Der schottische Lord. Kerstin Teschnigg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin Teschnigg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754177068
Скачать книгу
Ihre Pflege war augenscheinlich aufopfernd. Sie ist aufgelöst und außer sich. Er war alles für sie, das merke ich schon nach ein paar Sätzen. Das bestätigt mir auch, dass sie ihn keinesfalls umgebracht hat. Selten war mir etwas so klar, ohne es wirklich zu wissen. Diese Frau kann gar niemandem etwas antun. Sie ist unbeschreiblich fürsorglich und liebevoll. Auch wenn ich bis jetzt kaum etwas von ihr weiß, ich kenne niemanden der so ist wie sie.

      „Ich dachte er könnte wieder gesund werden, auch wenn das unmöglich war.“ Ihre Stimme wird immer leiser. „Es war am Tag vor seinem Geburtstag.“

      „Was ist passiert?“, frage ich vorsichtig nach.

      „Wir haben Kuchen gebacken“. Sie schließt ihre Augen, Tränen lösen sich. Ich weiß nicht was ich tun soll, ich möchte nicht das sie weint und doch glaube ich es ist gut, wenn sie spricht. „Er hat mir geholfen. Haselnuss-Karottenkuchen mit Zitronenglasur.“ Sie lächelt kurz, die Tränen tropfen auf ihre Hose.

      „Das klingt doch hervorragend“, lächle ich auch.

      „Ja…Hätte er nicht eine Nussallergie gehabt.“ Sie legt ihre Hände vors Gesicht und beginnt zu schluchzen. Überfordert ziehe ich sie weg und versuche ruhig zu bleiben.

      „Nussallergie?“

      „Ja. Die hat sich scheinbar durch seine Krankheit entwickelt haben mir die Ärzte erklärt. Es war nie die Rede von irgendwelchen Allergien, auch seine Eltern wussten nichts davon…Sonst hätte ich das doch nicht gemacht…“ Sie schnappt nach Luft. „Wir waren allein zu Hause. Theos Mutter war einkaufen für die Party am nächsten Tag. Wir hatten so viel Spaß. So viel Spaß…“ Wieder schließt sie kurz ihre Augen, bevor sie weiterspricht. „Dann wurde er auf einmal ganz still. Vielleicht habe ich zu spät reagiert…Ich weiß nicht…“ Sie sieht mich kopfschüttelnd an. „Er lief ganz blau an und bekam keine Luft mehr. Ich war komplett panisch und versuchte alles richtig zu machen. Ich griff in die Küchenlade und holte ein kleines spitzes Messer heraus und führte einen Luftröhrenschnitt durch. Ganz ohne nachzudenken habe ich den Schnitt gesetzt. Einfach so. Dann bekam er zwar wieder so lange Luft, dass ich den Notarzt rufen konnte, aber ich hätte das nicht tun dürfen. Ich bin nur Krankenschwester, keine Ärztin. Ich habe meine Kompetenzen überschritten.“

      Ich kann nicht fassen was sie erzählt. Ich kann diese Frau einfach nicht fassen. Es ist unglaublich. Ich kenne niemanden der so ist wie sie. Absolut niemanden. „Einen Luftröhrenschnitt?“, frage ich ungläubig nach.

      Sie nickt. „Ich habe das sooft im Krankenhaus gesehen. Ich wusste nicht was ich sonst machen hätte sollen, er bekam doch keine Luft mehr.“

      Jetzt ist der Moment in dem ich tausend prozentig weiß, dass sie die einzig richtige Wahl für die Pflege meines Vaters war. Jetzt ist der Moment in dem ich sie einfach gerne in den Arm nehmen würde, doch das würde zu weit gehen, darum greife ich nur nach ihrer Hand. „Du hast ihn nicht umgebracht, du hast ihm das Leben gerettet.“

      „Er hat es aber trotzdem nicht geschafft“, flüstert sie tränenerstickt.

      „Du hast alles richtig gemacht Holly. Es gibt keinen Grund dir dafür Vorwürfe zu machen. Macht dir deswegen jemand Vorwürfe?“

      „Nein…“, stammelt sie. „Aber ich habe dieses Kind geliebt Tavis. Er hätte noch leben können.“

      Ich amte durch. Geliebt. Sobald Liebe im Spiel ist, tut es weh. Immer.

      „Die Liebe tut weh Holly. Immer. Wenn du liebst, ist das mit Schmerzen verbuchen.“

      Sie sieht mich ungläubig durch ihre verweinten Augen an.

      „Dein Mann, du bist doch verheiratet? Warum bist du hier? Weil er dir wehgetan hat, oder?“

      Sie senkt ihren Blick und nickt zaghaft.

      „Siehst du. Meine Frau. Schwanger von einem anderen Mann. Der Junge, gestorben – ohne Vorwarnung. Meine Mutter hat meinen Vater verlassen als er sie am meisten brauchte. Er hat es nie überwunden. Die Liebe ist ein Zustand.“ Ich meine sehr ernst was ich sage.

      „Liebst du deine Frau denn nicht?“, fragt sie nach.

      Seufzend atme ich durch. Liebe ich meine Frau? Mit so einer direkten Frage habe ich nicht gerechnet und ich bin mir auch nicht sicher ob ich sie beantworten kann wie sie es hören will.

      „Kendra war meine erste richtige Freundin. Sie war das schönste Mädchen weit und breit und es war unbeschreiblich sie zu erobern. Dann studierte ich in den USA und vergaß sie für einige Zeit. Ich habe wirklich alles Mögliche ausprobiert und wurde mit nichts und niemandem glücklich. Es war eine schlimme Zeit. Als ich zurück kam wusste ich, sie ist die Frau die ich heiraten muss um Ruhe zu finden. Ich hege eine tiefe Verbundenheit zu Kendra, aber sie ist hier nicht glücklich und ich habe die Ruhe die ich gesucht habe bis heute nicht gefunden.“

      Während ich noch spreche wird mir klar, dass ich Dinge sage, die sie nichts angehen und von denen ich nicht will, dass sie sie weiß.

      „Ich weiß, dass es die wahre Liebe gibt. Ganz bestimmt“, meint sie und stopft sich unerwartet ein Stück Wurst in den Mund. Ihr hat das Gespräch wie es scheint geholfen. Sie sieht auf. „Aus dieser schlimmen Zeit hat du deine Narbe?“

      Gut. Das geht sie jetzt wirklich nichts an. Absolut nichts. Ich will nicht, dass sie mich so musternd ansieht, darum wende ich mich ab.

      „Darüber möchte ich nicht sprechen. Du würdest es nicht verstehen“, sage ich kühl.

      Sie sieht mich komisch an, darum stelle ich eine Frage, um von mir abzulenken.

      „Was war dann?“

      „Wann?“, fragt sie nach.

      „Nachdem das Kind gestorben ist.“

      Sie zuckt mit den Schultern. „Alles ist zusammengebrochen. Meine Arbeit. Meine Ehe. Mein Leben. Nichts war mehr wie zuvor. Ich bin in ein tiefes Loch gefallen und komme da nicht wieder heraus.“

      Langsam verstehe ich. Dieses tiefe Loch kenne ich nur zu gut. „Darum kein Alkohol und keine Tabletten?“

      Sie nickt. „Vor allem Tabletten. Ich habe es erst an einem Punkt gecheckt an dem es fast zu spät war. So tief will ich niemals wieder fallen.“

      Ich sehe sie an und will nicht mehr nachfragen. Sie hat viel durchgemacht, das spüre ich. Es wird eine andere Gelegenheit geben darüber zu reden. Für heute habe ich sie genug ausgefragt. Während ich sie so ansehe, habe ich plötzlich ein Bild vor Augen. Auf einmal fällt mir wieder ein, wie sie früher bei James auf Besuch war. Ich muss lächeln.

      „Was?“, meint sie und sieht mich fragend an, vermutlich weil ich so grinse.

      „Ich erinnere mich an ein Mädchen mit dunklen Locken und einem rotweiß gepunkteten Kleid. Ach ja, und weiße Turnschuhe.“

      Jetzt lächelt sie auch. Sei schüttelt belustigt den Kopf. „Wie kommst du denn darauf?“

      „Drüben bei Eliza und James, du hast vor dem Haus auf der Bank gesessen“, fällt mir ein.

      „Echt? Das ist dir gerade eingefallen?“

      „Ja, es sind die Haare.“ Inzwischen sind sie trocken geworden und sehen hammermäßig aus. Dichte dunkle Locken die glänzend über ihre Schultern fallen. Es steht ihr unglaublich gut, selbst im Pyjama und mit verheulten Augen sieht sie umwerfend aus. „Warum lässt du sie nicht so wie sie sind?“

      Sie streicht sich mit der Hand durch die Locken. „Sieht glatt besser aus“, stellt sie fest.

      Das kann ich absolut nicht teilen, denn ich finde sie sollte sie nie wieder glatt machen. Ich schüttle den Kopf. „Nein. So ist es besser. Viel besser.“

      Ihre Wangen röten sich ein bisschen, aber sie lächelt. Zum Glück. Auch das steht ihr viel besser als die Tränen von vorhin. Ich könnte noch ewig mit ihr reden und es gibt so vieles, dass ich über sie wissen will, doch es ist spät und sie sollte sich ausruhen nach ihrer Kopfschmerzattacke. Darum beginne ich aufzuräumen. Holly