Single Malt Weihnacht. Matthias Deigner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Deigner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754925966
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findet sie aber das ewige Gebimmel der kleinen Glasglöckchen, die an ihrem Schwanzende angebracht sind. Am meisten Zeit nimmt aber das Umwickeln sämtlicher zweiundvierzig Blumentöpfe mit dünnem Weihnachtspapier in Anspruch. In sämtlichen Töpfen Amaryllis und Weihnachtsstern.

      Auch das neue weihnachtliche Sammelgebiet meiner Frau entwickelt sich erfreulich-erschreckend: Sie sammelt Trinkbecher aus Porzellan, die mittlerweile etwa fünfzehn Exemplare umfassende Sammlung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Wand der Becher plastisch ausgeformt ist, und natürlich – wie könnte es anders sein – jeweils einen pausbäckigen Weihnachtsmann darstellt. Als sie mir das neueste Exemplar zeigt, ist es gefüllt – mit einem Single Malt! »Prost mein Liebling!«, flötet mein Christkind.

      Mittlerweile haben wir den Ton der Haustürglocke vom wohlbekannten »Avon-Ding-Dong« auf das weihnachtliche »Jingle Bells« umgestellt. Unter dieser gravierenden Veränderung hat unsere Katze sehr zu leiden. Passend dazu habe ich den Briefkasten an der Gartenpforte ausgetauscht. Der übliche Kasten mit dem Posthorn muss dem »Weihnachtskasten« weichen: Die Front ist mit einem zauberhaften »Winter-Wonderland-Motiv« versehen.

      Zum zweiten Advent ist die Wohnung trotz dieser nur dezent und sehr gefühlvoll vorgenommenen Dekorationen nicht sofort wiederzuerkennen. Aber ich will auch etwas zur perfekten Weihnachtsstimmung beitragen und entwickele eine Schneeberieselungsanlage für das Wohnzimmer. Ähnlich einer Sprinkleranlage, kombiniert mit einer Gefrierzerstäubungstechnik, werden wir somit in den Genuss frischen Schnees vor dem Kaminofen kommen.

      Da werden sich dann auch die beiden Stroh-Elche ganz wohl fühlen. Zur Belohnung für meine Kreativität stellt mein liebstes Christkind mir ein Gläschen Schnaps hin – Single Malt natürlich. Ich genieße ihn.

      Kurz vor dem Fest kommt mir dann noch eine kleine Idee, unserer weihnachtlichen Wohnung ein authentisches Aussehen zu verleihen: Der Freund des Schwagers eines Kollegen aus dem Fußballverein lebt auf einem Bauernhof auf dem Lande. Neben vielen anderen Tieren hat er auf seinem Hof auch ein Eselspaar, das vor Monaten Nachwuchs bekommen hatte. Dieses kleine Eselchen kann ich ausleihen und bereite ihm in der Nähe des Christbaumes ein Heulager. Das permanente I-aaa, I-aaa stört uns nicht allzu sehr in unserer Nachtruhe.

      Das i-Tüpfelchen aber ist auf dem Klo zu finden. Sobald der Sitz sich durch Hautkontakt auf 30 Grad erwärmt hat, ertönt ein schmetterndes »Halleluja« aus Händels Weihnachtsoratorium. Ich habe es ausprobiert, mit einem Glas Single Malt in der Hand. Es funktioniert, auch wenn dabei ein paar Tropfen des guten Whiskys verschüttet wurden.

      Wenn mein Christkind glücklich ist, bin ich es auch. »Das wäre es für dieses Jahr«, sagt meine Liebste und reicht mir ein weiteres Glas meines Lieblingswhiskys. Die vielen Gläser Single Malt zeigen erste Folgen. Fröhlich singe ich statt »Jingle Bells, Jingle Bells« jetzt »Single Malt, Single Malt«.

      Ich weiß nicht, wie andere Familien mit ihrem überzogenen Weihnachtstohuwabohu zurechtkommen. Da lobe ich mir das Minimalprinzip meiner Frau.

       Weihnachten – niemals ohne

       Single Malt

      Brigitta Rudolf

      Ian hatte sich damit abgefunden, dass sein Leben eine Wendung genommen hatte, nachdem Caitlin ihn verlassen hatte. Nicht ohne Grund, zugegebenermaßen. Aber danach hatte er komplett den Halt verloren und war endgültig auf der Straße gelandet. Er hatte unter den Tippelbrüdern sogar Verbündete gefunden. Meistens zogen sie zu dritt los und hatten auch einen Platz unter einer Brücke, den sie miteinander teilten. Das Leben als Obdachloser war nicht ganz ungefährlich in einer Stadt wie dieser. Allerdings gab es mindestens einen Tag im Jahr, an dem er sich komplett von seinen Freunden abschottete. Das war der Heilige Abend. Dann übermannte ihn der Kummer über seine scheinbar ausweglose Situation jedes Mal von Neuem. Früher, ja früher, da hatte er am Heiligen Abend mit seiner Frau Caitlin daheim in ihrem gemütlichen kleinen Haus vor dem Kamin gesessen. Sie hatten sich an ihrem Weihnachtsbaum gefreut und zum krönenden Abschluss des Tages hatte er die Flasche Single Malt geöffnet, die er von ihr erhalten hatte. Dieses Geschenk erhielt er seit Jahren zu jedem Weihnachtsfest. Und er kam lange damit aus, er war kein Trinker. Damals nicht. Seitdem er auf der Straße lebte, sah das anders aus. Es waren selten harte Sachen, die seine Freunde und er tranken, aber der Alkohol half ihnen letztlich auch die kalten Winternächte zu überstehen. Gelegentlich setzte er sich an den Eingang des großen Einkaufszentrums und erbettelte sich etwas Geld. Seinen Malt zu Weihnachten, den brauchte er einfach. Allerdings hielt die Flasche nie lange, sondern war spätestens nach dem ersten Feiertag leer. Dann kehrte Ian zu seinen Freunden zurück. Die kannten seine Marotte und stellten keine Fragen mehr. So hatte er es auch in diesem Jahr geplant. Nachdem er sich von Tom und John verabschiedet und zwei Flaschen seiner Lieblingsmarke besorgt hatte, suchte er seinen geheimen Platz auf. Dort ließ er sich nieder, breitete eine Decke aus und setzte die Flasche gleich an den Hals. Heute wollte er sich betrinken. Seine Gedanken kreisten, wie immer zu Weihnachten, auch um Caitlin. Wie mochte es ihr gehen? Wie und wo mochte sie jetzt leben? Er hatte seit Jahren nichts mehr von ihr gehört. Wenn ich doch nur noch einmal mit ihr sprechen könnte, dachte er sehnsüchtig. Aber sie hatte viel zu lange Geduld mit ihm gehabt, und als sie endgültig gegangen war, konnte er es ihr im Grunde nicht einmal verübeln. Er wusste, er war oft sehr unzuverlässig gewesen, und das bereute er nun zutiefst. Nur aus diesem Grund hatte er diverse Jobs verloren, deshalb hatte Caitlin eines Tages die Nase voll gehabt und ihn verlassen. Wieder nahm er einen tiefen Schluck aus der Flasche. Die meisten Leute saßen jetzt in der Kirche oder zu Hause und feierten Weihnachten mit ihrer Familie. Er fühlte sich einsam, wie immer an diesen Tagen. Jetzt begann es auch noch zu schneien. Dicke Flocken fielen vom Himmel, schnell hatte der Schnee auch über ihn ein weißes Laken gebreitet. Ian begann zu frieren und wickelte seine Decke fester um sich. Auch dagegen half der Whisky, also trank er noch einen Schluck und noch einen. Es dauerte nicht lange, da war die erste Flasche leer. Er warf sie achtlos fort und öffnete die zweite. Langsam verschwamm die Welt um ihn immer mehr und er sank zur Seite und schlief ein.

      Als er erwachte, beugte sich ein goldhaariger Engel über ihn. Träumte er oder hatte er sich durch den Suff schon ins Himmelreich katapultiert? Vorsichtig blinzelte er und murmelte: »Was is´n los?«

      »Das fragen Sie noch? Sie haben verdammtes Glück gehabt, dass einige Leute Sie gefunden und uns alarmiert haben. Diese Nacht ist kalt, Sie hätten erfrieren können. Aber jetzt nehmen wir Sie erst mal mit ins Krankenhaus«, antwortete der Engel.

      Ian schluckte. Er lebte also noch. Ob er sich allerdings darüber freuen sollte, wusste er nicht. Willenlos ließ er sich aufhelfen und auf eine Trage betten. Um dagegen zu protestieren, fühlte er sich zu schwach. Dann dämmerte er kurzfristig wieder weg. Als er zum zweiten Mal erwachte, lag er, mit einem Krankenhauskittel bekleidet, in einem weichen und sauberen Bett. Ein fast vergessenes Gefühl von Wohlbehagen stieg in ihm auf. Vorsichtig sah er sich um. Sein Schädel brummte und er erinnerte sich, dass er einige Stunden zuvor eine ganze Flasche Single Malt getrunken und sogar noch eine zweite angebrochen hatte. Gewohnheitsmäßig wollte er wieder danach greifen, aber die hatte man ihm wohl abgenommen. Stattdessen standen eine frische Flasche Mineralwasser und ein sauberes Glas auf seinem Nachttisch. Seine Kehle fühlte sich staubtrocken an, daher setzte er sich mühsam auf, öffnete die Flasche und trank einen Schluck Wasser. Brr, fast hätte er sich daran verschluckt. Wo hatte man seine Sachen hin geräumt? Einen Augenblick später fühlte er sich so weit, dass er aufstand und in dem schmalen Spind an der Wand nachsah. Stimmt, darin fand er seine Plastiktüten. Seine Kleidung lag ordentlich zusammengefaltet daneben, ganz hinten in der Ecke stand die angebrochene Flasche mit dem restlichen Whisky. Erleichtert griff er danach und nahm die Flasche an sich. Er wollte sich noch einen Moment ausruhen, dann würde er sich anziehen und das Krankenhaus verlassen. Was sollte er hier? Gerade, als er wieder auf dem Bett saß, klopfte es an der Zimmertür und im nächsten Moment stand die blonde Frau wieder vor ihm, die dabei gewesen war, als man ihn aufgegriffen hatte. Mit einem Blick erfasste sie die Situation. Sie ging schnell auf ihn zu, nahm ihm die Flasche sanft aus der Hand und sagte: »Das wollen Sie doch nicht wirklich. Heute ist Heiligabend und ich habe Feierabend. Deshalb wollte ich noch einmal nach Ihnen schauen. Wie fühlen Sie sich?«

      Ian