine vorläufig letzte Station. Von dort aus würde er nach Dubai reisen, wo er im 142. Stock des Burj Khalifa ein großes Appartement bewohnte, in dem sich auch sein Büro befand.
Die USA, wo er zwischen einer Villa in St. Augustine, Florida und einer Wohnung in New York City wählen konnte, würde er nicht wieder aufsuchen. Das war dem jetzigen Stand der Dinge nach zu gefährlich, und deshalb würde er diese beiden Immobilien abstoßen, bevor es in Deutschland zu dem großen Knall kam.
Aber zunächst musste er seinem Auftraggeber – der diese ganze Choreographie des Terrors bezahlte - Rechenschaft ablegen über das, was er in den vergangenen Wochen geleistet hatte; und das war beachtlich gewesen.
Er hatte die vermutlich größte Menge radioaktiver Substanzen beschafft, die je in die Hände einer Privatperson gelangt war. Er hatte vier verschiedene Routen entworfen, auf denen dieses Material nach Deutschland gelangen würde, wo es zur Anwendung kommen sollte.
Er hatte zu diesem Zweck, für Transport, Zwischenlagerung, die Anmietung von Verstecken und für den großen Anschlag selbst etwa fünfundzwanzig Leute angeworben (Informanten nicht mitgerechnet), teils für viel Geld, teils für wenig Geld, und dort, wo Geld nicht zählte, sondern nur der Glaube, mit dem Versprechen einer reichen Belohnung nach diesem Leben.
Er hatte Leute miteinander vernetzt, die sich noch nie begegnet waren und die sich später auch nie wieder begegnen würden, hatte Bankkonten eröffnet, die nur wenige Wochen existieren würden; er hatte E-Mail-Postfächer mit unverdächtigen Adressen eingerichtet, Handys gekauft, die nur einmal benutzt und dann weggeworfen werden würden, und er hatte Einmal-Codes verbreitet, die nicht zu knacken waren und die während der Operation dazu benutzt werden sollten, die Kommunikation zwischen den einzelnen Teams sicherzustellen, sofern sich dies als notwendig erweisen sollte.
Er hatte knapp dreizehn Millionen Dollar ausgegeben, ein Betrag, in dem seine Provision in Höhe von acht Millionen noch nicht inbegriffen war.
Sein Auftraggeber, ein kränkelnder wahhabitischer Eiferer, konnte zufrieden sein, denn sein Vermittler hatte all das geleistet und dabei weniger als die Hälfte des Geldes benötigt, das er für das große Feuerwerk ausgelobt hatte.
Sicher, die New Yorker Anschläge vor etlichen Jahren waren preisgünstiger gewesen, sie waren bis heute ein regelrechtes Lehrstück in Effektivität. Dafür würde aber diesmal der Schaden noch höher sein als damals, sowohl, was die mittelfristige Zahl der Opfer, als auch, was das ökonomische Desaster im Gefolge dieses Terroraktes betraf. Letzteres konnte biblische Ausmaße annehmen und unter seinen Folgen würden die westlichen Volkswirtschaften noch lange zu leiden haben. Angst und Verunsicherung würden die Märkte beherrschen, und beinahe alles Wirtschaften war Psychologie.
Natürlich würde er jede Bewegung seiner laufenden Operation überwachen und notfalls in die Durchführung des Planes eingreifen. Man würde ihm jeden Fortschritt und jede Panne melden und er würde jeweils entscheiden, wie weiter zu verfahren war.
Er klingelte nach der Flugbegleiterin und bat sie, ihm eine Decke und ein Kissen zu bringen und ihn eine halbe Stunde vor der Landung in Riad zu wecken. Kurz darauf klappte er die Rückenlehne seines Sitzes vollständig hinunter, schloss die Augen und war wenige Minuten später eingeschlafen.
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Fort Meade, Maryland, Zentrale der NSA
Bill Schmittner nahm den Kopfhörer ab und legte ihn auf die Schreibtischplatte. Er hatte mehrere Stunden lang so konzentriert gearbeitet, dass er jetzt leichte Kopfschmerzen hatte und dringend einen Kaffee und eine längere Pause brauchte. Seine Frau hatte ihm Sandwiches mit Schinken und Erdnussbutter eingepackt, und die wollte er jetzt aus seinem Spind holen, sich in den Aufenthaltsraum setzen und beim Essen den Sportteil der „USA Today“ lesen.
Es war Sonntag, und heute schienen die Terroristen tatsächlich einen Ruhetag eingelegt zu haben. Jedenfalls hatte er noch nichts von Belang zu lesen oder zu hören bekommen, so sehr er sich auch abmühte.
Neben ihm schien es seinem Kollegen Bernie Noakes nicht anders zu gehen, wenn er dessen angedeutetes Gähnen richtig interpretierte. Es gab solche Tage, an denen man sich fragte, wozu um alles in der Welt dieser gewaltige Aufwand an Technik und menschlicher Arbeitszeit betrieben wurde. Es war langweilig und frustrierend, Stunde um Stunde dazusitzen, mehr oder weniger auf gut Glück im Äther zu stochern und nach Anzeichen zu suchen, dass sich irgendein Bösewicht am anderen Ende des Planeten anschickte, ein krummes Ding zu drehen.
Aber wenn er sich Noakes anschaute, dann musste er zugeben, dass der den noch schlechteren Part erwischt hatte, denn Bill suchte wenigstens nach echten Terroristen aus Fleisch und Blut, nach Gestalten, die Anschläge planten, die sich dazu verschworen, unschuldige Menschen zu ermorden.
Bernie dagegen hatte den ganzen Tag und so manche Nacht nichts anderes zu tun, als sich die Bewegungen auf Tausenden internationaler Bankkonten von mehr oder weniger Verdächtigen anzuschauen und sich einen Reim darauf zu machen, wohin und zu welchem Zweck das Geld von diesen Konten abfloss und wohin seine Reise ging. So etwas jahrein, jahraus acht Stunden täglich zu tun, musste jeden normalen Menschen in den Wahnsinn treiben. Aber Noakes schien ein beinahe krankhaftes Vergnügen darin gefunden zu haben. Er sagte, was er mache, sei staatlich geförderter Voyeurismus, und damit hatte er natürlich Recht.
„Ich bin dann eine halbe Stunde weg, Bernie.“
Schmittner stand auf und wollte den Raum verlassen, in dem noch dreißig weitere heimliche Lauscher und Informationsdiebe saßen, um ihr Land und den Rest der Welt vor terroristischen Aktivitäten zu warnen. Aber Bernie Noakes pfiff ihn zurück. Er hatte gerade etwas entdeckt, das seine Aufmerksamkeit erregt haben musste.
„Sagt dir der Name Yassir Hossein noch etwas?“
„Kommt mir bekannt vor. Schieß los, was ist mit dem?“
„Unter anderem kanadischer Staatsbürger, und hat darüber hinaus mindestens einen nahöstlichen Pass, ich glaube, jordanisch