»So, ich hab Sie Ihnen noch schön und bruchsicher verpackt«, holte Margret ihn aus seinen Gedanken, dann reichte sie ihm einen Karton, den sie in rot glänzendes Papier eingeschlagen und eine grüne Schleife darum gewickelt hatte.
»Das sieht wirklich toll aus, ich danke Ihnen«, sagte er erleichtert. »Auch für die nette Hilfestellung.« Sie winkte ab: »Ich hab zu danken, wir müssen ja noch zur Kasse«, erklärte sie und lachte leise. Natürlich. Sie freute sich bestimmt, dass sie die teure Flasche an ihn verkauft hatte. Der Whiskey hatte wirklich außergewöhnlich gut geschmeckt und allein die Beratung war es wert.
Er folgte ihr zur Kasse und reichte ihr seine Kreditkarte über den hölzernen Tresen. Dann kicherte sie, während der Kassenbon aus dem Gerät ratterte.
»Vielen Dank, Mr. Wilson.«
»Ich danke ihnen Mrs ...?«, er überlegte kurz.
»Magaret für sie«, sagte sie sanft und reichte ihm das Paket über die Theke.
»Vielen Dank, Magaret. Drücken Sie mir die Daumen? Ich könnte ein bisschen Glück gebrauchen.« Er nahm das Paket hoch.
Sie nickte. »Das wird schon. Möge der Weg euch zusammenführen, der Sturm euch nicht entzweien, und die Sonne wärme eure Herzen. Der Regen sei ein Segen für euch und die Welt. Seine Frische möge euch Glück bringen.«
Ryan war kein Fan von Schnulzen, aber der Spruch gefiel ihm gut. Am liebsten hätte er ihn aufgeschrieben. Wahrscheinlich kannte Cathy ihn längst und würde sich über ihn lustig machen. Sie behauptete immer, dass sie eine Irin war, die nur ein klitzekleines bisschen abergläubig sei. Das war sehr untertrieben. Sie hatte Glücks OP-Hauben, Glückssocken und Schuhe und wehe, er hatte am St. Patricks Day keine grüne Kleidung an.
»Danke Ihnen nochmal. Tut mir leid, dass Sie wegen mir länger geöffnet haben mussten und frohe Weihnachten!« Verabschiedete er sich als sie gemeinsam zur Tür gingen und sie hinter ihm das Schild umdrehte » Wie gesagt, ich hab Zeit. Gute Fahrt und Ihnen und Cathys Familie auch ein schönes Weihnachten«, Magaret lächelte ihm aufmunternd zu.
Als Ryan aus der Tür trat, regnete es und der Wind zupfte an seinen Haaren. Schnell schob er das Paket in seine Jacke, um es vor der Nässe zu schützen, und ging über den Parkplatz zum Auto. Dort verstaute er seine kostbare Fracht sicher. Bevor er den Motor startete, betrachtete er sich im Rückspiegel. Er hatte rote Wangen und sah wirklich aus wie ein junger Santa Claus. Grinsend wackelte er mit dem Kopf, damit das Glöckchen klingelte. »Ho, ho, ho, ich seh´ aus wie ein Idiot«, lachte er und verdrehte die Augen.
Dann stellte er im Navi die Adresse von Cathy ein und fuhr los. Er konnte es kaum erwarten, zu ihr zu kommen.
Während der Fahrt übte er das letzte Mal, was er zu ihrem Vater sagen wollte. Das tat er auch für wichtige Interviews. Auf dem letzten Stück verstummte er und summte nur noch leise die Weihnachtssongs mit. Wie Magaret vorhergesagt hatte, brauchte er zum Haus von Cathys Familie knapp über eine Stunde. Auf dem Weg dorthin hatte er sich mit einem Energiedrink von der Tankstelle wachgehalten. Und noch einen Blumenstrauß für ihre Mutter gekauft. Für Cathy hatte er ihre geliebten Toastwaffeln mit Zimt dabei. Bald teilte das Navi ihm mit, dass er in der Peter-Griffin-Street 5 angekommen war. Endlich hatte er das Haus gefunden. Es hatte einen großen Vorgarten, der von einer niedrigen Steinmauer umrahmt war. Ein Kiesweg führte zum Haus. Es hatte eine gelbe Fassade, sah nicht mehr ganz neu, aber sehr gepflegt aus.
Er parkte seinen Wagen neben einem grauen Kombi, nahm das Geschenk, die Blumen und die Toastwaffeln, die er an Flughafen schon aus dem Koffer gewühlt hatte. Er richtete sich die Santa Mütze und atmete tief durch. »Auf in den Kampf«, beschwor er sich selbst wie vor einem Spiel. Dann stieg er schwer bepackt aus, ging gegen den Wind kämpfend zum Haus und klingelte. Sein Herz schlug schneller. Es dauerte einen Moment, dann öffnete sich die Tür. Licht blendete ihn. Er blinzelte einmal, zweimal. Da stand doch nicht wirklich Magaret aus dem Whiskey Laden vor ihm?
»Magaret? Wie kommen Sie denn hier her?«, fragte er unsicher und blinzelte nochmal. Das konnte nicht wahr sein. Die alte Dame grinste nur verschwörerisch. Dann drehte sie sich um.
»Wir haben Besuch. Catherine, da ist ein netter Junger Mann für dich!«, rief sie und zwinkerte ihm zu. »Oh Gran, hast du wieder Pater O´Brian eingeladen?« Cathys Lockenkopf erschien im Flur. Sie hatte eine grüne Schürze umgebunden und hielt ein rot-weiß kariertes Küchenhandtuch in der Hand. Ihre Augen weiteten sich. Mit einem kreischen ließ sie das Handtuch fallen und stürmte durch den Flur, in dem es köstlich nach Weihnachten roch, auf ihn zu. »Ryan, Schatz, was machst du denn hier?«, lachte sie und warf sich in seine Arme. »Ich wollte Weihnachten nicht ohne Dich verbringen, Cathy«, antwortete er, zog sie an sich und schnupperte an ihren Locken. Ja, sie war die Richtige, da war er sich sicher, so sicher wie Irland grün war und er sich von mehr als einem Glas Whiskey übergeben musste.
Kathrine
Bianca Brepols
Der erste Schluck lief ihm die wohltuend die Kehle runter. »Wild Turkey«– seine liebste Whiskey-Sorte. Bourbon. Die hellgelbe Flüssigkeit leuchtete im Kerzenschein. Mehr Licht brauchte er nicht. Es war Heiligabend – und er war allein. Das erste Weihnachten ohne sie. Kathrine. Heute war es drei Monate her. Nachdem ihr Körper innerlich aufgefressen war, schlief sie abends ein und wachte nicht mehr auf. Jetzt war er allein auf der Farm - mitten in Kansas, dem »Sunflower State«.
Seine Söhne wollten keine Farmer werden. Also musste er, als sein Körper die Belastungen des Ackerbaus und der Viehzucht nicht mehr wegstecken konnte, die riesigen Felder verpachten und die Büffel verkaufen. Nur das Haupthaus und der Schuppen waren ihm geblieben. Dort befand sich sein liebstes Gefährt, der John Deere Modell 80 Diesel, gerade im Winterschlaf.
Heute hatte es geschneit. Das geschah nicht oft im Jahr. Knietief hatte er am Nachmittag in der weißen Pracht gestanden und auf seine ehemaligen Felder geschaut. Einmal Farmer, immer Farmer. Er vermisste die Arbeit mit den Tieren. Den Geruch von frischem Heu und Stroh. Der Bourbon erinnerte ihn daran.
Er blickte rüber zum Kamin. Das zweihundert Jahre alte Farmhaus besaß keine Heizung, keine Klimaanlage. Sie waren stets ohne Schnickschnack ausgekommen. Als Kathrine schwer erkrankte, kauften ihnen die Kinder ein schnurloses Telefon. Das einzige moderne Gerät in diesem Haus. Damit sie immer und überall nach Hilfe rufen konnten. Die nächsten Nachbarn wohnten eine Meile weit weg.
Jetzt lag es auf seiner Ladestation. Anrufe bekam er wenig. Viele seiner früheren Farmerkollegen waren verstorben oder weggezogen. Große Gesellschaften betrieben nun den »Brotkorb der USA«. Diese Entwicklung machte ihn traurig. Die Arbeit des Farmers wurde, seiner Meinung nach, immer weniger geschätzt.
Müde ging er die Treppen zu ihrem - jetzt seinem - Schlafzimmer hoch. Vorbei an der Wand, wo sein jüngster Enkel vor ein paar Jahren in einem unbeobachteten Moment seine »Kunst« direkt auf die Tapete brachte. Während die Eltern das Kind ausschimpften, hatte er gelacht und einen Holzrahmen um das Bild genagelt. Zu seinem Enkel sagte er, dass es das erste und letzte Bild sein würde, welches er ungebeten auf eine Wand malte.
Er zog sich um, putzte seine Zähne und legte sich ins Bett. Löschte das Licht und schlief ein. In dieser Nacht beschloss sein Herz, dass es Zeit war, Kathrine zu folgen.
Zwei Singles, ein Malt
Tobias Miller
Er half seiner blonden Begleitung galant aus dem schwarzen Mantel, bevor sie sich auf den Lederstuhl fallen ließ. Sofort war ich zur Stelle und nahm dem Gast das Kleidungsstück ab, um es an der Garderobe neben dem Eingang auf einen Bügel zu hängen. Ihr Haar verzierte den angerauten Stoff wie Goldfäden eine Uniform. Ich strich darüber und lächelte. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, verschwand ich hinter der Bar und bereitete den Aperitif vor. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich das Pärchen weiter. Die geröteten Lider der Dame verrieten eine schlaflose Nacht, die das Make-up nicht überdecken konnte. Doch der Lippenstift verlieh ihrem Lächeln eine Frische von Waldluft am Morgen. Nicht nur ich bemerkte