Staatsmänner und Wissenschaftler erhielten eine leistungsfähigere, mit Zusatzfunktionen ausgestattete Version des Chips, den SuperMindCell. Auch in den Köpfen der Sol Guard-Angestellten arbeitete dieses Modell und gewährleistete die effiziente Vernetzung zwischen den Gehirnen der Team-Mitglieder. Dadurch standen Ermittlungsdaten sofort jedem Beamten zur Verfügung. Außerdem zeichnete der Chip alle Erlebnisse seines Trägers auf und sorgte für ein verlustfreies Gedächtnis, da er in Verbindung mit einem LiSi praktisch unbegrenzte Speicherkapazitäten besaß.
Neuerdings machten Forscher Tests mit der Implementierung einer universellen Verständigungsart, von der man in Fachkreisen der Meinung war, sie würde die konventionellen Sprachen ablösen. Dabei ging es um Empfindungen und Gedanken, die als millisekundenschnelle Informationspakete gesendet wurden und für die SuperMindCells der übernächsten Generation zum Einsatz kamen.
Die Zukunft sollte die Vernetzung der gesamten Menschheit bringen – eine kollektive Gemeinschaft in einer neuen Dimension. Man würde sich mit anderen Personen »verlinken« und dasselbe sehen, hören und fühlen, geistige Kapazitäten sogar kombinieren können. Selbst ein Bewusstseinstransfer lag im Bereich des Möglichen. Auch in einen Droiden.
Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen, aber wo führt dieser ganze Mist hin, wenn das Alter und körperliche Gebrechen keine Rolle mehr spielen? Von dem Verlust der Privatsphäre und der Identität mal ganz abgesehen …
Die Bahn hielt, Gesichter verwischten im Getümmel, die Fahrt ging weiter.
Lester registrierte auf dem Wand-Display einen Beitrag der Reihe »History Lesson Today« und fühlte sich plötzlich ausgebrannt.
Vier Jahre Kap Rosa am Stück … da ist ein Besuch auf der guten alten Erde längst überfällig. Doch in der Lage, in der sich seine Firma befand, war das Beantragen von Urlaub reinste Utopie. Ihn beschlich der Verdacht, bereits das Schicksal all jener Menschen zu teilen, die im Laufe der Zeit versucht hatten, es auf diesem verregneten Stück Felsen zu etwas zu bringen, jedoch von den Umständen zermürbt worden waren.
Der gutgelaunte Moderator der History Lesson, die Geschichte in leicht verdauliche Bilder verpackte, schien ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen.
»Unsere Leistungen auf dem Mond haben Tradition! Wussten Sie, dass schon Mitte des 21. Jahrhunderts, in diesem Gebiet, die erste Forschungsstation für Wissenschaftler und ihre Familien errichtet wurde? Siebzig Jahre später, 2122, begann die Erdregierung mit den ersten Terraforming-Versuchen. Der Mond sollte zum neuen Lebensraum werden, um der Überbevölkerung des blauen Planeten entgegenzuwirken. Gigantische Klimageneratoren, die Atmosphärenwandler, welche übrigens als Gedenkstätten zu besichtigen sind, produzierten damals den Sauerstoff, und ein Geflecht unterirdischer Gravo-Erzeuger regelte die Schwerkraft. Man siedelte gentechnisch gezüchtete Tier- und Pflanzenarten an, wodurch sich Flora und Fauna auf natürlichem Wege entwickelten. 2143 fiel der Startschuss für das Kolonisierungsprogramm.«
Filmausschnitte einer aufblühenden Landwirtschaft glitten ins Bild. Bauern betrieben Ackerbau auf fruchtbarem Boden, Ortschaften wurden gegründet, eine Infrastruktur entstand.
Der Sprecher lächelte. »In den Anfangstagen sah das Mammutprojekt vielversprechend aus.« Dann wechselten die Ausschnitte und zeigten von Unwettern heimgesuchte Gebiete, die Zerstörungen von Gewächshäusern und Ernten. Das Lächeln des Moderators verwandelte sich in einen dümmlichen Gesichtsausdruck, als ob er um Entschuldigung bitten wollte.
»Doch aufgrund unerwarteter Schwierigkeiten im Laufe der Jahre, vermochten die Konstrukteure der Atmosphärenwandler das Klima nicht mehr zu kontrollieren. Hätten Sie es für möglich gehalten? Selbst heute noch wird mit Hochdruck nach einer Lösung des Schlechtwetterproblems auf dem Mond gesucht, und dank der verbesserten Wandler-Technologie könnte dies bald gelingen.«
Lester ärgerte sich über den flachen Erzählstil des Mannes. Damals war das Ökosystem entgleist. Punkt. Nichts hatte sich seither geändert, und es würde sich nichts ändern. Gewitter, Blitze und Donnergrollen spielten eine vierundzwanzigstündige Symphonie des Chaos über der karg bewachsenen Gerölllandschaft. Die Durchschnittstemperatur hatte sich auf 5 °C eingependelt, und von Fruchtbarkeit fehlte jede Spur.
Der Sprecher fuhr fort: »2147 legten die Farmer und Terraforming-Spezialisten noch ungeheure Energien an den Tag, um ›ihre neue Welt‹ in den Griff zu bekommen. Die Menschen ließen sich nicht unterkriegen!«
Sag dem Zuschauer doch klipp und klar, dass die Erdregierung nur wegen der investierten Steuergeld-Milliarden dem Desaster nicht sofort ein Ende setzte!
»Alle Bemühungen waren jedoch vergebens. Überschwemmungen und Dauerregen machten jegliche Erfolge in der Landwirtschaft zunichte. Inzwischen waren auf dem Mond Flüsse, Seen und Meere entstanden. Die Siedler zogen sich während der folgenden Jahrzehnte zurück, und niemand zeigte mehr Interesse daran, seine Existenz unter den gegebenen Extrembedingungen zu verbringen. Die Kolonisierung endete 2178 offiziell als Misserfolg. Seitdem stehen die Ansiedlungen und Gewächshäuser verlassen und leer.«
Lester kannte alle Infos auswendig. Trotzdem packte ihn die Traurigkeit darüber immer wieder.
Das 3D-Display zeigte einen Querschnitt des Mondes.
»Nach elf ereignislosen Jahren, 2189, machte schließlich ein Geologen-Team um den renommierten Wissenschaftler Professor Doktor Yorgen Brymm durch Zufall bei Bohrungen in einer Tiefe von fünfhundert Kilometern eine spektakuläre Entdeckung: Man stieß auf ein bisher unbekanntes Mineral, das in keinem der vorherigen Tiefenscans angezeigt worden war und dessen Herkunft und Alter unbestimmbar blieben. Nach weiteren Bohrungen stellte sich heraus, dass man zuerst nur auf eine der kilometerdicken Adern gestoßen war, die von einem Hauptvorkommen ausgingen: dem Mondkern! Er besteht nicht, wie ursprünglich vermutet, aus Eisen-Schwefel-Verbindungen, sondern vollständig aus dem Kristallgestein.«
Der Sprecher setzte eine feierliche Miene auf und betonte, wie positiv die Entwicklung der Menschheit durch die Entdeckung beeinflusst worden war, welch großes Energiepotenzial das Mineral besaß und wie leicht dieses zu aktivieren und zu kontrollieren war. Aufgrund der Andersartigkeit seiner Struktur, die einem Quasikristall ähnelte, seiner multidimensionalen Beschaffenheit und der darin gebundenen Wasserstoff- und Helium-Isotope, hatte das »Brymm« einen Platz im Periodensystem der Elemente erhalten.
»Erinnern Sie sich? In der Vergangenheit litten wir bezüglich unserer Energieversorgung unter großen Schwierigkeiten. Kernkraftreaktoren verseuchten ganze Landstriche, erschöpfte fossile Brennstoffvorkommen stürzten uns in globale Krisen, und die Zerstrittenheit unter den Anbietern alternativer Ressourcen, wie Wind-, Solar- und der damals modernen Fusionsenergie, erschwerten die Versorgung. Insbesondere die Fusionskraftwerke vermochten aufgrund ihrer komplexen Technologie nicht, den Bedarf überall zu decken und die Flexibilität für eine Zivilisation an der Schwelle des interstellaren Raumflugs zu gewährleisten. Vor achtzehn Jahren, zur Zeit der Brymm-Entdeckung, war mit allen Hindernissen jedoch Schluss. Ein goldenes, unkompliziertes Energiezeitalter und eine neue Ära der Raumschiffsantriebe brach an, die der Menschheit ein friedliches Miteinander bescherte und ihr den Weg zu den Sternen ebnete.«
Komm schon! Du erwähnst nicht, wie sich damals alle auf das Megageschäft ihres Lebens gestürzt haben. Energiekonzerne, Finanzinvestoren und die ganze Bandbreite von Geldhaien haben Schlange gestanden und um Anteile und Abbaurechte gestritten. Und wer badet eure Raffsucht heute aus? Der kleine Mann!
Vor allem daran erinnerte sich Lester. Nach langen Verhandlungen hatten sich die Interessenten geeinigt und ein Konglomerat gegründet, das im Stande war, die immense Summe an Craedos für die Erschließung des Kristallvorkommens auf dem Mond zu schultern. Die Erdregierung hatte obendrein für die Vergabe der Rechte kräftig abkassiert, trotz ihrer späteren Gewinnbeteiligung.
»Die Minengesellschaft Skyrock war geboren. Erstaunlich, wie eine einzelne Firma in kürzester Zeit das Leben von uns allen so positiv beeinflusste. Dafür sollten wir dankbar sein, meinen Sie nicht?« Ein Jingle erklang.
Skyrock, der selbstlose Wohltäter … jetzt reicht’s aber!