Geschichten des Windes. Claudia Mathis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Mathis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197715
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Figur hatte.

      „Mutter, Ihr seid schwanger?“, fragte er überrascht.

      „Und du bist wieder da!“, sagte seine Mutter nur.

      „Arthur, hole sofort deinen Vater und deine Geschwister! Jaimie, schaffe deine Sachen nach oben. Wenn alle da sind, kannst du erzählen. Ich bin schon so gespannt auf deine Geschichte.“

      Ihre beiden Söhne gehorchten und entfernten sich aus der Küche. Doch bevor Jaimie in den oberen Stock ging, half er noch seiner Mutter, die herumliegende Wäsche einzusammeln. Als Jaimie weg war, machte Fiona etwas zittrig Wasser für eine Suppe warm.

      Arthur rannte unterdessen zu den Stallungen, weil er hoffte, dort den Rest seiner Familie anzutreffen. Und er hatte Recht gehabt. Tevin, Rory und Shona misteten gerade die Ställe aus.

      „Vater, Jaimie ist wieder da!“, rief Arthur außer Atem. Tevin und seine zwei Kinder schauten erstaunt von der Arbeit auf, ließen alles stehen und liegen und rannten ohne ein Wort nach Hause. Zum Glück war Shona noch so geistesgegenwärtig, dass sie die Boxen der Pferde schloss.

      „Wo ist er?“, hörte Fiona ihren Mann rufen, bevor er ins Haus polterte. Rory, Shona und Arthur folgten ihm auf dem Fuße.

      Jaimie, der gerade wieder von oben herunterkam, sah die Miene seines Vaters und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Doch Tevin hatte ihn bemerkt, trat mit großen Schritten durch die Küche und zog seinen Sohn unvermittelt am Ohr.

      „Au!“, schrie Jaimie und versuchte, sich aus dem schmerzenden Griff zu befreien. Doch das gelang ihm nicht.

      „Was hast du Bursche dir dabei gedacht?! Uns solche Sorgen zu bereiten! Und ganz besonders deiner Mutter, die alles für dich gemacht hat! Du undankbarer Junge!“

      Tevin nahm seine rechte Hand von Jaimies Ohr und erhob sie zum Schlag. Es wäre eine saftige Ohrfeige geworden, wenn nicht Fiona dazwischen gegangen wäre.

      „Lass den Jungen, Tevin! Willst du ihn gleich wieder davonjagen? Jetzt, wo er endlich wieder da ist! Kommt, lasst uns gemeinsam zu Abend, als wieder vollständige Familie.“

      Fiona machte sich daran, das Essen weiter vorzubereiten. Tevin ließ Jaimie los und grummelte etwas Unverständliches.

      Bis jetzt hatten sich Rory und Shona im Hintergrund gehalten. Doch nun, als die Gefahr vorüber war, rannten sie zu Jaimie und umarmten ihn stumm. Sie waren von ihren Gefühlen überwältigt. Auch Jaimie sagte nichts. Er war noch zu sehr von der Auseinandersetzung mit seinem Vater eingeschüchtert.

      Als dann alle am Tisch saßen, ging es wieder lebhaft wie immer zu. Jaimie war der Mittelpunkt des Geschehens und erzählte mit zahlreichen Unterbrechungen durch seine neugierigen Zuhörer, was er in den letzten vier Jahren erlebt hatte.

      Ein Mitglied der Familie war besonders glücklich über die Rückkehr Jaimies: Rory. Er hoffte nun, dass er doch nicht Stallmeister werden musste, sondern sein großer Bruder - wie es eigentlich geplant war.

      ***

      Sean hingegen machte sich etwas enttäuscht auf den Weg zu seiner Großmutter. Ihr ging es zum Glück besser, so dass sie wieder Besuch empfangen konnte. Sean war sehr froh darüber und hatte seine regelmäßigen Besuche wieder aufgenommen. Doch obwohl er vor Neugier platzte, zu erfahren, wie es mit der Belagerung weitergegangen war, fragte er seine Großmutter nicht mehr danach. Zu groß war seine Angst, dass die Erinnerung daran sich wieder schlecht auf ihren Gesundheitszustand auswirken könnte.

      Zu seiner großen Freude saß Kendra aufrecht in ihrem Bett, löffelte eine dampfende, wohlriechende Suppe und lächelte fröhlich, als er ihr Zimmer betrat.

      „Hallo, mein lieber Junge. Du kannst jetzt gehen, Senga.“

      Bei diesen Worten knickste Kendras Zofe kurz, nahm ihrer Herrin vorsichtig die Schüssel ab und verließ leise das Gemach. Kendra wandte sich wieder ihrem Enkel zu.

      „So Sean, du willst sicher erfahren, wie es mit der Belagerung weiterging, oder?“

      Sean konnte sein Glück kaum fassen und nickte eifrig.

      „Wo war ich letztes Mal stehen geblieben?“

      „Die Bewohner sollten in der Nacht nach Stonehaven fliehen.“

      Kendra überlegte. „Gut. Es waren noch ein paar Stunden Zeit, bis es dunkel sein würde. Einige der Bewohner überlegten, was sie bei der Flucht mitnehmen sollten, doch andere waren der Meinung, dass es zu gefährlich war, noch einmal die Behausungen aufzusuchen. Es wurde heftig diskutiert und am Ende einigten wir uns, dass wir nichts holen konnten, sondern nur die Dinge, die wir bei uns hatten, mitnehmen durften.

      Die Frau des Pastors hielt sich als Einzige nicht an die Abmachung und holte die Reichsinsignien aus dem Keller unter dem Palais. Sie ließ sich nicht davon abhalten und schlüpfte bei vollem Beschuss aus der Kapelle, um nach kurzer Zeit mit einem schweren Bündel in der Hand wiederzukommen. Eine mutige Frau.

      „Ich habe von ihr gelesen, ihre Tat war sehr bedeutend für Schottland“, ergänzte Sean.

      Kendra nickte und fuhr fort: „Das größte Problem für die Flucht stellten die gebrechlichen Leute dar. Wenn man den Pfad zum Meer nehmen will, muss man laufen können, wie du weißt. Die Säuglinge und kleinen Kinder würden getragen werden, das war klar, aber was sollte mit den fußlahmen Alten geschehen? Wir wussten keinen Ausweg. Es betraf fünf alte Menschen, darunter deine Urgroßmutter Ivera.“

      „Oje, das ist schlimm. Was wurde schließlich gemacht?“, fragte Sean mitfühlend.

      „Ach, mein Junge. Am Abend kam noch einmal Hamish zu uns und wir fragten ihn, was wir tun sollten. Er sah auch keinen anderen Ausweg, als diese Menschen auf der Burg zu lassen. Er wollte Männer einteilen, die nach ihnen schauen sollten, aber das war kein großer Trost für uns. Die fünf alten Menschen waren sehr tapfer und gaben uns zu verstehen, dass sie sich ihrem Schicksal fügen wollten, doch ich sah die Angst in jedem einzelnen von ihnen. Ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu meiner Schwiegermutter Ivera, aber so eine grässliche Zukunft wünschte ich ihr auf keinen Fall und sie tat mir sehr leid.“

      Kendra machte eine andächtige Pause und fuhr dann fort. „Weiterhin mussten wir klären, an wen wir uns wenden konnten, wenn wir sicher in Stonehaven angekommen wären. Die meisten Burgbewohner hatten Freunde oder Verwandte dort, doch was sollte mit mir und meiner Familie geschehen? Ich kannte niemanden in Stonehaven.“

      „Wo kommt Ihr eigentlich her, Großmutter?“

      Kendras Blick wurde weicher.

      „Meine Familie stammt vom Leslie-Clan ab, ich bin in Inverurie12 geboren und aufgewachsen.“

      „Wo liegt das?“

      „Im Landesinneren, dort wo der Fluss Urie in den Don fließt. Es ist wunderschön dort.“

      Sie blickte in die Ferne.

      „Aber nun weiter mit der Frage, wo wir in Stonehaven wohnen sollten. Es war Ivera, die uns mitteilte, dass sich das Haus ihrer Vorfahren in Stonehaven befindet, und erklärte uns den Weg dorthin. Ich war dankbar und bestürzt zugleich, da wir sie selbst nicht mitnehmen konnten.

      In der Abenddämmerung kamen vereinzelt unsere Männer zu uns, um sich von uns zu verabschieden, doch dein Großvater war nicht dabei. Ich machte mir große Sorgen, ob ihm etwas zugestoßen sei, und wurde immer verzweifelter. Hatte mir Hamish den Tod seines Sohnes verschwiegen? Als schon einige aufbrechen wollten, platzte ich fast vor Ungeduld und Entsetzen. Dann kam er doch, mein Aidan, und ich war in diesem kurzen Augenblick tatsächlich glücklich. Doch dann durchfuhr es mich wie ein Blitz. Dies war der Abschied von meinem geliebten Gefährten und ich wusste nicht, wann oder ob ich ihn wiedersehen würde. Ich konnte meine Gefühle nicht verbergen und schluchzte in seinen Armen. Unsere beiden Söhne fragten verständnislos, warum ich so traurig sei und Aidan versuchte, es ihnen zu erklären.

      Dann mussten wir aufbrechen. Zum Glück ist es von der Kapelle nicht weit bis zum hinteren Tor, an dem der steile, schmale Pfad beginnt. Da es die vom Festland