Geschichten des Windes. Claudia Mathis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Mathis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197715
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Dafür mussten wir viel Holzkohle brennen. Die Insel verfügte über ausreichend Lebensmittel und generell gute Lebensbedingungen. So konnten sich unsere erschöpften und kranken Seeleute wieder vollständig erholen.

      Die Insel war komplett bewaldet und verfügte über allerhand merkwürdiges Getier. So gab es unzählige Fledermäuse, welche teilweise größer als ausgewachsene Hühner waren und eine erstaunliche Geschwindigkeit aufzeigten. Es sah seltsam aus, wie sie in Trauben kopfüber an den Bäumen hingen.

      Ebenso große Mengen fanden wir auch von Riesenkrebsen, die so groß waren, dass bei einer Mahlzeit vier hungrige Männer allein von einem Tier satt wurden. Sie wohnten an Land und hatten Baue so ähnlich wie Kaninchen. Wegen diesen Tieren nannten wir unseren derzeitigen Aufenthaltsort die Krebsinsel.

      Aber die für mich erstaunlichsten Lebewesen waren leuchtende Würmer, die nachts als feuriger Schwarm durch die Luft flogen. Ich hatte vorher noch nie leuchtende Tiere gesehen und die glitzernde Pracht faszinierte mich…“

      Hier hatte Sean etwas zu sagen: „Diese Würmer würde ich gern einmal sehen. Stell dir vor: sie fliegend und leuchten! Aber jetzt hör zu: es wird noch spannender.“

      „…Nun komme ich zum interessantesten Teil meiner Reise. Als ich nämlich eines Tages wieder einmal beim Holz holen war, entdeckte ich eine Höhle am Meer. Mir hatte die Felsformation gut gefallen und deshalb bin ich etwas auf den Felsen herumgeklettert. Neugierig ging ich in die Höhle hinein, soweit das Tageslicht mir leuchtete. Ich wollte bereits umkehren, weil es doch zu dunkel wurde, da spürte ich etwas Hartes an meinem rechten Fuß. Erschrocken trat ich einen Schritt zurück. Doch da es sich nicht bewegte, näherte ich mich dem Gegenstand wieder. Es war eindeutig kein Felsen. Ich blinzelte, damit ich besser sehen konnte und erkannte schließlich, dass es sich um eine große Truhe handelte.

      Ich machte mich gleich daran, sie zu öffnen. Zum Glück war das Schloss so verrostet, dass es nach einiger Mühe doch aufging. Als ich den schweren Deckel öffnete, erschrak ich. Die Truhe war bis oben hin mit Goldmünzen gefüllt! Mir wurde gleichzeitig heiß und kalt. Automatisch fing mein Gehirn an zu arbeiten. Was sollte ich nur mit dem ganzen Gold machen?

      Ich hatte keine Lust, es durch so viele Teile zu teilen, wie wir Männer auf dem Schiff waren. Also entschloss ich mich nach langem Hin und Her schweren Herzens, mir die Lage zu merken (1 Grad und 40 Minuten südliche Breite) und irgendwann noch einmal herzukommen. Ich war noch jung, meine Hoffnung darauf war groß. Ich versuchte, die Truhe noch ein Stück weiter in die Höhle zu schieben, aber sie war viel zu schwer! Nachdem ich mir eine Handvoll der Münzen in die Tasche gesteckt hatte und mir schwor, sie keinem Menschen zu zeigen, trat ich den Rückweg an, bei dem ich mich ständig umdrehte, um mir alles genau einzuprägen…“

      Sean erinnerte sich an den Abend, als er das erste Mal von dem Schatz gelesen hatte und ein wohltuender Schauer durchfuhr ihn.

      „Ein Schatz! Es wird ja immer besser!“, frohlockte Arthur. „Hat er die Lage der Höhle noch näher beschrieben?“

      „Ja, ziemlich ausführlich sogar“, antwortete sein Freund und las ihm die Beschreibung vor. Arthur staunte und versuchte, sich die Felsen und die Höhle vorzustellen. Dann las Sean weiter.

      „…Ich ließ mir bei meinen Kameraden wegen des Schatzes nichts anmerken, was eine große Herausforderung für mich war. Nachdem wir alles repariert und wieder das Nötigste geladen hatten, stachen wir erneut in See. Wir hatten eine lange Fahrt ohne Land vor uns, wir überquerten nämlich den Indischen Ozean. Zum Glück gelangten wir ohne größere Gefahren und Zwischenfälle zum Kap der Guten Hoffnung im Süden Afrikas. Dann segelten wir die Westküste des schwarzen Kontinents hinauf bis nach Sierra Leone. Und weiter ging es zu den Kanarischen Inseln.

      Nach zwei Jahren, zehn Monaten sowie vielen Strapazen und Verlusten kamen wir am 26. September im Jahre 1580 wieder in unserem Heimathafen Plymouth an. Unser Kapitän wurde bei unserer Ankunft als Nationalheld gefeiert. Er genoss zu seiner großen Freude Ruhm in ganz Europa. Francis Drake wurde sogar 1581 Gastgeber der englischen Königin!

      Ich hatte mich während der Fahrt vom Schiffsjungen zum 1. Steuermann des Kapitäns hochgearbeitet und bin ein guter Freund von Francis geworden. Dieser legte ein gutes Wort für mich beim Gesandten der Königin ein und so durfte ich zu meinem großen Erstaunen mit zu dem Treffen kommen. Ich war sehr aufgeregt!

      Fast ohnmächtig vor Stolz betrat ich am 4. April mit Francis die Kapitänskajüte der Golden Hind und wartete auf Ihre Majestät, die Königin von England. Als Ihre Hoheit die Kajüte betrat, kniete ich mich etwas unbeholfen nieder, mein Freund weitaus geschickter neben mir. Königin Elisabeth I. sprach ein paar huldvolle Worte und zückte plötzlich ein Schwert. Sie schlug uns beide zum Ritter! Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte und stammelte irgendetwas Unverständliches. Mit zitternden Knien erhob ich mich wieder und traute mich nicht, in ihr Hohes Antlitz zu schauen. An diesem Abend haben wir ausgiebig gefeiert.

      Sir Francis Drake, der durch seine Weltumseglung reich geworden war, (unter anderem weil wir unterwegs spanische Schiffe gekapert hatten), kaufte sich das Anwesen Buckland Abbey in Devonshire und wurde ein Landedelmann. Ich besuchte ihn einige Male dort und bin dann...“

      Und dann ist eine Seite herausgerissen worden, ich würde so gern wissen, wie es weitergeht“, sagte Sean nachdenklich.

      „Was? Es fehlt eine Seite? Zeig mal her.“

      Sean reichte Arthur das Buch und dieser untersuchte es genau.

      „Weiter hinten steht noch etwas geschrieben. Hast du das auch gelesen?“

      Sean antwortete aufgebracht: „Natürlich! Aber das ist nicht so spannend. Irgendwelche Gedanken über das Leben.“

      „Schade“ sagte Arthur und gab Sean das Buch zurück.

      Dann schwiegen beide Jungen eine Weile betreten. Die Geschichte hatte sie vollkommen gefesselt. Viele Fragen schwebten im Raum, eine drängte sich dabei in den Vordergrund. Arthur sprach sie schließlich aus:

      „Ob er den Schatz jemals geholt hat?“

      „Ich weiß es nicht. Ich würde zu gerne zu dieser Insel fahren und danach suchen“, entgegnete Sean.

      Arthur nickte und fragte: „Weißt du, wer das Buch geschrieben hat?“

      „Keine Ahnung. Wie kommt ein handgeschriebenes Buch in die Bibliothek?“

      „Hm, wie heißen denn deine Ahnen? Es muss jemand sein, der im 16. Jahrhundert gelebt hat“, entgegnete Arthur.

      „Ich kenne niemanden mit diesen Initialen. Ein Rätsel, dass ich wohl nie lösen werde.“ Sean ließ enttäuscht den Kopf hängen.

      „Wer weiß?“, sagte Arthur aufmunternd.

      Die zwei Freunde hatten bei ihrem Ausflug in die Vergangenheit völlig die Zeit vergessen. Draußen wurde es bereits dunkel und Sean musste nach Hause. Behutsam steckte er das Buch in seine Jacke, verabschiedete sich von Arthur und seiner Familie, zog seine Wintersachen an und ritt heim zum Palais.

      Beide Jungen träumten in dieser Nacht vom Seefahren und vom Schatz finden.

      Vier

      - 1690 -

      Das neue Jahr begann genauso eisig wie das alte aufgehört hatte. Bis weit in den April hinein plagte der Winter die Bewohner der schottischen Highlands.

      Sean und Arthur nutzten die Zeit im Haus, indem sie gemeinsam Bücher lasen, denn das Thema Meer und Seefahrt ließ sie nicht mehr los. Sie suchten alle Bücher aus der Bibliothek heraus, die irgendetwas damit zu tun hatten. Sean war wieder einmal fasziniert davon, welche Vielzahl an Büchern sein Vorfahre gesammelt hatte.

      Beiläufig fragte er seinen Freund eines Tages: „Was ist das nun eigentlich für ein Stein an deinem Hals? Warum machst du so ein großes Geheimnis darum?“

      Der glänzende, rötliche Stein war Arthur immer wieder einmal aus dem Kragen gerutscht und Sean hatte ihn dann kurzzeitig bewundern können. Wenn er ihn danach fragte,