Nach dem Gespräch legte Dirk auf und setzte sich aufs Sofa. Einen Moment lang starrte er vor sich hin. Schließlich begann er zu kichern. Das Kichern steigerte sich dabei nach und nach, bis sich sein Körper in einem beinahe hysterischen Lachen schüttelte. Die Frau war kein Geist, kein dunkler Racheengel gewesen, der ihn an Heiligabend heimgesucht hatte. Im Gegenteil: Sie war eine ganz einfache Kriminelle, spezialisiert auf alleinstehende Männer. Ein unglaubliches Gefühl der Erleichterung machte sich in ihm breit.
Da fiel ihm ein, dass gleich ein paar Polizisten kommen würden und er sprang auf. Er sah bestimmt furchtbar aus. Bevor sie kamen, wollte er sich wenigstens noch kurz frisch machen. Er stellte das Radio an, aus dem Weihnachtsmusik ertönte. Leise summend ging er zum Badezimmer und öffnete die Tür. Sie ging nur einen Spalt breit auf, dann klemmte etwas unter ihr fest und verhinderte, dass sie sich weiter öffnete. Mit einem gezielten Tritt beförderte er den Gegenstand unter der Tür hervor, dieser schlitterte ein Stück über den Boden und kam dann in einer Ecke des Wohnzimmers klirrend zum Liegen. Erleichtert ging Dirk ins Badezimmer und schloss die Tür wieder hinter sich, ohne einen weiteren Blick auf den Gegenstand zu werfen, der nun direkt neben seinem Sessel lag. Dabei hätte ihn dieses spezielle Objekt durchaus interessieren können, denn es war eine nun leicht verbogene einzelne Kinderhaarspange mit einem fröhlich lachenden Weihnachtsmanngesicht.
Oh happy day
Carsten Böhn
Ich sitze in meinem neuen Schwingsessel gemütlich mit einem irischen Whiskey in unserem neuen ausgebauten Dachgeschoss und genieße auch die Musik von meinen alten Schallplatten. Nach über zwanzig Jahren hab ich die alte Anlage wieder einmal aus dem Keller geholt und höre Musik, die es nicht auf CD oder in einem der Streamingportale zu hören gibt.
Langsam driften meine Gedanken zurück und mir fallen wieder Bilder aus meinen Kindertagen ein. An Heiligabend besorgte mein Vater wie jedes Jahr den Weihnachtsbaum. Es ist mir ein Rätsel, wie er es immer wieder schaffte, einen Baum zu kaufen, der mit dem grünen vierfüßigen Ständer mit Wasserreservoir genau unter die Decke passte. Jedes Jahr stand ein Prachtbaum in unserem Wohnzimmer und wurde von uns drei Kindern mit silbernen und roten Weihnachtskugeln vorsichtig verziert, selbstgebastelte Strohsterne und die elektrischen Lichter, die die echten Kerzen Anfang der siebziger Jahre abgelöst hatten, wurden angebracht und schimmerten mit ihrem Licht in den vielen Lamettasträngen, die dem Baum eine besondere Ausstrahlung verliehen.
Jedes Jahr stand mein Vater nach einer Weile im Wohnzimmer, genoss sein Glas Racke Rauchzart aus der Bleiglaskaraffe frisch in seinen Tumbler eingeschenkt und betrachtete den Baum, wenn wir Vollzug meldeten. Dann holte er zum Entsetzen meiner Mutter die rote Rosenschere aus der Garage und nahm sich die Haushaltsleiter, stellte sie neben den Baum, kletterte hoch auf die Leiter und begann unter den tränenreichen lauten Protesten meiner Mutter Jahr für Jahr den gleichen Frevel und schnitt die Spitze des Tannenbaumes ab.
Meine Mutter erfreute sich über die Schönheit eines Weihnachtsbaumes mit echter Spitze und wollte sie behalten. Mein Vater hingegen krönte unsere Schmuckaktion mit dem Kappen des Baumes, und während sich die Weihnachtsstimmung meiner Mutter in Tränen auflöste, der Raum sich mit dem harzigen Tannenduft des Baumes füllte, steckte mein Vater den silbernen Stern auf die Spitze der Tanne, ohne die eine Tanne, für ihn, kein Weihnachtsbaum war.
Die Stimmung war im Keller, wie jedes Jahr, und das änderte sich auch nicht bei dem guten Essen, das es vor der Bescherung gab. Es gelang uns Kinder nie, das Christkind zu sehen, auch wenn wir noch so schnell ins Wohnzimmer rannten, wie wir konnten, nachdem wir das feine Glöckchen vernommen hatten. Die Geschenke lagen unter dem Baum und warteten auf uns und wir warteten auf meinen Vater, der, bevor wir auspacken durften, uns alle um den Baum versammeln ließ, den roten Telefunkenschallplattenspieler anmachte und ›Oh Happy Day‹ von Edwin Hawkins & Northern California State Youth Choir auflegte und mitsang. Ich habe erst nach Jahren erfahren, dass das nicht wirklich ein Weihnachtslied war.
Für uns war es das. Und alle Jahre wieder war es am Ende dann doch noch ganz schön.
Ein Single Malt für Santa Claus
Bianca Röschl
Heiligabend
Wie in einer Decke aus schwarzem Samt hatte sich das verschlafene Städtchen Dufftown in den schottischen Highlands in der Heiligen Nacht eingekuschelt zur Ruhe gelegt. Am Rande dieser Stadt lag das letzte Gebäude auf der Liste, das letzte Haus, welches Santa Claus überhaupt in diesem Jahr noch besuchen musste.
Mit seinem inzwischen leicht gewordenen Sack auf dem Rücken durchschritt Santa den großzügigen Hof des fabrikähnlichen Gebäudes und steuerte auf das angrenzende Herrenhaus zu. Behände kletterte er auf das Dach und rutschte den gemauerten Kamin hinunter. Er landete direkt im vornehmen Salon des Hauses. Einige Lampen warfen ein mattes Licht auf den Weihnachtsbaum, prächtig geschmückt mit roten Glaskugeln, Strohengelchen und allerlei buntem Zuckerwerk zum Naschen.
Santa Claus stellte den Leinensack auf den Boden, kramte das letzte Geschenk heraus und drapierte es hübsch vor dem Weihnachtsbaum. Ein in Papier gewickeltes Schaukelpferd für den kleinen Grant Gordon, dem jüngsten Spross des Hauses.
Anschließend ging Santa zum Kamin zurück und füllte den daran hängenden Weihnachtsstrumpf mit Mandarinen, Nüssen, Zuckerstangen und sonstigem süßem Naschwerk.
Gerade, als er wieder über den Kamin zurück zu seinem draußen stehenden Schlitten wollte, blieb sein Blick an einem kleinen Tischchen vor dem Kamin hängen. Genauer gesagt an dem großen Zettel mit der Aufschrift Für Santa – Fröhliche Weihnachten.
Überrascht beugte sich Santa über das Tischchen. Die Augen des alten Mannes leuchteten vor Freude auf, denn auf einem silbernen Tablett standen nicht die sonst üblichen Weihnachtsplätzchen mit einem Glas Milch dazu. Nein!
Dieses Kind hier bedachte den Weihnachtsmann mit einer Flasche Whisky und einer Holzschatulle voll feinster Zigarren.
Neugierig nahm Santa eine der handgedrehten Zigarren aus dem Kästchen und zog genüsslich den herb würzigen Geruch durch seine breite Nase. Allerfeinste Qualität, keine Frage.
Schöner kann man sein Tagwerk eigentlich nicht beenden, dachte er so bei sich und goss sich etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit aus der Whiskyflasche in das bereitgestellte Glas ein.
Santa setzte sich in einen der bequemen Ledersessel, zündete sich die Zigarre an und nahm einen genießerisch ersten Schluck aus dem Glas.
Da schau an, ein Single Malt, stellte er überrascht fest, sicher mindestens fünfundzwanzig Jahre alt. Da hatte sich der Vater des Knaben aber nicht lumpen lassen. Nur das Beste für den Weihnachtsmann.
Santa nahm genüsslich einen weiteren Schluck. Ein samtig-frischer Geschmack tanninhaltiger Früchte in perfekter Harmonie mit kräftiger Eichennote und einem Hauch von würzig-herbem Tabak legte sich verführerisch auf Zunge und Gaumen. Beim Hinunterschlucken stellte er freudig fest, dass dieser Whisky lang und üppig im Abgang war mit einer zarten Malzsüße, die das Verlangen nach mehr entfesselte.
Völlig entspannt saß der Weihnachtsmann in dem Ledersessel, die Beine auf einen Schemel hochgelegt, zog zufrieden