EBQUIZEON - Die Welt hinter der Welt (2018). Andreas Bulgaropulos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Bulgaropulos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742744098
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als Hauptcomputerprogramm der Sol Guard-Zentrale die Einsatzteams im Außendienst koordinierte. Die 3D-Projektionen seiner Kollegen glitten in den Hintergrund des Visiers, während im Vordergrund das Gesicht einer dunkelhaarigen, attraktiven Frau um die dreißig erschien.

      »Guten Morgen, Lester«, begrüßte ihn die Künstliche Intelligenz freundlich. »Befehle?«

      »Ja, Mona. Wir sind auf der Suche nach einem Minentechniker namens Cabrallo. Er hat seine Wohneinheit hier in Tower 3, Ebene 44. Ist er zu Hause?«

      »Positiv, Lester. Die gesuchte Person mit dem vollständigen Namen Antonio Juan Cabrallo-Ferrer, zuständig für die Instandhaltung der Kristallreinigungszellen in Mine C, Sektion 4, hält sich laut meiner MindCell-Überwachungsdatenbank seit achtundvierzig Minuten in seinem Quartier auf.«

      »Ich muss ihn sprechen, Mona. Ist der Mann inzwischen erreichbar?«

      »Nein, Lester. Ich habe ihn mehrere Male zu kontaktieren versucht, jedoch ohne Erfolg. Jegliche Verbindung zu dem Quartier wurde unterbrochen. Selene informiert mich zwar, dies sei ein technisches Problem, aber meine Sensoren registrierten dort vor kurzem eine hermetische Abriegelung. Soll ich ein Droiden-Kommando zur Festnahme von Mr. Cabrallo losschicken?«

      »Unbedingt! Sein Verhalten ist verdächtig. Lass ihn abholen und für eine Vernehmung vorbereiten. Ich bin neugierig, was der Mann zu sagen hat. Schätzungsweise bin ich in zwei Stunden wieder in der Zentrale.«

      »Verstanden.«

      Das künstliche Gesicht von Mona verschwand, und Lesters Holo-Visier schaltete sich ab. Er trat endgültig nach draußen auf den Flur von Ebene 53.

      Viele Menschen strömten durch die Gänge, über die Galerien sowie die Arkaden-Verbindungen der drei Ebenen 53 bis 55.

      Sein Nachbar Jerony Pauls kam von der Arbeit nach Hause. Der kleine beleibte Mann mit den Schlabberklamotten quatschte wie ein Wasserfall drauflos, doch Lester setzte sich nach den Begrüßungsfloskeln ab.

      Im Weitergehen trat er beinahe auf einen Reinigungsroboter, als ihm bewusst wurde, was ihn an seinem Nachbarn gestört hatte: Der Mann besaß am Hals einen dunkelroten Fleck, der einem Geschwür ähnelte. Pauls war zwar ein echter Freak, der einen Erotik-Nachtclub mit sadomasochistischer Ausrichtung auf Ebene 5 betrieb und selbst jede Menge Piercings trug. Zudem stand er auf die Schmerzen, die mit seinen Vorlieben zusammenhingen. Aber deren Auswirkungen waren Lester bis jetzt nicht aufgefallen. Ihm fehlte jedoch die Zeit, sich über die Sexualpraktiken dieses Vogels den Kopf zu zerbrechen.

      05:55 Uhr. Seine Pflicht als Team 1 Chief-Officer der Sol Guard rief.

      ~2~

      Knapp eine Stunde vorher eilte Antonio Cabrallo durch den Flur von Tower 3 und betrat sein Quartier mit der Nummer C-T3 44/76 auf Ebene 44.

      Vor Zorn feuerte er seine Tasche in die Zimmerecke. Dort traf sie das Tischchen, auf dem der altmodische Bilderrahmen mit dem Foto seiner Verlobten Carmen umkippte und auf den Teppich fiel.

      Die Schicht in der Mine war beschissen gelaufen. Er konnte sich nicht erinnern, je so gedemütigt worden zu sein. Sektionsleiter Bricksville, sein Vorgesetzter, hatte ihn zum Gebet zitiert und zur Schnecke gemacht. Hatte rumgebrüllt, wie miserabel seine Leistungen wären, und dass er sich seine Entlassungspapiere abholen könne, sollte er sich in den nächsten Tagen einen einzigen Fehler erlauben.

      So ein Dreckschwein … Menschentreiber … Arschloch!

      Antonio hatte diesem pockennarbigen Sadisten nochmals die Gründe für das Problem zu erklären versucht, aber Bricksville schaltete wie immer auf Durchzug: Aufgrund eines Arbeitsunfalls war Antonio nicht mehr in der Lage, seinen Dienstplan mit voller Effizienz zu erfüllen, da ihm eine Fräsenexplosion die linke Kopfhälfte weggerissen hatte. Die Ärzte hatten ihm einen synthetischen Ersatz verpasst und ein Drittel seines Gehirns durch ein Gyronics-Nano-Implantat ersetzt – Technik der neuesten Generation.

      Erst mithilfe der Gewerkschaftsanwälte hatte er seinen Arbeitsplatz vor wenigen Monaten zurück ergattert. Denn die Company war bei dem Rechtsstreit mit dem offiziellen Statement angetreten: »Durch die bekannte Problematik funktionieren Gehirnimplantate in den Minen nicht einwandfrei. Es ist unverantwortbar, Herrn Cabrallo und seine Arbeitskollegen einem derartigen Risiko auszusetzen.«

      Bullshit!

      Ihr inoffizieller Grundsatz war, sich einen Dreck um das seine oder das Wohl irgendeines Menschen zu scheren. Natürlich funktionierten Nano-Gehirne bei laufendem Minenbetrieb nicht einwandfrei, genauso wenig wie die von Droiden. Und natürlich litt Antonio da unten an Konzentrationsschwäche und vermochte seine Bewegungen nur schwer zu koordinieren.

      Dennoch. Laut Vertrag war der Ausbeuterverein von Skyrock dazu verpflichtet, einem Unfallopfer entweder Invaliditätsabfindung zu zahlen – womit sie seiner Meinung nach viel zu billig weggekommen wären – oder ihm eine andere Tätigkeit unter adäquaten Konditionen zu verschaffen. Da er nicht mehr an der Fräse arbeiten konnte, war ihm nach Prozessgewinn jene Ersatztätigkeit bei der Reinigungszellenwartung zugesprochen worden. Gemäß dem neuen Vertrag gewährte man ihm eine begrenzte Reparaturquote, nur durfte die nicht unter ein Limit fallen.

      Doch die Ratte von Sektionsleiter hatte ihn auf dem Kieker und gab ihm die Aufträge, die kaum ein gesunder Arbeiter in der Zeitvorgabe schaffen konnte. Die Company schmierte ihn hundertprozentig dafür. So schafften sie sich den lästigen Angestellten vom Hals und mussten ihm nicht mal die Abfindung in voller Höhe zahlen. Gegen »minderwertige Leistungen« war auch die Gewerkschaft machtlos.

      Was für ein hinterfotziges System!

      Nachdem Antonio am Nahrungsverteiler ein Getränk geordert hatte, ließ er sich wütend aufs Sofa fallen. Die Schwierigkeiten mit der Nanotronik in seinem Schädel traten immer deutlicher zu Tage. Vorhin, während der Schicht, hatte sich das Problem verschärft: Ihm fehlten sechs Minuten seines Lebens. Gedächtnisverlust! Und ausgerechnet, als er eine defekte Zelle begutachten sollte. Er erinnerte sich daran, wie er aus dem Lift getreten war, ihn plötzlich Schmerzen und Schüttelfrost übermannten und dann … Blackout.

      Nur Fragmente schwirrten in seinem Kopf herum, irgendetwas getan zu haben. Etwas Sonderbares … aber was? Alles lag hinter einem Schleier verborgen. Sechs Minuten später war er an derselben Stelle im Gang wieder zu sich gekommen und machte sich auf den Rückweg. Er wusste nicht, ob er die Zelle repariert hatte oder was sonst vorgefallen war. Sicherheitshalber meldete er sich persönlich in der Zentrale, bekam aber von seinem Chef zu hören, dass der Vorfall Konsequenzen nach sich ziehen würde und er nicht wiederzukommen bräuchte. »Das hat ein Nachspiel für Sie, Cabrallo. Jetzt sind Sie raus. Für Krüppel hat die Company keine Verwendung!«

      So ein mieser … ach, ist jetzt auch egal! Manchmal wünschte Antonio, er hätte die Abfindung genommen und sich den ganzen Ärger erspart.

      Er fühlte sich nicht gut. Auch erst seit vorhin. Ein Druck lastete auf seinem Inneren, schnürte ihm die Lunge ein. Mit ein paar Handgriffen öffnete er den Kragen. Das half.

      Er atmete tief ein und seufzte. Sein Körper wurde zur immer größeren Belastung. Doch welche Alternative war ihm damals nach dem Unfall geblieben, außer mit einem Hirnimplantat zu leben? Überdies hatte man ihn vorgewarnt. Nach der Operation hatten ihm die Ärzte eine Verschlechterung seines Geisteszustands innerhalb weniger Jahre prophezeit.

      Letztendlich war er heilfroh, noch am Leben zu sein, und seine Verlobte natürlich auch. Sie wollten nächsten Monat heiraten, aber wenn er seinen Job verlor, waren das schlechte Voraussetzungen. Ihre Familie war sehr auf Traditionen bedacht. Und ein anderer Beruf kam für Antonio nicht in Frage. MindCell-Updates, die praktische Erfahrungen enthielten, konnte er sich nicht leisten und eine konventionelle Fortbildung nahm Zeit in Anspruch. Zeit, die er offensichtlich nicht mehr hatte, denn nun war es soweit: Seine gekittete Welt geriet aus den Fugen.

      Warum mache ich mir überhaupt Sorgen um die Zukunft, wenn ich bald als brabbelnder Idiot am Fenster sitze und Löcher in die Gegend starre? Es tat ihm nur um seine zukünftige