Auch wenn die Veranstaltung nicht öffentlich ist, die Mundpropaganda hat wahre Wunder geleistet. Unser Auftritt ist bei meinen Landsleuten bekannt, auch Dank der permanenten Präsentation unserer Songs im Radio. Wir bereiten uns so gut, wir eben können, auf den großen Tag vor. Ein privater Transportunternehmer bringt unser Equipment ins Theater. Sein Name ist Rafael. Er soll von nun an unser ständiger Begleiter sein, sowohl physisch, als auch als Aktiv-Posten auf unserer Ausgabenseite. Und wieder müssen wir uns die Instrumente ausleihen.
Die Anlage steht, der Soundcheck verläuft positiv. Im Hintergrund spielt Musik vom Band. Pedro, Valder, Nacho und ich nehmen die Instrumente in Beschlag. Und dann passiert es:
„Hey Frank, siehst du das auch?“
„Falls du den Rauch meinst, ja den sehe ich. Es riecht auch so verdammt komisch hier drinnen. Scheiße, ich kann fast gar nichts mehr sehen!“
Wir verstehen die Welt nicht mehr. Was ist geschehen? Die Antwort gibt uns der Tontechniker. Das einzig in Camagüey existierende Mischpult ist explodiert. An eine Vorstellung ist an diesem Tag nicht mehr zu denken. Ernüchtert packen wir die Instrumente ein und verlassen das Theater. Einen Tag später läuft die Gerüchteküche von Camaguey auf Hochtouren. Was ist geschehen und wer ist dafür verantwortlich?
Der Schuldige an dem Missgeschick ist schnell gefunden: „Der Korken-Mann.“ Doch clever, wie der einmal ist, schiebt er die Schuld dem Tontechniker in die Schuhe. Und der bekommt nun die ganze geballte Wut des Parteiapparates zu spüren. Pannen wie diese, sind in einer Planwirtschaft nicht vorgesehen.
Erst am 29 Februar 1984 dürfen wir wieder ran. Diesmal werden wir von einem Bus abgeholt und direkt ins Theater gebracht. Auch ein neues Mischpult, stellt man uns zur Verfügung. Angeblich soll es das Beste sein, was in der Provinz aufzutreiben ist. Diesmal ist das Theater so voll, wie eine Sardinenbüchse. Wir haben Kultstatus erreicht. Dementsprechend gut drauf, scheinen sich die Besucher zu fühlen.
Die Szenerie kommt uns gespenstisch, fast schon unwirklich vor. Die überwiegend jungen Leute schreien und halten Plakate mit der Aufschrift „Rocas“ in die Höhe. Uns ist bewusst, dass die meisten von ihnen, genauso wie wir auch etwas anderes wollen. Etwas das fetzt und sich von der Volk Musik Kubas abhebt. Sie wollen Rock!
Ivan, der Korken-Mann gibt uns ein Zeichen nach dem anderen. Wir sollen endlich anfangen, bevor das Publikum noch ganz ausflippt. Er sieht aus, wie ein Fußballtrainer am Spielfeldrand. Wir legen los, was das Zeug hält. Zwischendurch versuchen wir die jungen Leute zu beruhigen. Das geht schief. Einige Fanatiker fangen an zu randalieren. Andere drängeln, schreien, flippen aus. Und dann kommt das Ende. Die Sicherheitspolizei marschiert auf. Dem satanistischen Treiben muss umgehend ein Ende bereitet werden. Schließlich sind wir im friedlichen Camagüey und nicht in Los Angeles. Unser Konzert wird abgebrochen, und dass obwohl unsere Texte bloß von Liebe, Leidenschaft und Verlangen handeln und unsere Musik weit entfernt davon ist, was man Hard, oder Acid Rock nennt.
Am nächsten Tag machen in Camagüey wieder seltsame Gerüchte die Runde. Sie erzählen von Drogenkonsum und von Mädchen, die sich in völliger Ekstase die Blusen vom Leib reißen. Unsere Band bekommt ein Image, das nicht gut für sie ist. Zu der fälligen Anhörung vor den Beamten des Kulturamts, gehe ich erst gar nicht. Mir wir ist bewusst, dass wir es verbockt haben. Aber es soll noch schlimmer kommen. Wir haben die Sicherheitsbeamten des Staates Kuba aufgebracht und hören, dass gegen Rocas ein dienstliches Verfahren wegen Erregung öffentliches Ärgernis eingeleitet worden ist. Es ist unbegreiflich, unerhört und unerträglich. Man will uns im Haus der Kultur nicht mehr sehen. Alles scheint zu einem Problem geworden zu sein. Sogar unser Bandname Rocas.
Wir versuchen in die Offensive zugehen, erklären der Obrigkeit, dass wir nur einfache Jugendliche sind und unsere eigene Musik spielen wollen. Eine Musik, mit der sich die junge Generation identifizieren kann und die sie davon abhält, imperialistische Propagandastücke der Yankies an zu hören. Aber unsere Erklärungen finden keine Beachtung. Mehr noch, von nun an haben wir die Sicherheitspolizei auf dem Hals. Sie beobachtet argwöhnisch, ob wir nicht doch noch irgendwo öffentlich auftreten. Mit jedem Tag, der vergeht, wird es für uns immer schwieriger unseren Traum zu verwirklichen...
Es war spät geworden. Rubén klappte das Notizbuch zusammen und machte es sich in seiner Koje bequem. Es dauerte nicht lange, da wurde seine Kabine von einem herzhaften Schnarchen erfüllt.
Kapitel 1
Claudio Guerrero schaute nach Westen in einen frühen Abendhimmel dessen Farbe gerade von türkis blau zu einem satten, rotgestreiften Gelb wechselte. Die Sonne stand schräg über den hohen Pinien, welche sich auf der gegenüberliegenden Seite des Jalontals wie in Öl gemalt aneinanderreihten. Das beruhigende Grün der Landschaft bildete einen reizvollen Kontrast zu dem intensiven Farbenspiel des Himmels. Weiße Fassaden und rote Ziegeldächer bäuerlicher Fincas und großzügige Landhäuser mischten sich wie bunte Farbkleckse darunter und belebten ihre Umgebung, die bereits von den ersten Schatten überdeckt wurde. Nur weiter unten lag das Flussbett noch voll in der Sonne, die sich auf der Oberfläche des klaren Wassers widerspiegelte. Claudio hatte vor einer halben Stunde Benidorm, einer der größten Touristenorte an der Costa Blanca, verlassen und fuhr jetzt auf der anderen Seite des Tals über die Serpentinen zu der kleinen, in die Jahre gekommene Holzbrücke hinab, welche das Flussbett überspannte. Seit er sich den alten, klassischen MG gegönnt hatte, war für ihn diese Route schon längst zu einer privaten Rennstrecke geworden. „El Zapo, der Frosch“, wie er den Wagen wegen seiner Lackierung in Britisch Racing Grün, liebevoll nannte, war als echter Oldtimer bereits durch viele Hände gegangen. Dennoch konnte man seinen allgemeinen Zustand als bestens bezeichnen, was nicht zuletzt mit der sorgsamen Pflege zusammenhing, die Claudio ihm angedeihen ließ. Der Roadster bedeutete für ihn einen besonderen Genuss und er spürte eine innere Erregung, wie bei einer schönen Frau, wenn er die Kurven eng an der steilen Böschung oder knapp am Abhang nahm, oder wenn es der Verkehr erlaubte, wie die Rennfahrer auf der Ideallinie manövrierte. Diesmal allerdings fuhr er bei offenem Verdeck eher bedächtig, wie um Zeit zu gewinnen, und das hatte einen besonderen Grund: Melba.
Drüben in der Finca am Ende seiner Rennstrecke, wartete sein Freund und langjähriger Weggefährte Luis ungeduldig darauf, dass er ihm jene Dame vorstellte, die er mit auf ihre geplante Kreuzfahrt in die Karibik nehmen wollte. Es war das erste Mal, dass Luis geneigt war, seinem Freund die Mitnahme einer neuen Eroberung auf eine ihrer Abenteuerreisen zu gestatten. Dabei war ihm die Entscheidung gar nicht leicht gefallen, denn er hielt im Allgemeinen nicht viel von Claudios weiblichen Bekanntschaften. Seine endgültige Zustimmung machte er daher auch von der eigenen Begutachtung der „Prinzessin“, wie Claudio seine neue Flamme nannte, abhängig. Er dachte nämlich nicht im Entferntesten daran, sich eine Emanze oder Mitbewohnerin irgendeiner Kommune an den Hals hängen zu lassen und sich damit die lang ersehnte Reise zu verderben. Wenn sie mir nicht gefällt, dann soll er seine „Prinzessin“ in den „Frosch“ verfrachten und mit ihr weiß Gott wohin fahren, dachte er ein wenig erzürnt über die unverhohlene Vorgehensweise seines Freundes. Bisher waren sie auf ihren gemeinsamen Reisen immer bestens ohne Frauen ausgekommen, auch wenn es hier und da Abenteuer gegeben hatte.
Luis war dreiundvierzig. Ein Alter, in dem sich viele Männer wünschten, ganz einfach stehen zubleiben und nicht mehr zu altern, aber sie wollten auch keinen Tag jünger sein, an Erfahrung und Reife. Er war recht groß, schlank und sportlich, hatte dichtes, schwarzes Haar und seine großen, dunklen Augen verrieten Klugheit und Energie. Im Gegensatz zu seinem Freund Claudio wirkte er meistens besonnen und zurückhaltend. Die kleine Ausnahme bildete das goldene Kreuz, welches er an einem Kettchen gut sichtbar durch die beiden oberen geöffneten Knöpfe seines Polohemdes auf seiner Brust baumeln ließ. Das trug man jetzt gerade so in Spanien, ob in der Hauptstadt