»Mist, Dixon. Ich dachte eben …« Harper prüfte erneut seinen Scanner, der keinerlei Spuren größerer Lebewesen anzeigte.
»Was ist, Sir?«, knisterte die Stimme des Soldaten über Helmfunk.
Harper runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Nichts. Vergessen Sie’s. Vielleicht haben mir diese verdammten Blitze einen Streich gespielt.«
Als er weiterging, fielen ihm die braunen Blätter wieder ein. »Lieutenant … ich bin kein Botaniker, aber das Grünzeug hier sieht krank aus. Weiß der Teufel, warum. Wie ist die Lage bei Ihnen?«
»Menschliche Lebenszeichen negativ. Bei mir sind die Büsche auch verdorrt. Komisch, bei dem ganzen Wasser. Aber das könnte auch … Hey, Sekunde mal, Sir. Das ist ja merkwürdig …«
»Was ist merkwürdig?«, schnarrte Harper nervös.
»Hier ist überall Frost. Ich lese eine Umgebungstemperatur von minus sechs Grad ab. Die Pflanzen sind glatt erfroren. Wo kommt denn auf einmal die Kälte her?«
»Schwer zu sagen, Dixon. Ich messe ebenfalls einen Temperaturabfall … aber nicht ganz so stark. Vielleicht zieht ein Blizzard über uns hinweg.«
»Nein, ausgeschlossen, Sir. Ich habe vor unserer Landung die Wetterkarte gecheckt. Da war nichts. Außerdem sind die Scheiben über uns intakt. Wie soll es da gerade hier zu Frost kommen? Moment, Sir … das kann nicht sein …«
Eine Pause entstand.
Die Kamera-Übertragung in Harpers Helmdisplay tauchte seine Züge in blasses Licht und schien sie zu verhärten, doch auf einmal verschwand das Bild. Er blieb erneut stehen. »Dixon? Meldung bitte. Ihre Kamera ist ausgefallen … Dixon?«
Weitere Sekunden vergingen. Dann hörte Harper ein Keuchen.
»Shit, Captain!«, stieß sein Untergebener in Panik hervor. »Ihr Bild ist auch weg, und ich messe jetzt gar keine Lebenszeichen mehr … nicht mal Ratten. Und … es sind minus vierzig Grad! Da kommt irgendwas … eine … eine enorme Kältewelle. Was geht hier vor sich? Jetzt sind es minus siebzig!«
Durch Harpers Schädel rasten mehrere Szenarien. Eines erschien ihm am zutreffendsten, und er brüllte: »Rückzug, Lieutenant Dixon! Sofort! Vermutlich ist das Gebiet durch eine Chemikalie verseucht. Treffpunkt: Platz mit dem Brunnen … und dann raus hier!«
»Verstan…en. Befinde mich auf dem … aber kann … sehen … Ha…e schwere …obleme. Oh Gott! Was ist d… Wa… …ur Hölle … ? Neiiin …«
»Dixon? Dixon verflucht! Melden Sie sich, Lieutenant!«
Die abgehackte Übertragung war einem Rauschen gewichen.
Harper machte kehrt und hetzte durch das Blattwerk zu der Stelle zurück, an der sie sich getrennt hatten. Seine militärische Ausbildung ließ ihn zunächst den vereinbarten Treffpunkt streifen, bevor er sich auf die Suche nach seinem Untergebenen machte.
Im Laufen schaute er angestrengt in die Richtung, in der er Dixon vermutete, doch trotz der Restlichtverstärkung sah er rein gar nichts – die Pflanzen standen zu dicht.
»Zentrale … Eins-Eins-Vier in Krisensituation! Mögliche Kontamination der Gewächshäuser mit unbekannter Substanz. Vielleicht handelt es sich um einen Terroranschlag. Abriegelung des Geländes erforderlich. Habe Kontakt zu Lieutenant Dixon verloren. Werde keinesfalls den Rückzug antreten, bis ich Klarheit darüber habe, was mit ihm geschehen ist.«
»Roger, Eins-Eins-Vier«, ertönte es in seinem Helm. »Benötigen Sie Unterstützung?«
»Positiv! Schicken Sie mir ein Fire-Team und Gefahrgut-Experten.«
»Bestätigt, Captain Harper. Zentrale Ende.«
Der Offizier hastete durch das Gebüsch, bis er plötzlich selbst die Kälte spürte, die ihn von der Seite wie eine Wand überrollte. Als er zwischen den Sträuchern hindurch sprang und auf den Platz stürmte, zitterte er bereits am ganzen Körper. Seine Füße spürte er kaum noch.
Von Dixon fehlte jede Spur.
Harpers Blick flog zurück und er erschrak: Die Scheiben an der Decke barsten.
Unerwartet aktivierte sich sein Helmdisplay.
»Hier Allison Vangristen. Eins-Eins-Vier, ich habe neue Informationen für Sie. Die Person, mit der sich Juppona treffen wollte, heißt Yoshiko Takashi. Bei dem Geschäft ging es definitiv um gefälschte Einreisegenehmigungen, die der Händler für die Frau und einige Begleiter besorgen soll… Captain? Was … was ist denn da los bei Ihnen? Captain Harper?«
»Ma’am … breche die … Suchaktion … ab … Habe keine Hin… weise …«
Die Wahrnehmung des Offiziers verschlechterte sich rapide. Das Vorhaben, nach seinem Lieutenant zu suchen, hatte er aufgegeben – mittlerweile rannte er um sein eigenes Leben in Richtung Ausgang.
Doch auf der anderen Seite des Platzes holte der Eissturm den strauchelnden Mann ein. Alles um ihn herum erstarrte.
»Captain … Captain … so sagen Sie doch etw…«
Die Verbindung riss ab.
Harper stolperte, seine Glieder zu keiner Bewegung mehr fähig. Wie aus den Tiefen des Weltalls kommend, fegte die Kälte über ihn hinweg, entriss seinem Körper die Wärme und zog nach draußen. Dort ballte sie sich zusammen.
Der Offizier stürzte mit offenem Mund und Entsetzen in den Augen zu Boden, und noch bevor sein Körper die Steinplatten des Gewächshauses berührte, war er gefroren.
Während die Eiswolke auf den wenige Kilometer entfernten Atmosphärenwandler zu wirbelte, zersprang Harper beim Aufschlag in tausend Stücke.
Allison Vangristen
~6~
Inzwischen betrachtete Lester Kap Rosa als sein Zuhause, obwohl ihm bei den Außeneinsätzen der Dauerregen auf die Nerven ging. Die Stadt bot zwar Parks und Erholungsanlagen inklusive künstliches Sonnenlicht, doch draußen bekam man die echte Sonne nur selten zu sehen, was in der vierzehn Tage dauernden Nachtphase des Mondes ohnehin unmöglich war.
Rissen aber ihre Strahlen die Wolkendecke auf, legten sich Wind und Regen schlagartig. Selbst das Zwielicht verschwand, und der Himmel bot außer jener feurigen Kugel eine weitere Attraktion: die Erde. Ozeanblau, umgeben von ihrem Ring, um den hunderte Satelliten kreisten. Ein Planet, bei dessen Betrachten die Überbevölkerung, Verbrechensquoten und Umweltzerstörung keine Rolle spielten, ein Planet, der die Wiege der Menschheit symbolisierte – und die Heimat.
In solchen Momenten kam es Lester so vor, als ob die Zeit stillstand und eine höhere Macht die Erde ins Zentrum des Universums rückte.
Aber auch der Mond gewann an Reiz, wenn die Sonne ihn überflutete. Die glitzernden Ebenen und Hügel in der Ferne gaben ein ebenso unvergleichliches Bild ab, wie die Seen, auf denen der Wind seine Muster zeichnete. Sogar der Felsboden kleidete sich in ein scheues Grün und schien die Frachtraumer zu salutieren, die von Luna-Space-Port starteten und majestätisch ihre Bahnen durch das All zogen.
Bedauerlicherweise ereignete sich das Naturspektakel viel zu selten und endete zu schnell. Wenn der Platzregen wieder einsetzte, bedeutete der Moment reinste Ernüchterung. Dann eroberte das Kunstlicht die vom Wasserdampf eingehüllte Stadt zurück, unter der die Minen und die Kristallverarbeitungswerke lagen. Und sämtliche Farben wichen dem Grau der Maschinerie.
Die Gleiterbahn hielt.
Lester wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein paar lärmende Jugendliche einstiegen, die vermutlich eine Partynacht hinter sich hatten. Während die Bahn losfuhr, rief er ihnen eine Mahnung zu. Die jungen Leute erkannten die Autoritätsgewalt des Sol Guard-Mannes an seinem goldenen LiSi, dachten aber nicht daran, ihre Lautstärke zu drosseln. Nach einem weiteren strengen Blick von ihm schoben sie sich lachend durch die Menge und verschwanden.
Reizend!