Aber das würde sich ändern, denn mit zwölf Millionen Dollar konnte man den Kopf ein wenig höher tragen; und geflickte Anzüge wären bald auch kein Thema mehr.
„Was werden Sie jetzt tun, Direktor?“
Der Mann, den Kuljamin nur als den Vermittler kannte, versuchte sich zum Abschied noch einmal in Konversation. Es interessierte ihn wenig, was der andere Mann tat - Hauptsache, er ließ sich nicht erwischen, bevor das radioaktive Material außer Landes war. Danach sollte ihn der Teufel holen, wenn der ihn haben wollte.
„Laufen, so schnell und so weit, wie ich es kann. Ich habe weniger als eine Woche Zeit, Russland verlassen. Den größten Teil dieser Zeit werde ich dazu benötigen, nach Moskau zu fahren und mir dort die nötigen Papiere für meine weitere Flucht zu beschaffen.“
In spätestens einer Woche würden sie ihn jagen, mit allem, was sie zur Verfügung hatten. Niemand bestahl eine russische Atomanlage ungestraft.
Er würde die nächsten drei oder vier Stunden noch hier in seinem Büro bleiben und dann direkt zum Bahnhof fahren, wo am frühen Morgen sein Zug nach Samara ging.
„Ich mache einen Umweg, um meine Spur so gut wie möglich zu verwischen. Einen Koffer mit dem Notwendigsten habe in meinem Büro stehen.“
Er lächelte, es war ein kaltes, humorloses Lächeln auf einem teigigen, verlebten Gesicht. „Ich habe meine Frau für ein besonders langes Wochenende zu ihren Verwandten nach Saratow geschickt. Sie wird erst am Mittwochabend zurück sein. Außerdem habe ich nach dem ohnehin freien Wochenende drei Tage Urlaub. Wenn man anfängt, mich zu vermissen, sollte ich längst im Flugzeug nach George Town auf den Cayman Islands sitzen.“
Dass der Mann wusste, wohin Kuljamins Reise ging, ließ sich nicht vermeiden, schließlich hatte der Araber das Konto für ihn eingerichtet und den Judaslohn darauf eingezahlt. Die Spielregeln wollten es, dass der neue Kontoinhaber mindestens einmal persönlich bei der Bank vorsprechen musste, um über sein Geld verfügen zu können. Später sah das anders aus, dann konnte er es von einem beliebigen Ort aus verwalten.
„Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen, mein Freund. Mit den Millionen, die Sie nun bald haben, sollte es Ihnen leicht fallen, ein ebenso standesgemäßes wie diskretes Leben zu führen, wo immer Sie das tun wollen.“
Bevor der Direktor antworten konnte, näherte sich der Fahrer des Lastwagens und signalisierte, dass er bereit zur Abfahrt war.
„Schicken Sie mir den Mann so schnell wie möglich zurück. Ich werde auf ihn warten, weil ich wissen muss, ob alles geklappt hat. Und um ihn zu bezahlen.“
„Wenn er in drei Stunden nicht zurück ist, dann ist in der Tat etwas schiefgegangen. Und das möge Allah verhüten!“
Dem Direktor des staatlichen Lagers für spaltbares Material in der riesigen Nuklearanlage Majak am Ural wurde noch einmal überdeutlich bewusst, dass es fanatische, menschenverachtende Terroristen waren, mit denen er dieses Geschäft gemacht hatte. Aber es war zu spät für derlei Skrupel, die dreiste Tat war begangen und es gab kein Zurück mehr. Er verabschiedete sich hastig und ohne Händedruck von dem Mann, der ihn zum Dieb, zum Verräter, zum Heimatlosen und zum vielfachen Millionär gemacht hatte, und er war schon auf dem Weg zu seinem Büro, als dieser den Lastwagen mit der brisanten Ladung auf der Beifahrerseite bestieg.
Obwohl die Scheibenwischer des Lastwagens Beachtliches leisteten, konnte man die Straße kaum erkennen, so dicht fiel inzwischen der Schnee.
Yassir Hossein schaute hinüber zu dem Fahrer, der eine übelriechende Zigarette der Marke Belomorkanal im Mundwinkel hängen hatte, auf deren langem Filter er mit offensichtlichem Genuss herumkaute. Dabei saß er völlig entspannt hinter dem Lenkrad und blinzelte mit fast geschlossenen Augen hinaus in das wilde Schneegestöber.
Die Papiere waren in Ordnung, wie der Direktor es versprochen hatte. Nach einem ehrfürchtigen Blick auf die vielen Stempel, mit denen der Passierschein und die Frachtpapiere versehen waren, hatte die Wache am Haupttor seinen Besucherausweis entgegengenommen und salutierend den Weg freigegeben. Russen hatten ein beinahe erotisches Verhältnis zu behördlichen Stempeln – je mehr von ihnen ein Dokument trug, desto weiter kam man damit.
Die Fahrt dauerte auch unter diesen widrigen Umständen nur wenig mehr als eine Stunde. Von Osjorsk ging es auf einem Sträßchen, das bis vor einigen Jahren ausschließlich militärisch genutzt wurde, zu einem abgelegenen Parkplatz außerhalb der Regionshauptstadt Tscheljabinsk. Dort sollten die Fässer geleert werden. Wenn dies geschehen war, würde sich am Boden eines jeden Fasses ein metallener Zylinder von neunzig Zentimetern Länge und dreißig Zentimetern Durchmesser zeigen, dessen gefährlicher Inhalt Anlass für diese Unternehmung war. Diese neun Bleiröhren würden anschließend im doppelten Boden eines bereitstehenden Lastwagens verschwinden, der offiziell eine unverdächtige Ladung gebrauchter Maschinenteile, Hydraulikpumpen und sonstige Apparaturen transportierte, und dessen Bestimmungsort laut Frachtschein und Ausfuhrerklärung die Stadt Oral kurz hinter der Grenze zu Kasachstan war.
Aber sechs dieser neun Zylinder würden nie in Kasachstan ankommen. Obwohl sie dasselbe Ziel hatten, sollten sie nach wenigen Kilometern ein zweites Mal umgeladen werden und einen anderen Weg nehmen. Drei reisten über die Ukraine und Polen nach Dresden, die Übrigen sollten über Noworossijsk und das Schwarze Meer zunächst nach Athen verschifft werden.
Der Fahrer setzte den Blinker und bog in den einsamen Parkplatz ein. An dessen Ende wartete – unbeleuchtet und mit laufendem Motor - der Lastwagen, der die Ladung übernehmen sollte.
Der ganze Vorgang dauerte keine zehn Minuten. Der russische Fahrer sollte zurück zur Anlage fahren und den Wagen auf seinen Parkplatz stellen, nachdem er die leeren Fässer auf einer Müllhalde abgeladen hatte, die sich außerhalb des Werksgeländes befand.
Für den Vermittler, der weder Libanese noch Kanadier war, sondern ein Kuwaiter, war die lange Reise, die ihn in den vergangenen Wochen durch halb Europa und Teile Mittelasiens geführt hatte, beinahe zu Ende. Es war angerichtet, alles Weitere lag jetzt in den Händen derer, die er sorgfältig für diese Mission ausgewählt hatte.
Die beiden Männer, die diese Ladung übernahmen, waren ganz offenbar mittelasiatischer Herkunft. Sie würden an der Grenze zu Kasachstan nicht auffallen.
Kuljamin hatte ihn darauf hingewiesen, dass die Hüllen der Röhren sich erwärmen würden, was die Folge der Strahlung ihres Inhalts war. Man hatte aber die Mischung von stark, mittel und schwach aktivem Material so gewählt, dass die Erwärmung zu keinem Zeitpunkt sechzig Grad Celsius überschreiten würde.
Das war bei den ersten Grenzübergängen kein Problem; vor der Grenze zu Deutschland allerdings – das hatte der Direktor empfohlen – würde man die Röhren kühlen müssen, weil sie sonst von Wärmesensoren (die hauptsächlich zum Aufspüren von illegalen Grenzgängern benutzt wurden) entdeckt werden konnten. Ein oder zwei handelsübliche Zehn-Kilo-Säcke Eis wären genug, um den Zoll zu überlisten.
Die Überlebenschancen der Fahrer waren mäßig bis gering. Langwellige Strahlung würde mühelos die Hülle der Zylinder durchdringen und über die Atemluft oder durch Berührung in den Körper der Männer gelangen, akute schwere Strahlenkrankheit nach etwa drei bis vier Tagen wäre die Folge.
Der Vermittler, der das wusste, hatte diesem Umstand von Anfang an Rechnung getragen, indem er jeden Transport in mehrere Abschnitte unterteilt hatte; spätestens alle vier bis fünf Tage würden die Fahrer ausgetauscht und bezahlt werden. Dass sie ihren Lohn kaum mehr würden genießen können, stand auf einem anderen Blatt. Es gehörte zu einer solchen Unternehmung und war nicht zu vermeiden. Hätte man mehr Blei für die Herstellung der Röhren verwendet, wären sie so schwer geworden, dass ein einzelner Mann sie nicht mehr hätte tragen können.
Der Araber spielte kurz mit dem Gedanken, Kuljamins