Wenn nichts ist, wie es scheint. Angelika Godau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Angelika Godau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754146620
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was ich mir davon versprach. Hätte ich auch nur geahnt, welche Kette von Ereignissen ich damit lostreten würde, ich hätte Alli ignoriert und einfach weitergeschlafen.

      -2-

      Max Bergmann ging absichtlich sehr früh joggen. Er mochte diese menschenleeren Straßen, wenn die Luft noch sauber war und wie frisch gewaschen wirkte. Vor allen Dingen mochte er die Ruhe. Das war etwas, wonach er sich sehnte, wovon er nie genug bekam. Unter der Woche, an seiner Maschine in einer metallverarbeitenden Fabrik, trug er sogar Kopfhörer, auch wenn seine Kollegen sich darüber lustig machten. Leider musste er die nach Feierabend absetzen, obwohl er sich so manchen Abend wünschte, er könnte sich darunter vor der lauten, vorwurfsvollen Stimme seiner Frau verstecken. Regina beklagte sich ständig über irgendwas. Ihr ganzes Leben schien eine Aneinanderreihung von Ereignissen zu sein, die nur dazu gemacht waren, sie zu kränken. Ihr Chef war ungerecht, bevorzugte immer die anderen, obwohl sie doch die einzige war, die in dem Laden wirklich arbeitete. Ihre Kolleginnen waren allesamt intrigante, selbstsüchtige Weiber, die nur ihren eigenen Vorteil im Auge hatten. Jeden Abend, wenn er nach Hause kam, schien sie bereits hinter der Tür auf ihn zu warten, um ihn sofort mit einem Schwall aus Klagen und Vorwürfen zu überschütten. Seit drei Jahren ging das nun schon, einzig Micky, der Hund, vor zwei Jahren aus dem Tierheim geholt, schien von ihrer Unzufriedenheit ausgenommen. Er machte niemals etwas falsch, er durfte alles, bekam alles, ihn überhäufte sie mit der Zärtlichkeit, die sie ihm verweigerte.

      Früher war das anders gewesen. Früher, das klang, als wäre es eine Ewigkeit her, dabei waren sie gerade einmal sieben Jahre verheiratet. Sie hatten sich bei einer Veranstaltung im Rosengarten kennengelernt, waren ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie beide aus dem Norden der Republik stammten und den hier üblichen Dialekt nur rudimentär beherrschten. Sie hatten viel gelacht an diesem Abend, immer weitere gemeinsame Interessen entdeckt und sich bis über beide Ohren ineinander verliebt. Negative Erfahrungen, die sie beide bereits gesammelt hatten, wurden ausgeblendet und sie heirateten drei Monate nach ihrem Kennenlernen. Von wem diese Eile ausgegangen war, wusste er nicht mehr genau, er erinnerte sich aber daran, dass er sehr erleichtert gewesen war, die „Richtige“ endlich gefunden zu haben. Natürlich hatte er fest daran geglaubt, dass ihre Gefühle füreinander ewig währen würden. Ein einziger Abend, ein einziger Fehler, hatte alles verändert. Sein Fehler, und darum ertrug er ihre Launen, ihre Stimmungsschwankungen, ihre abweisende Haltung ihm gegenüber, mehr oder weniger klaglos. Es war eine Art Buße, die er sich auferlegt hatte, auch wenn er sich manchmal fragte, ob das nicht zu viel Leiden war für das, was er getan hatte. Etwas, das außerdem bereits vier Jahre her war und sich niemals wiederholen würde. Auf der Weihnachtsfeier der Firma hatte er, ganz entgegen seiner Gewohnheit, ein bisschen zu viel getrunken. Fröhlicher und offener als gewöhnlich hatte er mit der einen oder anderen Kollegin sogar ein bisschen geflirtet. Als gegen Mitternacht ausgerechnet Carola, auf die alle Männer im Betrieb abfuhren, mit ihm tanzte und sich in einer Art und Weise an ihn presste, die ihn ebenso verwirrte wie reizte, hatte er den Zeitpunkt verpasst, das gefährliche Spiel zu beenden. Sie hatten weiter getanzt, viel zu eng aneinandergedrückt, zwischendurch zu viel getrunken und das Verhängnis hatte endgültig seinen Lauf genommen. Seine einzige, klägliche Entschuldigung war, dass die Initiative allein von ihr ausgegangen war. Sie war es, die seine Hand genommen und ihn zum Parkplatz gezogen hatte. Sie war es auch, die seinen halbherzigen Einwand, er müsse jetzt nach Hause, lachend übergangen hatte und sich dann im Auto sofort den Pulli über den Kopf gezogen und seine Hose geöffnet hatte. Natürlich hätte er es verhindern, sich wehren müssen, nein sagen, schließlich war er glücklich verheiratet, aber er hatte geschwiegen. Stumm und verwirrt über das, was ihm da passierte, hatte er die Augen geschlossen und Carola gewähren lassen. Nicht einmal über eventuelle Folgen dieser ebenso spontanen wie völlig ungeschützten Nummer hatte er sich noch Gedanken gemacht, einfach nur den Augenblick genossen. Zumindest so lange, bis Reginas Gesicht am Autofenster aufgetaucht war. Den Ausdruck ihrer Augen würde er sein Leben lang nicht vergessen und das, was sie später gesagt hatte, auch nicht.

      „Nichts wird je wieder so sein, wie es war“, hatte sie erklärt und seine Entschuldigungen und Beteuerungen mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht. „Das wirst du bereuen. Ich werde dir niemals verzeihen, niemals, verstehst du und wenn ich 100 Jahre alt werde. Du weißt ja, ich bin Skorpion, die vergessen nie, was man ihnen angetan hat.“

      Anfangs hatte er noch gehofft, darauf vertraut, dass sie sich doch geliebt hatten, dass seine Frau mit der Zeit wieder zu ihm zurückfinden würde, aber es vergingen Monate und schließlich Jahre, ohne dass sich etwas geändert hätte. Da war er in seiner Verzweiflung auf die Idee mit dem Hund gekommen. Ihm war eingefallen, wie sehr sie sich ein Haustier gewünscht hatte, früher, als sie noch miteinander sprachen.

      „Damit bist du immer angebunden, kannst nie etwas spontan entscheiden. Außerdem stinken die und haaren die Wohnung voll“, waren seine Argumente dagegen gewesen. „Außerdem, wenn wir erst Kinder haben, wirst du bestimmt froh sein, nicht obendrein für einen Hund sorgen zu müssen. Nein, nein, lass uns das auf später verschieben.“

      Wenn er ehrlich mit sich selbst war, musste er aber zugeben, dass er nur ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuwendung behalten, und nicht mit einem Tier teilen wollte.

      Heute wäre er schon mit der Hälfte an Zuwendung zufrieden gewesen, und so war er ins Tierheim gefahren und hatte sich aus den vielen angebotenen Kandidaten Micky ausgesucht. Warum? Weil er sich eingebildet hatte, in seinen Augen die gleiche Einsamkeit zu sehen, unter der er litt. Wie jeden Tag hatte Regina hinter der Tür auf ihn gewartet, um ihn mit ihren Klagen zu empfangen, aber die hatte sie alle vergessen, als sie Micky sah. Ab diesem Moment hatte sie sich verändert, ihre Stimme bekam wieder einen liebevollen, ja zärtlichen Klang. Leider galt das nicht ihm, sondern ausschließlich dem Hund. Für ihn änderte sich nichts, auch wenn er es immer wieder versuchte, immer wieder beteuerte, zu bereuen, was er getan hatte. Heilige Eide auf das Leben seiner Mutter schwor, es niemals wieder zu tun und alles dafür geben zu wollen, es ungeschehen machen zu können. Sie hörte zu, nickte und machte weiter wie bisher. Später hatte er mit Trennung, sogar mit Scheidung gedroht, ihr vorgeworfen zu übertreiben, Freude daran zu haben, ihn zu quälen. Sie hatte es hingenommen, kein Wort der Verteidigung, geschweige denn der Versöhnung war von ihr gekommen. Sie hatte den Hund an sich gedrückt und war aus dem Zimmer gegangen. In ihr eigenes, denn ein gemeinsames Schlafzimmer gab es schon lange nicht mehr, aus dem war sie noch in dieser verhängnisvollen Nacht ausgezogen. Und dann war Micky tot. Feige mit einem dieser schrecklichen Giftköder ums Leben gebracht, und natürlich war auch das seine Schuld. Er war es, mit dem er den letzten Spaziergang seines Lebens gemacht hatte. Er war es, der nicht aufgepasst, zugelassen hatte, dass der Hund etwas auf der Straße Gefundenes fraß. Regina wäre das nie passiert, sie ließ ihren Hund nicht eine Sekunde aus den Augen. Sie hatte ihm den Hund ohnehin nur wegen einer schweren Migräne anvertraut, und dann war Micky tot. All diese Anklagen hatte sie ihm noch im Auto entgegengeschrien, kaum, dass sie die Praxis der Tierärztin verlassen hatten. Umso verblüffter war er, als er jetzt die Wohnungstür öffnete und Regina singend in der Küche stehen sah. Er rieb sich die Augen, glaubte zu halluzinieren, aber das Bild blieb das gleiche.

      „Hallo Max“, unterbrach sie ihren Gesang und wandte sich ihm zu. „Warst du schon so früh joggen? Ich dachte, wir könnten zusammen frühstücken und später auf den Markt gehen. Ich habe Lust uns heute Abend etwas zu kochen. Geh duschen, die Eier sind gleich fertig.“

      Er war perplex, konnte sein Glück kaum fassen, beeilte sich aber, ihr zuzustimmen. „Ja, ich war laufen, es ist so schön draußen. Natürlich, wenn du willst, gehen wir auf den Markt. Ich bin gleich wieder da, ich beeile mich.“

      Fünf Minuten später saß er Regina am Frühstückstisch gegenüber und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er löffelte sein Ei, lobte die perfekte Konsistenz, erwähnte den guten, starken Kaffee und kam sich wie ein kompletter Idiot vor. Er sprach mit der Frau, mit der er seit sieben Jahren verheiratet war und fühlte sich wie ein Schuljunge. Regina tat nichts, seine Befangenheit zu beenden, sie aß und trank … und schwieg.

      „Ähm, was wolltest du denn heute Abend kochen?“, nahm er einen erneuten Anlauf und nach einer Weile sagte sie: „Oh, ich hatte an Frikadellen und Kartoffelpüree gedacht. Mit vielen gebratenen Zwiebeln obendrauf, so wie